Jobturbo für Flüchtlinge „Flüchtlinge aufzunehmen ist ein gesellschaftlicher Auftrag“

Quelle: REUTERS

Mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine und arabischen Ländern sollen mit dem Jobturbo nun endlich Arbeit finden. Dafür müssen auch Arbeitgeber sich öffnen – sie können auf umfangreiche Unterstützung hoffen.

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WirtschaftsWoche: Frau Shams-Azar, mit dem Jobturbo sollen deutschlandweit etwa 500.000 Geflüchtete aus der Ukraine und weitere 600.000 Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak und anderen Asyl-Herkunftsländern nun zügig in Jobs vermittelt werden. Wie kann das gelingen?
Mahnas Shams-Azar: Nur gemeinsam mit den Arbeitgebern. Die Arbeitsvermittlung ist verbunden mit dem Auftrag an unsere zugezogenen Mitbürger, sich aktiv einen Arbeitsplatz suchen. Aber auch mit dem Auftrag an Unternehmen, ihnen die Türen zu öffnen und Bereitschaft zu zeigen, ihnen Chancen zu gewähren. Das muss man auch den Arbeitgebern sagen: Integration ist keine Einbahnstraße. Die Flüchtlinge aufzunehmen, ist ein gesellschaftlicher Auftrag an uns alle.

Welche Bedenken hören Sie am häufigsten?
Wir erleben immer wieder, dass Unternehmen sich schwertun, Aufgaben Menschen zu überlassen, die nicht in unserem System ausgebildet sind. Im Handwerk beispielsweise äußern sich einzelne Betriebe besorgt, die Menschen könnten Sicherheitshinweise nicht richtig verstehen, wenn sie nicht gut genug Deutsch sprechen. Oder sie könnten nicht nach den in Deutschland allgemein anerkannten Regeln der Technik arbeiten. Aber das sollte eine Herausforderung sein, kein Hindernis.

Können Sie diese Sorgen denn entkräften?
Ich sage nicht, dass alle Geflüchteten top ausgebildet sind und mittlerweile fließend Deutsch sprechen. Aber besonders im Hinblick auf den großen Bedarf an Arbeitskräften in allen Branchen wäre ein Umdenken der Arbeitgeber wünschenswert. Natürlich gibt es Defizite. Aber wir Jobcenter helfen dabei, diese auszubügeln. Wir unterstützen Arbeitgeber, die Menschen aus dem Bürgergeldbezug einstellen, enorm.

Zur Person

Wie denn?
Zunächst mit Sprachförderung. Wir können aber auch mit den Arbeitgebern zusammenarbeiten: Wenn ein konkretes Beschäftigungsverhältnis ansteht und die Bedingung dafür eine kurze Qualifizierung oder Weiterbildung ist, können wir unterstützen. Wir haben einige Projekte mit Flüchtlingen, die seit Jahren erfolgreich laufen. Es gibt zum Beispiel in Hamburg einen großen Bedarf an Busfahrern und sehr viele Migranten, die gerne Busfahrer werden wollen. Also qualifizieren wir diese Bewerber, und sie haben bereits eine Einstellungszusage des Arbeitgebers.

Jobcenter können außerdem Lohnkostenzuschüsse gewähren, je nach Personenkreis zum Beispiel für die Dauer von zwei Jahren und in Höhe von 75 Prozent beziehungsweise im zweiten Jahr 50 Prozent des Lohns. Was hilft noch, zögerliche Arbeitgeber ins Boot zu holen?
Sanfter Druck. Ein Beispiel: Kürzlich war ein Mann aus Afghanistan bei mir, ein Autolackierer, er wollte unbedingt arbeiten und nicht mehr die Sprachschule besuchen. In unserer Datenbank fanden wir ein passendes Stellenangebot. Also habe ich den Arbeitgeber angerufen.

Mit dem Jobturbo sollen vor allem Geflüchtete aus der Ukraine schneller und in größerer Zahl Arbeit aufnehmen. Was machen die Jobcenter vor Ort jetzt anders – und: schaffen sie das?
von Sophie Crocoll

Wie hat er reagiert?
Zögerlich. Ich habe dann vorgeschlagen, dass er ein altes Blech heraussucht und den Interessenten mit der Lackierpistole daran arbeiten lässt. Ich habe gesagt: Der kommt morgen. „Wie, morgen schon?“ Ja, gleich morgen. Ich habe quasi beide in die Situation gezwängt. Mit einem ersten Erfolg übrigens: Jetzt hat der Mann einen Praktikumsplatz. Manchmal hilft es auch, zu sagen: Wir müssen hier zusammenarbeiten – diese Position ist seit Monaten in Ihrem Unternehmen frei, entweder, Sie probieren die Kandidaten aus, oder Ihre Stelle bleibt unbesetzt.

Viele Jobcenter organisieren jetzt Jobmessen, um Geflüchtete und Arbeitgeber zusammenzubringen. Hilft es, wenn so direkt ein persönlicher Kontakt zwischen den Menschen entsteht?
Ja, auf jeden Fall. Dadurch entsteht schnell eine Basis, die auf anderem Weg kaum möglich ist. Wir haben allerdings auch schnell gelernt, dass wir die Geflüchteten auf so eine Veranstaltung sehr gut vorbereiten müssen. Das hatten wir bei der ersten Messe nicht ausreichend getan. Da waren einige überfordert, drehten eine Runde und gingen wieder, ohne ein einziges Gespräch geführt zu haben. Das konnten wir so nicht beibehalten.

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Was haben Sie geändert?
Jetzt führen wir die Menschen in Gruppen auf ihrer Muttersprache ein, erklären den Ablauf der Messe, welche Arbeitgeber vor Ort sind und wie sie am besten ins Gespräch gehen. Auch die Arbeitgeber haben wir sensibilisiert, noch aktiver auf die Bewerber zuzugehen. Denn die Menschen sind motiviert und wollen arbeiten. Die Erscheinungsquote der eingeladenen Migrantinnen und Migranten liegt bei 80 Prozent – im Vergleich ist das sehr hoch. Auch die Rückmeldungen der Arbeitgeber sind positiv, die Bewerbermessen sind ein Erfolgsmodell.

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