Jobwunder Deutschland Warum der Arbeitsmarkt wieder brummt

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Vollzeit- und Teilzeitarbeiter

Hinzu kommen in vielen Branchen spürbar flexibilisierte Tarifverträge. Wegweisend ist vor allem der im Juli 2008 in Kraft getretene „Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung und zum Beschäftigungsaufbau“ in der Metall- und Elektroindustrie. Nach diesem Paragrafenwerk, das vorerst bis Ende 2011 gilt, kann so ziemlich jede tarifvertragliche Norm außer Kraft gesetzt werden, wenn es die wirtschaftliche Lage erfordert – und sich die Tarifparteien darüber einig sind. „Der deutsche Arbeitsmarkt ist auch für kommende Krisen gut gerüstet“, glaubt daher Ökonom Schneider. „Eine neue Phase der Massenarbeitslosigkeit werden wir kaum erleben.“

Trotzdem ist Vorsicht geboten, wenn Verbandsfunktionäre wie DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben nun gleich 100.000 neue Jobs versprechen. Selbst wenn die Wirtschaft 2010 um stolze 2,1 Prozent wächst, wie es das Kieler IfW und das Münchner ifo Institut prognostizieren, könnte es auf dem Arbeitsmarkt nur einen Aufschwung mit angezogener Handbremse geben. Denn Jobs durch die Krise zu retten ist die eine Sache, viele neue Arbeitsplätze im Aufschwung zu schaffen, eine andere.

Die Kapazitätsauslastung der Metall-und Elektroindustrie etwa liegt immer noch unter 80 Prozent – vor der Krise waren es über 90 Prozent. „Ich warne daher vor übertriebenem Optimismus“, sagt IAB-Ökonom Spitznagel. Dass viele Unternehmen ihre Leute trotz wegbrechender Aufträge hielten, hat seinen Preis – eine dramatisch gesunkene Produktivität. „Bevor viele Unternehmen neue Leute einstellen, werden sie erst einmal das Arbeitsvolumen der bestehenden Belegschaft hochfahren, um die Stundenproduktivität zu erhöhen.“ Die viel gelobte Flexibilität wirke eben in beide Richtungen, so der IAB-Experte.

Atmende Arbeitszeit

Erste Indizien dafür gibt es bereits: Die Zahl der Überstunden, 2009 auf ein historisch niedriges Niveau von 0,65 Stunden pro Kopf und Woche gesunken, ist im ersten Quartal 2010 wieder auf 0,8 Stunden angestiegen. Und da ist noch viel Luft drin: In Normalzeiten leistet jeder Beschäftigte im Schnitt zwischen 1,0 und 1,5 Stunden Mehrarbeit.

Wie die atmende Arbeitszeit funktionieren kann, zeigt zum Beispiel die Zwick-Roell-Gruppe in Ulm. Im Krisenjahr 2009 brach die Nachfrage nach den Prüfapparaten des baden-württembergischen Maschinenbauers dramatisch ein. Firmenchef Jan Stefan Roell schickte daraufhin 45 Zeitarbeiter nach Hause und ließ 15 befristete Verträge auslaufen – doch die Stammbelegschaft blieb zusammen. Um das zu erreichen, fuhr das Unternehmen die dank des vorangegangenen Booms prall gefüllten Arbeitszeitkonten der Mitarbeiter herunter, teilweise sogar ins Minus. Gleichzeitig senkte Roell die Wochenarbeitszeit ab, die Mitarbeiter verzichteten auf einen Teil ihres Lohns.

Zusätzlicher Personalbedarf wird mit Zeitarbeitern abgedeckt

Jetzt ist der Aufschwung da, und die Flexibilität wirkt wieder – nur diesmal in die andere Richtung. Obwohl die Aufträge um 25 Prozent über Vorjahr liegen, denkt Roell noch nicht über zusätzliche Stellen nach. Seit Januar arbeiten seine Mitarbeiter wieder regulär 35 Stunden. Wenn die Auftragsbücher noch voller werden, will der Unternehmer „auf bis zu 40 Stunden hochgehen“, denn auch das erlaubt der Tarifvertrag. „Haben wir dann noch Arbeitsbedarf“, so Roell, „holen wir uns wieder Zeitarbeiter.“ Und schließlich gibt es da auch noch 65 Mitarbeiter mit befristeten Verträgen. Die könnte Roell einfach – abermals befristet – verlängern. Eine Sondervereinbarung der Metall-Tarifpartner in Baden-Württemberg lässt dies bis zu sechs Mal in vier Jahren zu.

Manche Unternehmen trauen dem Aufschwung so wenig, dass sie zusätzlichen Personalbedarf lieber mit externen Arbeitskräften decken. Der Kugellagerhersteller Myonic aus Leutkirch etwa will seine Stellenzahl 2010 zwar um fünf Prozent hochfahren – aber fast ausschließlich mit Zeitarbeitern. Immerhin: Wer sich bewährt, darf später auf einen festen Job im Unternehmen hoffen, verspricht Geschäftsführer Bernhard Böck.

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