Johannes Vogel „Schweden macht es uns doch seit 20 Jahren vor“

Quelle: imago images

Das umlagefinanzierte deutsche Rentensystem steht vor dem Zusammenbruch, weil immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Rentner aufkommen müssen. Die FDP will daher eine gesetzliche Aktienrente aufbauen – und Millionen von Menschen zu Kleinaktionären machen.

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Johannes Vogel ist stellvertretender Bundesvorsitzender und Rentenexperte der FDP.

WirtschaftsWoche: Herr Vogel, die FDP will eine gesetzliche Aktienrente nach schwedischem Vorbild. Wie soll die genau aussehen?
Johannes Vogel: Wir schlagen vor, dass alle Versicherten in Deutschland künftig nach schwedischem Vorbild einen Teil des Pflichtbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung in die gesetzliche Aktienrente einzahlen – statt ins Umlagesystem. Konkret geht es um zwei Prozentpunkte unseres derzeitigen Rentenbeitragssatzes von 18,6 Prozent, ganz normal aufgeteilt in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag. Der Beitrag zum umlagefinanzierten Teil der gesetzlichen Rente würde dafür um genau diese Prozentpunkte gesenkt. So stabilisieren wir Renten- und Staatsfinanzen und das Rentenniveau in der ersten Säule unseres Rentensystems steigt langfristig wieder.

Dem Umlagesystem würden also Beiträge entzogen. Wie soll das die gesetzliche Rentenversicherung entlasten?
Zunächst einmal würde die gesetzliche Rente nichts mehr belasten, als ein Weiter-So – weil auf immer mehr Beitragsempfänger immer weniger Beitragszahler kommen. Die Baby-Boomer gehen bald in Rente, das kann in einem reinen Umlagesystem nicht funktionieren. Die nächste Legislaturperiode ist die letzte, in der wir vorher handeln können. Sonst werden nach 2025 – bei gleichzeitig sinkendem Rentenniveau – Schritt für Schritt die Beiträge explodieren, der Steuerzuschuss von heute schon über 100 Milliarden in Richtung Hälfte des Bundeshaushaltes steigen oder alle arbeiten müssen, bis sie 70 Jahre und älter sind. Unser Konzept funktioniert nicht nur bis zum Ende der Legislaturperiode, sondern für die kommenden Jahrzehnte: Wir stärken die gesetzliche Rente, indem wir sie auf zwei Standbeine stellen. Die Schweden – wahrlich nicht als Turbokapitalisten verschrien – machen es uns doch seit gut 20 Jahren erfolgreich vor.

Johannes Vogel ist stellvertretender Bundesvorsitzender und Rentenexperte der FDP. Quelle: dpa

Jemand müsste eine gesetzliche Aktienrente verwalten. Üblicherweise sind das Finanzdienstleister. Ist die Idee also vor allem ein Subventionsprojekt für Fondsverwalter?
Mit Verlaub, das ist nun wirklich Unfug. Im Gegenteil wollen wir einen Non-Profit-Fonds im öffentlichen Auftrag. Der schwedische AP7-Fonds ist unser Vorbild. Der hat mit jährlichen Gebühren von 0,11 Prozent extrem niedrige Kosten. Das Management übernimmt ein kleines Team von Profis mit einem klaren, langfristigen Auftrag: Vermögensaufbau für die Altersvorsorge. Die Unabhängigkeit des Fonds von politischem Einfluss sichern wir, indem die Deutsche Bundesbank die Rechtsaufsicht übernimmt. Dazu kommt natürlich der volle Eigentumsschutz des Grundgesetzes für die individuellen Guthaben.

Dieser staatliche Fonds ist allerdings nur eine Option, schwedische Versicherte können auch andere Lösungen wählen...
... was wir für eine ausgesprochen gute Idee halten und deshalb in unser Konzept aufgenommen haben. Wer private Anbieter vorzieht, kann den Aktienanteil an der gesetzlichen Rente auch dort verwalten lassen. Konkurrenz fördert den Wettbewerb und motiviert die Manager des staatlichen Fonds dazu, nicht nachlässig zu werden. Gleichzeitig wollen wir im Übrigen auch freiwillige Mehreinzahlungen in die gesetzliche Aktienrente zulassen.

von Mario Brück, Sophie Crocoll, Daniel Goffart, Jan Guldner, Niklas Hoyer

Trotzdem stärkt das Modell institutionelle Investoren auf Kosten kleiner Aktionäre – die ihre Partei eigentlich schützen will.
Ich kann diesen Zusammenhang beim besten Willen nicht erkennen. Im Gegenteil, wir machen doch so überhaupt erst Millionen von Menschen zu Kleinaktionären, die dann endlich als Anteilseigner an der Produktivität weltweit tätiger Unternehmen teilhaben können. Das schafft langfristig ein Volk von Eigentümern – die SPD müsste eigentlich begeistert sein. Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat unser Modell übrigens öffentlich begrüßt. Und der ist nun wahrlich nicht als Interessenvertretung der Finanzdienstleister bekannt.

Die FDP hat oft die gewaltige Geldschwemme in Europa angeprangert. Sollte der Staat dieses System, das Aktienkurse aufbläst und immer neue, noch komplexere Finanzprodukte hervorbringt, wirklich weiter fördern?
Wie kommen Sie auf diese Assoziationskette? Es geht hier gerade nicht um Einzeltitel, hitziges Spekulieren oder dubiose Anlageformen, sondern um echte Unternehmensanteile mit globaler Streuung. Solange Aktienkultur in Deutschland so diskutiert und nicht mit echtem Eigentum verbunden wird, werden wir beim Schließen der Vermögensschere nicht vorankommen – und börsennotierte Unternehmen hierzulande übrigens auch immer stärker in ausländischen Besitz kommen.

Und wenn die Blase doch einmal platzt?
Es ist doch so: Egal welchen Betrachtungszeitraum Sie bei einem Index wie dem DAX oder MSCI World nehmen, bei einer Anlagedauer von 15 Jahren und länger war das Verlustrisiko null und die Rendite beträchtlich – trotz Krisen und Crashs. Kurz vor Renteneintritt werden die individuellen Ansprüche in unserem Modell dann durch Umschichtung abgesichert.

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Aktien entwickeln langfristig ihre Stärken. Und das Wesen von Altersvorsorge ist Langfristigkeit. Darum müssen wir höhere Aktienanteile übrigens auch in der zweiten und dritten Säule der Altersvorsorge erlauben – wie es uns etwa die Schweiz und die Niederlande vormachen.

Mehr zum Thema: Auch stark auf Aktien basierende Modelle werden die Rente nicht retten. Die Politik verdrängt die Realität: Wer gesund ist, wird bald länger arbeiten. Viele tun das nur zu gerne – und erproben mit ihren Unternehmen längst den berufsaktiven Ruhestand.

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