Jürgen Trittin Vom Reichenschreck zum Unternehmerversteher

Lange galt Jürgen Trittin als linkspolitischer Rüpel. Nun ist er als Sieger der Urwahl für die Bundestagswahl hervorgegangen. Seine Partei trimmt er in der Finanz- und Wirtschaftspolitik auf Regierungskurs.

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Jürgen Trittin Quelle: Michael Löwa für WirtschaftsWoche

Erst das Vergnügen, dann die Arbeit: Für Jürgen Trittin beginnt das Vergnügen an diesem Tag in Osnabrück mit glasig-zartem Steinbutt und setzt sich beim innen noch roten Rindfleisch fort, gegart bei niedriger Hitze. Außerdem sitzt ihm Jürgen Großmann gegenüber. Der ist Stahlunternehmer und war Chef des Energiekonzerns RWE. Ihm gehört das Lokal „La Vie“ mit Drei-Sterne-Küche, in dem die beiden nun sitzen. Gleich wird Trittin die nahe Georgsmarienhütte besuchen und nach Materialkreisläufen, Wiederverwertung und Stromausfällen fragen. Die Stahlwerker werden stolz sagen, dass ein möglicher Bundesminister zu Besuch ist.

Wie bitte? Der linke Fraktionschef der Grünen im Bundestag und der raumgreifende Unternehmer auf Kuschelkurs? Eine alte wie bewährte Bekanntschaft, versichern beide Seiten. Die beiden Jürgen verbindet die sportliche Freude am Kräftemessen, wie es Trittin ausdrückt. Großmann nannte Trittin früher einen „Wolf im Schafspelz“, dieser lobte ihn sarkastisch als „Großmeister des Lobbyismus“, der sein Privatinteresse gegen das der Allgemeinheit durchsetze. Beste Voraussetzungen also für gute Zusammenarbeit.

Der Tag in Osnabrück ist ein weiterer Beleg für die Metamorphose des 58-jährigen Trittin, der sich selber Schritt für Schritt zum grünen Ansprechpartner für die Wirtschaft aufbaut. Einen dosierten Hang zum Luxus verzeihen ihm seine Grünen längst. In seiner Partei ist er unangefochten. Bei der Urwahl, mit der die Partei ihre Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl heute gekürt hat, lag er weit vorne: Über 70 Prozent der Mitglieder stimmten für ihn. Die Frau, mit der er sich Parteiregeln zufolge den Job teilen muss, ist Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Sie erhielt knapp 47 Prozent der Stimmen.

Wie das Einkommen das Wahlverhalten bestimmt
Die Anhänger dieser Partei würde wahrscheinlich diese Wahlkabinen nicht betreten - es ist die Partei der Nichtwähler. 18,5 Prozent der Nichtwähler verdienen weniger als 1.000 Euro pro Monat. Auch in der Einkommensgruppen über 2.500 pro Monat finden sich immer noch 26 Prozent der Nichtwählerpartei.Quelle: Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig Quelle: REUTERS
Die Linkspartei kommt nicht richtig bei den Armen an. Lediglich 6,8 Prozent ihrer Wähler verdienen weniger als 1.000 Euro - 30,8 Prozent der Linke-Wähler stehen hingegen mehr als 2.500 Euro zur Verfügung. Quelle: dpa
Anders als die Vermutung nahe legt, befindet sich auch die SPD bei den Personen, die weniger als 1.000 Euro verdient, klar in der Minderheit. Nur 6,1 Prozent der SPD-Wähler kommen aus dieser Schicht, während bei den Personen mit einem Einkommen von mehr als 2.500 Euro bereits 31,3-Prozent der Wähler stammt. Quelle: AP
Die Piratenpartei hat eine breite Basis an Anhängern. Sie überholt alle etablierten Parteien im Spektrum der Personen, die weniger als 1.000 Euro verdienen: Sie finden hier 10,8 Prozent ihrer Wähler. Und bei den großen Einkommen über 2.500 Euro vereinen die Freibeuter gleich 31,8 Prozent ihrer Wählerschaft. Quelle: dpa
Untentschlossene Wähler stammen zu 32,9 Prozent aus der Einkommensgruppe über 2.500 Euro. Sie sind auch in der Gruppe unter 1.000 Euro mit 11,4 Prozent vertreten. Quelle: ZB
31,8 Prozent der Wähler, die ihr Stimme der CDU/CSU geben, verdienen mehr als 2.500 Prozent. In der Einkommensgruppe von unter 1.000 Euro sind lediglich nur 5,7 Prozent der Wähler. Quelle: dpa/dpaweb
Gut in den allen Einkommensgruppen vertreten: Die Rechtsparteien. 15,8 Prozent ihrer Wähler verdienen weniger als 1.000 Euro; 35 Prozent mehr als 2.500 Euro. Quelle: dapd

Ehemals alternative Partei mit nun bürgerlichen Wählern

Die künftige Politik der ehemals alternativen Partei mit nun bürgerlichen Wählern wird Trittin bestimmen. Bekannt ist, dass er nach der Bundestagswahl in einer rot-grünen Regierung gerne den Job des Bundesfinanzministers übernehmen würde. Er will unbedingt wieder regieren und bringt seine Partei auf Unterstützerkurs.

Es ist seine zäh erkämpfte Chance nach ganz oben. Die Konkurrenten aus seiner Generation sind gestutzt oder fort. Joschka Fischer verdient prächtig als Unternehmensberater am Berliner Gendarmenmarkt. Künast ist geschwächt durch ihren erfolglosen Wahlkampf in Berlin. Vordenker Fritz Kuhn entfloh als OB nach Stuttgart. Die Jungen trauen sich noch nicht.

Was die Grünen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik durchsetzen wollen

Weiter Weg

Der Prokuristensohn aus Bremen hat einen weiten Weg hinter sich. Während des Studiums in Göttingen probte er mit dem Kommunistischen Bund (KB) den gesellschaftlichen Umsturz und besetzte Häuser. Andere ergraute Aufmüpfige sagen, sie wollten damals doch nur spielen. Nicht Jürgen Trittin. Er sei, sagt er, immer schon konservativ gewesen und habe deshalb nur alte Bürgerhäuser vor dem Abriss bewahren wollen: „Es war illegal, aber heute freut sich das Fremdenverkehrsamt.“ In Dialektik war er immer stark.

Mit den Grünen gelangte er in Niedersachsen 1990 an die Regierung, mit jenem Gerhard Schröder von der SPD, mit dem er auch im Bund ab 1998 koalierte. Trittin war der durchsetzungsstärkste grüne Minister, arbeitete seine Agenda vollständig ab – oft auf Kosten der (Volks-)Wirtschaft. Er beglückte die Republik mit dem Dosenpfand. 2000 handelte er mit den Energiekonzernen den ersten Atomausstieg aus. Und er erfand das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), worauf er bis heute am meisten stolz ist. 2004 verkündete Trittin, für einen Durchschnittshaushalt werde das EEG monatlich nicht teurer als eine Kugel Eis. Tatsächlich sind es sieben Euro, bald zehn. Heute erkennt er an, dass speziell die Solarförderung grotesk unwirtschaftlich ist, will aber nichts Grundsätzliches ändern. Ist es praktizierter Konservatismus am eigenen Denkmal - oder Lernunfähigkeit?

Politischer Rammbock

Die schönsten Parkanlagen
Platz 10: Westfalenpark, DortmundZwar ist das alljährliche Lichterfest schon vorbei - doch der größte Park Dortmunds lockt auch mit anderen Events. Im Oktober gibt es eine öffentliche Führung durch die Gärten des Deutschen Rosariums, außerdem können Gartenfans beim Herbst- und Bauernmarkt stöbern. Heimische Produkte aus Hofläden sorgen für Vorfreude auf einen goldenen Herbst.Das Ranking bezieht sich auf dem Popularitäts-Index der Reise-Webseite TripAdvisor, der auf den Bewertungen und Meinungen auf der Seite basiert. Quelle: Tripadvisor
Platz 9: Botanischer Garten, München Mehr als nur ein kleiner grüner Kaktus: Der Neue Botanische Garten am Nymphenburger Park ist mit einer Fläche von 22 Hektar und jährlich über 400.000 Besuchern einer der größten Botanischen Gärten Deutschlands. Hier kann man auch im Herbst noch unter Palmen wandeln - und ab Dezember in einem tropischen Gewächshaus frei herumfliegende exotische Schmetterlinge bestaunen. Quelle: Tripadvisor
Platz 8: Lichtentaler Allee, Baden-BadenWie geschaffen für einen Herbstspaziergang ist die 2300 Meter lange Promenade. Über 300 verschiedene einheimische und exotische Bäume und Pflanzen, darunter Linden, Kastanien, Gingkobäume oder Silberahorne säumen den Weg. Die Allee führt auch entlang einiger prachtvoller Gebäude, darunter das weltberühmte Brenner's Parkhotel. Im Dahliengarten sind schmucke Büsten von Clara Schumann, Johannes Brahms und Robert Stolz aufgestellt.
Platz 7: Staatspark Karlsaue, KasselDie barocke Anlage vereint Idylle mit Wissenswertem. Gemütliche Bänke auf der großen Wiese vor der Orangerie laden zum Innehalten ein, davor erstreckt sich eine weitläufige Parklandschaft mit Kanälen und kleinen Bächen. Außerdem gibt es einen 6 Kilometer langen Planetenwanderweg, der die Entfernung von Sonne und Pluto symbolisiert. Am Ende des Parks liegt die Insel Siebenbergen, wegen ihrer Flora auch „Blumeninsel“ genannt.
Platz 6: Luisenpark, MannheimDer Luisenpark ist Mannheims größte Parkanlage und liegt am linken Neckarufer. Er gliedert sich heute in zwei Teile: Der Untere Luisenpark ist älter und öffentlich zugänglich, er gilt als Gartendenkmal. Der Obere Luisenpark wird privatwirtschaftlich genutzt. Neben einem Schauhaus mit tropischen und subtropischen Pflanzen werden auch Tiere im Park gehalten: Es gibt unter anderem ein Schmetterlingsparadies, einen Bauernhof, Aquarien und Gehege mit Affen, Eulen oder Pinguinen. Das Maskottchen des Luisenparks ist der Weißstorch.
Platz 5: Potsdamer Gärten/Park Sanssouci, PotsdamOhne Sorge kann man um das Schloss Sanssouci spazieren gehen. Das Rokoko-Bauwerk liegt im östlichen Teil des gleichnamigen Parks und wurde nach Skizzen des Preußenkönigs Friedrich II. erbaut. Alle Schlösser und die Gartenarchitektur in der Parkanlage gehören seit 1990 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Auch „preußisches Versailles“ genannt, fasziniert die historische Anlage mit ihren 290 Hektar und fast 70 Kilometern Wegelänge noch heute. Das Gesamtkunstwerk erfreut das Auge mit barocken Zier- und Nutzgärten, Springbrunnen und vielen weiteren Perlen der Gartenkunst.
Platz 4: Herrenhäuser Gärten, HannoverVom Küchengarten zum Lustgarten: Die herzogliche Anlage hat eine lange Geschichte. Sie wurde 1710 auf bis zu 200 Hektar erweitert, dann im Laufe der Jahre auf 50 Hektar geschrumpft. Das Herrenhäuser Kernstück, der Große Garten, gilt als einer der bedeutendsten Barockgärten in Europa. Jährlich kämpfen Pyrotechniker beim Internationalen Feuerwerkswettbewerb um den Sieg. Auch Musical- und Theateraufführungen, ein Irrgarten und die Große Fontäne locken zahlreiche Besucher an. Quelle: dpa

In der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder stand er mehrmals kurz vor dem Rauswurf. Damals spielte er den politischen Rammbock, verhinderte manchen Konsens mit Hohn und Galle. Einmal sprang ihm in höchster Not sogar seine Mutter öffentlich zur Seite, ihm, der sonst sein Privatleben samt Lebenspartnerin, angenommener Tochter und Enkelin strikt abschirmt. Mutter Helene beschrieb den Sohn als friedliebend und den Mitmenschen zugewandt.

Sein Wandel begann nach der verlorenen Bundestagswahl 2005. Er fing in der Opposition wieder ganz unten an, unterlag bei der Wahl zum Fraktionschef. Der Ex-Umweltminister wurde Fraktionsvize für Außenpolitik. 2009 setzte er sich dann doch als Fraktionschef durch. Trittin besetzt seither die Finanz- und Europapolitik. Staatsverschuldung und Euro-Krise bestimmen die Politik auf Jahre, ein Finanzminister ist mächtiger als ein Außen-Ressortchef. Eigene Ideen hat er nicht geliefert, vehement fordert er Euro-Bonds, als wäre das jetzt endlich das Enteignungsinstrument für die bürgerliche Klasse, dass er in der Sturm- und Drangzeit nie in die Hand bekam.

Thea Dückert, ehemals Grünen-Wirtschaftsexpertin im Bundestag, kennt Trittin seit den Achtzigerjahren – und sie kennt sein Kalkül, sich Themen zu suchen, die Macht versprechen. „Das ist sicher ein Grund, warum er heute auch inhaltlich bei den Grünen unangefochten ist.“ Er stehe eher links, allerdings habe er nun mildere Züge angenommen.

Sehr verlässlich

Widersprüche pflastern seinen Weg. Altkanzler Schröder lobt den damals unpopulärsten Minister als sehr verlässlich. Ähnliches hört man rund um den Unternehmer Großmann: Ja, verlässlich sei er, und offen – zumindest hinter verschlossenen Türen.

Trittin ist machtbewusst und doch notorisch widerspenstig. Privat feinsinnig und politisch schneidend. Selbst langjährige Weggefährten werden selten schlau aus seinen zwei Gesichtern. So stieß er Parteifreunde, mit denen er sich privat gut verstand, bei Konflikten vor den Kopf, bekämpfte sie erbittert. Würden sich Grüne nicht berufsmäßig duzen, wäre das eisige „Sie“ Umgangston geworden.

Respekt

Manche, die unter Trittin zu leiden hatten, erinnern sich: „Früher hat er öfter rumgebrüllt und war aufbrausend.“ Doch sei er nicht immer mutig gewesen. „Jürgen hat sich in schwierigen Situationen erst mal nicht festgelegt.“ Wenn es heikel wurde, etwa als die Grünen 1999 Kampfeinsätze im Kosovo mittragen sollten, musste Joschka Fischer die Partei überzeugen. Trittin wollte das linke Lager, das ihm Mehrheiten beschaffte, nicht verärgern.

Doch Parteileute zollen auch Respekt – trotz mancher Jürgen-Wunden: „Er ist moderater und moderierend geworden. Er hat sich mit diesem Land versöhnt.“ Früher habe er die Bundeswehr abgelehnt. „Heute ärgert er sich über andere, die das tun.“

Kalkulierend und fleißig

Das sind Europas größte Ökostädte
Platz 10: StockholmIn der schwedischen Hauptstadt wird nahezu gleichermaßen geradelt und zu Fuß gegangen. 19 Prozent der Stockholmer schwingen sich hauptsächlich auf das Fahrrad, 16 Prozent gehen zu Fuß. Gerade in der Innenstadt, die auf insgesamt 14 Inseln liegt, bietet es sich an, das Auto stehenzulassen. Quelle: dpa
Platz 9: DiyarbakirIn der zweitgrößte Stadt der Südosttürkei fährt niemand Fahrrad, dafür sind 36 Prozent der Bevölkerung hier zu Fuß unterwegs, was der türkischen Metropole den neunten Platz im Ranking einbringt. Quelle: dpa
Platz 8: GrazDie Landeshauptstadt der Steiermark in Österreich ist von vielen Fußgängerzonen geprägt. Zehn Prozent der Bevölkerung gehen hier zu Fuß. Auch das Radfahrnetz ist sehr gut ausgebaut. Grund dafür waren Aktivisten, die bereits 1980 einfach einen Radfahrstreifen auf der Straße einzeichneten und mit einem entsprechenden Symbol kennzeichneten. Für ihre Aktion wurden sie polizeilich abgestraft. Heute ist Graz eine äußerst radfahrerfreundliche Stadt. 28 Prozent der Bevölkerung steigen hier aufs Radl. 120 Kilometer Radwege sind angelegt. Bis 2035 will man 190 Kilometer realisieren. Quelle: dpa
Platz 7: AalborgIn der norddänischen Stadt Aalborg am Limfjord gehen lediglich vier Prozent der Bevölkerung zu Fuß, dafür steigen 37 Prozent auf das Fahrrad. Quelle: dpa
Platz 6: MalmöÄhnlich sieht es bei den südschwedischen Nachbarn aus. Acht Prozent der Malmöer gehen zu Fuß, dafür nehmen 37 Prozent regelmäßig das Fahrrad. Zum Bummeln bietet sich neben der Innenstadt vor allem der moderne Hafenstadtteil Västra Hamn mit seinen Restaurants, Cafés und dem Turning Torso, dem höchsten Gebäude Schwedens an. Außerdem ist die Infrastruktur für den Fahrradverkehr gut ausgebaut. Nach Angaben der Stadtverwaltung wird Malmö regelmäßig als radfahrerfreundlichste Stadt in Schweden bewertet. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 5: OuluDie Finnen sind bekanntlich hart im nehmen. Wer bei Wind und Wetter schwimmen geht, lässt sich auch als Fußgänger und Radfahrer nicht lumpen. Zehn Prozent der Einwohner in der nordwestfinnischen Stadt gehen regelmäßig zu Fu, 28 Prozent radeln am liebsten. Quelle: dpa
Platz 4: OviedoIn der Hauptstadt der autonomen Gemeinschaft im Fürstentum Asturien im Norden Spaniens bewegt man sich gern. Jedenfalls zu Fuß. Wie in Diyarbakir fahren die Ovetenser kein Fahrrad. Dafür sind mit 48 Prozent fast die Hälfte der Einwohner regelmäßig per Pedes unterwegs. Quelle: dpa

Wohl machte ihn auch ein Herzinfarkt milder, den er Anfang 2010 erlitt. Ein Schock, dass er, der Schlanke, der Sportliche, seiner Veranlagung nicht davonlaufen konnte. Schnell war Trittin wieder fit, muss aber Medikamente schlucken.

Trittin ist kalkulierender Fleißarbeiter. Dazu gehört die Tingelei bei Wirtschaftsverbänden. Bisher luden die eher Parteichef Cem Özdemir ein, weil der eine verträgliche Mischung aus Ökoschauer und Bürgerlichkeit bot. Doch nun drängt sich Trittin an die Rednerpulte und Mittagstische der Wirtschaftsleute. Er will die Macht, und die Funktionäre suchen den Kontakt zum vielleicht bald Mächtigen, selbst die Energie- und Grünenfresser vom Stahlverband. Bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) war er im Oktober erstmals zu Gast.

Dort trat er mit schmalem, dunkelblauem Anzug samt dezent gestreiftem Binder auf; nur die störrische Strähne hoch über der Stirn hüpfte aus der Reihe. Trittin zeigte sich schneidend, schlau und seriös – nur nicht sympathisch. Er verlangte den Mindestlohn und eine Vermögensabgabe. Stotternde Energiewende? Schuld seien die etablierten Erzeuger, die den Umstieg torpedierten, und die Regierung, die durch zahlreiche Ausnahmen für die Industrie alles verteuere. Er nutzte den Auftritt zum „offenen Schlagabtausch“, als Schaukampf für die eigenen Wähler, dass er sich nicht zu sehr anpasst.

Kontrollierter

Doch bei all den Nadelstichen wirkt er weitaus kontrollierter als früher. Und beim Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) war das Publikum ihm sogar zum Teil gewogen – schließlich verdienen viele Maschinenbauer an der staatlich verordneten Energiewende prächtig mit. Trittin, der keinen Führerschein besitzt und Staus auf der Autobahn früher als „kostenlose Lagerhaltung“ verspottete, outete sich vor den Unternehmern als technikbegeistert. Er lasse keine Hannover Messe aus, twittere eifrig und habe zu Hause allerlei neuestes Technikspielzeug. Der Rad fahrende Fraktionschef verkündete: „Wir waren immer stolz auf unsere Infrastruktur.“ Doch in Deutschland fehle Geld für Beton und Teer. „Wir können ja nicht mal mehr Straßen und Brücken erneuern.“

So gezähmt Trittin auftritt – sein Blick, stur an einen Punkt kurz oberhalb des Publikums geheftet, und der oft spöttisch verzogene Mund verraten nach wie vor Distanz. Nach der Rede beim VDMA lud ihn der Geschäftsführer der schwäbischen ebm-papst-Gruppe, Rainer Hundsdörfer, an seinen Stand und führte die neuesten Recyclinggehäuse für Ventilatoren vor. Der Firmenchef sieht Trittin nüchtern: „Die Kluft ist nicht mehr so groß.“ Energiesparen sei in der Industrie längst Standard. Die Ökopartei habe sich umgekehrt angenähert. „Die Grünen können auch rechnen.“

Er schätzt Merkel als schnörkellos und rational

Ist am Ende mit Trittin sogar eine schwarz-grüne Koalition in Berlin denkbar? An Trittin würde ein solches Bündnis weniger scheitern als an seiner Parteibasis. Er schätzt Angela Merkel als schnörkellos und rational. Gemeinsam haben sie, dass ihnen in ihrer Partei lange nicht der Platz ganz vorne zugedacht war.

Jetzt ist der Gehäutete dort angekommen und zeigt, wie unterschiedlich zur CDU sich Führungsleute der Grünen behaupten müssen. So blitzt immer noch der Reichenschreck von ganz früher durch. Neulich ließ er mal wieder Sätze wie diesen los: „Ein verschuldeter Staat zahlt den Leuten Zinsen, bei denen er sich vorher ordentliche Steuern nicht getraut hat.“ Peng. Ein bisschen Rabatz wird doch wohl erlaubt sein.

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