Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier "Die Jugend ist leidenschaftslos und dekadent"

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Ressentiment statt Rebellion

In der alten Industriegesellschaft drohte stets die Revolte unzufriedener junger Menschen. Für die Jugend von heute ist das anscheinend kaum eine Option. Könnte sich das irgendwann wieder ändern?

Ich glaube, dass aus der saturierten gesellschaftlichen Mitte kein politisches Engagement kommen wird, trotz Abstiegsängsten. Diese Mitte neigt weniger zur Rebellion als zum Ressentiment. Das äußert sich, indem sie AfD wählen. Ein degeneriertes Bürgertum, das nicht mehr teilen und nichts abgeben möchte. Das sind Leute, die einen versteckten Groll spüren und die Faust in der Tasche ballen. Wenn es den Geist der Rebellion noch gibt, kommt er aus den unteren Schichten, aus dem Hartz-IV-Milieu, und orientiert sich eher nach rechts.

Machen Sie in Ihren Untersuchungen große Unterschiede zwischen heimischen Jugendlichen und solchen mit Einwanderungsgeschichte aus?

Ja, sehr große Unterschiede. Die heimische Jugend ist anpassungsbereit, müde, träge, leidenschaftslos, dekadent. Die migrantischen Jugendlichen dagegen haben Energie und Leidenschaft, sind vital und durchsetzungsfreudig. Die ziehen sich nicht zurück, wenn es einen Konflikt gibt. Auch wenn der Konflikt mit Fäusten ausgetragen wird.

Was Deutschlands Jugend wichtig ist
Ihre Familie hat für die meisten Jugendlichen einen hohen Stellenwert. Quelle: dpa
Ein sicherer Job ist fast allen (95 Prozent) wichtig oder sehr wichtig. Karriere ist aber eher zweitrangig Quelle: dpa
Etwa jeder dritte Jugendliche ist in der Freizeit gesellig Quelle: dpa
72 Prozent gehen nach eigener Aussage vorsichtig mit ihren Daten um Quelle: dpa
Das Interesse der Jugend an Politik steigt. Quelle: dpa
62 Prozent der Jugendlichen sind stolz, Deutsche zu sein. Quelle: dpa
Freundschaft, Partnerschaft und Familie stehen ganz oben Quelle: dpa

Von der Generation Y, die in ihrem Arbeitsleben nach Sinn und Selbstverwirklichung sucht, ist in Ihren Analysen keine Rede.

Ich halte die so genannte Generation Y für einen Marketing-Gag der Berater-Branche. Die Eigenschaften der Generation Y treffen nur auf eine kleine Minderheit des Alterssegments zu, nämlich auf die 15 Prozent der Arbeitsmarktelite. Das ist das Performer-Milieu der Leute, für die sich McKinsey interessiert. Die junge Frau an der Kasse vom Penny-Markt gehört nicht zur Generation Y. Die sucht keinen Sinn bei ihrer Arbeit – da würde sie ja verrückt. Sie weiß, dass sie nie Karriere machen wird. Und die Frage nach der Work-Life-Balance stellt sich ihr auch nicht.

Ihr aktuelles Buch heißt im Untertitel „Zur Hölle mit den Optimisten“. Aber gehört der Optimismus nicht notwendigerweise zur Jugend?

Ich habe natürlich nichts dagegen, dass die jungen Leute glauben, dass ihr Leben einen positiven Verlauf nehmen wird. Was ich ablehne, ist der heute herrschende repressive Optimismus. Er wird zur Pflicht gemacht, weil der optimistische Mensch produktiver ist und die bestehenden Verhältnisse nicht in Frage stellt. Dazu gehört auch dieser idiotische, spirituelle Optimismus: Wenn man etwas wirklich will, dann bekommt man es auch. Das bedeutet dann natürlich auch, dass jedes Scheitern der persönlichen Verantwortung des Gescheiterten überantwortet wird.

Sie gehen mit der heutigen Jugend ziemlich hart ins Gericht. Aber gleichzeitig erleben wir das historisch einzigartige Phänomen, dass die Jugend in mancherlei Hinsicht zum Vorbild der Älteren wird. Es gibt grauhaarige Männer, die sich anziehen und benehmen wie ihre eigenen Söhne.

In Thomas Manns „Der Tod in Venedig“ gibt es diese Figur des jugendlich gekleideten Mannes auf dem Schiff. Als er sich umdreht, merkt man erst, dass er ein altes Gesicht hat. Damals, 1911, war das eine lächerliche Figur. Heute ist es eine Pflicht, die dem alten Menschen auferlegt wird. Man hat sich möglichst aktiv und fit zu halten und auch so zu benehmen. Wer nicht mehr jung ist, gehört nicht mehr dazu. Man muss sich also als jung präsentieren, auch durch den Kleidungsstil. Alte Menschen bekommen keine Anerkennung mehr, weil sie nichts mehr leisten.

Womit die Jugend als eigener Lebensabschnitt abgeschafft wäre.

Ja. Ein Begriff, der verallgemeinert wird, verliert jede Bedeutung. Wenn alle jugendlich sind, kann man auch gleich Mensch sagen. Und die wirklich Alten verbirgt man in Altenheimen.



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