Jura-Professorin Stadler „Die Musterklage ist ein Placebo-Gesetz“

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"Das Gesetz ist völlig überflüssig"

Wozu braucht es dann die Musterfeststellungsklage?
Ich finde: Das Gesetz ist völlig überflüssig. Wir sollten den Weg gehen, den andere in Europa auch gehen. Wir sollten den Verbänden die Möglichkeit geben, nicht nur auf Unterlassung, sondern auch auf Schadenersatz zu klagen. Denn die Frage ist ja wirklich: Wem nützt es, dass das Musterklageverfahren zweistufig ist? Dem Verbraucher sicherlich nicht, denn man kann davon ausgehen, dass viele in der zweiten Stufe nicht weiter prozessieren werden. Da kommt schon der Verdacht auf, dass man eigentlich gar kein effektives Klageinstrument will.

Was schlagen Sie vor?
Effektiv wäre es, wenn der Verband sofort auf Schadenersatz klagen könnte. Entweder für einzelne Geschädigte oder zugunsten eines Fonds, aus dem dann das Geld verteilt wird. Warum sollte der Verband erst ein Feststellungsurteil erwirken müssen? Das macht außerhalb Deutschlands im kollektiven Rechtsschutz niemand so. Der Vorteil wäre außerdem: Vergleiche wären einfacher möglich, da die Verbände mit der Schadensersatzklage ein wirksames Druckmittel in der Hand hätten.

Ist das so ähnlich wie eine Sammelklage?
Das wäre eine Verbandsklage mit der Möglichkeit, auf Schadenersatz zu klagen. Das war auch immer die Idee der EU-Kommission. Wir in Deutschland versuchen immer unsere Wirtschaft zu schützen, indem wir mit weniger effektiven Instrumenten arbeiten und das als Verbraucherschutz verkaufen. Das ist nicht akzeptabel.

Also wäre eine abgemilderte Form der US-Sammelklage, wie es der EU vorschwebt, besser als die deutsche Musterklage?
Mit der amerikanischen Sammelklage hat das nichts zu tun, was die EU vorschlägt. In den USA kann jeder einzelne Geschädigte im Namen von allen klagen. Noch dazu mit anwaltlicher Unterstützung und anwaltlichem Erfolgshonorar. Bei uns geht es darum, Missbrauch zu verhindern, indem nur bestimmte Einrichtungen klageberechtigt sind. Wenn wir diese Beschränkung schon einführen, dann verstehe ich nicht, warum diese Einrichtungen nicht gleich auf Schadenersatz klagen dürfen sollen.

Welche Chancen sehen Sie für den EU-Ansatz?
Durch den VW-Skandal hat sich die Stimmung in den Mitgliedstaaten verändert. Man ist also eher geneigt, diese Form der Sammelklagen zuzulassen. Man sieht ja auch, dass die VW-Schadensfälle in den USA innerhalb eines Jahres bereinigt waren. Die Betroffenen bekommen Schadenersatz oder können ihre Autos zurückgeben. Und bei und passiert eben nichts. Deswegen könnte ich mir gut vorstellen, dass die EU-Kommission mit einem verbindlichen Instrument, das die Mitgliedstaaten einführen müssen, Erfolg haben könnte. Dann macht es natürlich wenig Sinn, dass Deutschland jetzt eine Musterklage beschließt, wenn das in kurzer Zeit wieder geändert werden muss.

Aus Sicht des Justizministeriums bietet die Musterklage aber fast nur Vorteile.
Klar, die SPD will das politisch natürlich als ihren Erfolg verbuchen. Das halte ich aber für problematisch. Man versucht, dem Verbraucher etwas als sehr fortschrittlich zu verkaufen. In Wahrheit wird die Musterklage in nur ganz wenigen Fällen helfen. Und wenn man dann irgendwann feststellt, dass das Gesetz doch nicht so funktioniert, wie gewünscht, dann werden alle schuld sein, nur nicht der Gesetzgeber. Dann wird es heißen: Die Verbände schaffen es nicht. Oder: Die Verbraucher wollen halt nicht in der zweiten Phase, da kann man ihnen auch nicht helfen, dann sollen sie eben zu MyRight gehen. Das ist aber keine Entschuldigung dafür, dass der Gesetzgeber gleich etwas hätte konzipieren können, was wirklich geholfen hätte.

Was ist die Musterklage unterm Strich dann für sie, wenn sie nicht wirklich etwas bringt?
Die Musterklage ist ein Placebo-Gesetz. Die Politik schafft sehenden Auges ein Gesetz, dessen Effektivität nahezu gleich null sein wird. Vor allem bei Fällen, die unter einer bestimmten Schadensschwelle liegen. Der Verbraucher wird dann schlicht keine Lust haben, zu prozessieren, weil er das Risiko und den Zeitaufwand nicht in Kauf nehmen will. Diese Verbraucher bleiben damit bei der Musterfeststellungsklage auf der Strecke. Die Politik hofft zwar, dass die Verbraucher gar nicht erst individuell klagen müssen, weil es vorher schon einen Vergleich gibt. Das halte ich aber für realitätsfern.

Warum?
Darauf lassen sich die Unternehmen ja jetzt schon nicht ein, wenn sie erfolgreich auf Unterlassung verklagt wurden. Es wurden hinterher nicht freiwillig Vergleiche über den Schadensausgleich geschlossen. Da wird abgewartet, ob jemand tatsächlich klagt. Aus Sicht der Unternehmen ist das auch eine völlig richtige wirtschaftliche Strategie. Deshalb halte ich es für blauäugig, wenn die Politik meint, mit der Musterklage könnte es am Ende Massenvergleiche zugunsten der Verbraucher geben.

Wie ist ihre Erwartung an das weitere Gesetzgebungsverfahren?

Die Musterfeststellungsklage lässt sich nicht mehr aufhalten, sie wird kommen. Ich hoffe, dass von der europäischen Ebene sehr bald Vorgaben kommen, die deutlich andere Instrumente verlangen. Und selbst wenn das nicht der Fall sein wird, würde ich mir wenigstens wünschen, dass man nach einiger Zeit in Deutschland eine ehrliche Bestandsaufnahme macht und schaut: Welche Fälle wurden denn mit dem neuen Klageinstrument wirklich angegangen und welche sind auf der Strecke geblieben? Und vielleicht wird dann ja auch nachgebessert. Sehr optimistisch bin ich aber nicht.

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