Justiz Die fragwürdigen Nebenverdienste der Richter

Seite 4/8

Bundesverfassungsgericht bleibt konsequent

Unternehmer Schwalb Quelle: Achim Kafflein für WirtschaftsWoche

Konsequent allerdings scheinen einzig die Richter des Bundesverfassungsgerichts zu sein. Auf Nachfrage zu Nebentätigkeiten verweisen sie energisch auf das Bundesverfassungsgerichtsgesetz, dort heißt es: „Mit der richterlichen Tätigkeit ist eine andere berufliche Tätigkeit als die eines Lehrers des Rechts an einer deutschen Hochschule unvereinbar.“

Doch selbst die höchsten deutschen Richter müssen sich derzeit mit einer delikaten Angelegenheit in eigener Sache auseinandersetzen. Es geht um eine möglicherweise illegale Praxis beim Verkauf von Verfassungsgerichtsurteilen an Datenbanken und Verlage. Christoph Schwalb heißt der Mann, der das Verfassungsgericht vor Gericht gebracht hat. Der 55-Jährige ist geschäftsführender Gesellschafter des kleinen Jura-Fachverlags LexXpress im badischen Gundelfingen nahe Freiburg. „Ein jahrzehntealtes Juristenkartell knacken“, nicht weniger als das ist sein Ziel.

"Datenbanken sind ein Millionengeschäft"

„Die Richter fällen ihre Urteile im Namen des Volkes, und dafür werden sie vom Volk auch gut bezahlt“, sagt Schwalb. „Dennoch versuchen sie, ihre Entscheidungen zusätzlich zu Geld zu machen.“ Dafür haben sie sich auf einen merkwürdigen Deal mit dem weit größeren LexXpress-Konkurrenten Juris GmbH eingelassen. Die gehört zur Hälfte der Bundesrepublik, die andere Hälfte besitzt ein französisch-niederländischer Verlag.

Was die blanken Urteilstexte für die Datenbanken erst wertvoll macht, ist die sogenannte Dokumentation. Dabei werden die Texte mit digitalen Markierungen versehen und sind dann sortiert abrufbar, etwa nach Leitsätzen, Aktenzeichen, Entscheidungsdatum. Diese Arbeit erledigen die Dokumentationsstellen der Gerichte. Als einziger Anbieter erhält Juris die dokumentierten Urteile. Im Gegenzug stellt das Unternehmen seine Datenbank den Gerichten zur Verfügung. Juris muss aber auch garantieren, die Urteile nur für seine eigene Datenbank zu verwenden und sie ohne Zustimmung nicht weiterzugeben an andere Datenbanken oder Buchverlage.

„Mit dieser Klausel werden die privaten Nebentätigkeiten der Richter geschützt“, sagt Schwalb. LexXpress und andere Datenbanken nämlich bekommen nur die undokumentierten Rohtexte, und sie müssen dafür bezahlen – je nach Gericht an den ansässigen Richterverein oder eigens gegründete Vermarktungsgesellschaften der Richter. Auch die jährlichen Entscheidungssammlungen geben nicht etwa die Gerichte heraus, sondern die Richter in privater Nebentätigkeit.

Im Kampf gegen Juris

Schwalb ärgert sich über die Ungleichbehandlung, denn „die Datenbanken sind ein Millionengeschäft“. Etliche Anwaltskanzleien, Ministerien und Behörden, juristische Fakultäten an Universitäten, aber auch Wirtschaftsprüfer und Steuerberater brauchen Zugang zur aktuellen Rechtsprechung. Bei Juris zahlen sie bis zu 1.800 Euro für Datenbankzugänge. Juris machte 2012 bei einem Umsatz von 39,3 Millionen Euro einen Jahresüberschuss von 7,9 Millionen Euro, eine Umsatzrendite von satten 20 Prozent.

Seit einem Jahrzehnt versucht Schwalb, gegen die Juris-Privilegierung vorzugehen, im vergangenen Jahr hatte er erstmals Erfolg: Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg verurteilte das Bundesverfassungsgericht dazu, Schwalb und LexXpress seine Urteile in derselben Form und zu denselben Konditionen zur Verfügung zu stellen wie Juris auch. Das Verfassungsgericht wie auch Juris legten Revision ein, jetzt liegt die Sache beim Bundesverwaltungsgericht.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%