Justizminister Maas in der Kritik „Runder Tisch“ soll „Facebook-Gesetz“ verhindern

„Schnellschuss“, „völlig unausgegoren“: Immer lauter wird die Kritik am Gesetzentwurf von Justizminister Maas zur Bekämpfung von Hasskommentaren bei Facebook. Nun soll ein „Runder Tisch“ das Schlimmste verhindern.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Facebook, Twitter & Co müssen mit harten Strafen rechnen, wenn sie offensichtlich strafbare Inhalte wie Verleumdung oder Volksverhetzung nicht innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde löschen oder sperren. Quelle: AP

Berlin Die Kritik am Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zur Bekämpfung von Hassbotschaften und Falschnachrichten im Internet reißt nicht ab. Politiker von Union, Grünen und FDP sowie die Digitalwirtschaft warnen vor einer Verabschiedung des sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes noch vor der Bundestagswahl. Sie plädieren stattdessen dafür, einen „Runden Tisch“ zum Thema einzurichten, um alternative Maßnahmen auszuloten.

„Bei einem so vielschichtigen Problem wie Hetze und Hass im Netz ist ein gesamtgesellschaftlicher Lösungsansatz unter Anhörung von Zivilgesellschaft und betroffenen Unternehmen durchaus sinnvoll“, sagte der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz dem Handelsblatt. Hier brauche es „ausgewogene wie wirksame Antworten“. Ein „Runder Tisch“ könne dafür „ein erster guter Ort“ sein.

Eine andere Möglichkeit wäre die Verbändebeteiligung gewesen, fügte von Notz hinzu. „Allerdings hat sich der Justizminister lange genug mit unverbindlichen PR-Aktionen wie Offenen Briefen und zahnlosen Task-Forces begnügt, nur um auf den letzten Metern vorm Wahlkampf mit einem völlig unausgegorenen und überhasteten Gesetzentwurf über zu reagieren.“

Die Vize-Chefin der Unions-Bundestagsfraktion, Nadine Schön, zeigte sich zwar offen für einen „Runden Tisch“, warnte zugleich aber davor, bei dem Thema auf Zeit zu spielen.  „Wichtig ist es mir zu betonen, dass wir schnell aktiv werden müssen. Sollte man mit einem Runden Tisch diesem Ziel näher kommen – dann ist mir das recht“, sagte die CDU-Politikerin dem Handelsblatt. „Gleichwohl wurde in den letzten Jahren genug zu dem Thema geredet. Es ist jetzt Zeit zu handeln.“

Deutlich kritischer äußerte sich die Vorsitzende des CSU-Netzrates, Dorothee Bär. „Das Gesetz ist ein Schnellschuss, das Justizministerium agiert hier nicht als Wahrer der Bürgerrechte, sondern verbietet, was es nicht versteht“, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Soziale Netzwerke seien die „Speakers Corner unserer Zeit“, betonte sie, in denen frei und öffentlich gesprochen werden dürfe. „Freiheit ist aber manchmal anstrengend. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll jetzt‎ Anstrengung und Freiheit begrenzen“, kritisierte Bär. „Zukünftig droht jedem irgendwie unbequemen Beitrag die Löschung, sobald jemand die Freiheit des Andersdenkenden nicht achtet.“

Die Idee eines „Runden Tisches“ brachte zuerst eine breite Allianz von Wirtschaftsverbänden, netzpolitischen Vereinen, Bürgerrechtsorganisationen und Rechtsexperten ins Spiel. Das Bündnis hatte sich am vergangenen Freitag mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesjustizministerium Ulrich Kelber (SPD) in Berlin getroffen und dabei den Vorschlag unterbreitet. Auf Anfrage des Handelsblatts wollte das Ministerium dazu keine Stellungnahme abgeben.


„Dann sollte Justizminister Maas seine Sachen packen“

FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki sieht indes Handlungsbedarf und unterstützt das Ansinnen der Digitalwirtschaft. „Die Bundesregierung muss die Warnungen der Fachverbände ernst nehmen. Es kann nicht sein, dass private Unternehmen dazu verpflichtet werden, für die Umsetzung von Recht und Gesetz zu sorgen“, sagte Kubicki dem Handelsblatt. „Wenn Justizminister Heiko Maas es nicht schafft, in seinem Verantwortungsbereich den Rechtsstaat durchzusetzen, sollte er seine Sachen packen.“

Der Verband der Internetwirtschaft eco begründete die Forderung nach einem „Runden Tisch“ mit den Auswirkungen, die das „handwerklich schlecht gemachte Gesetz“ von Maas nach sich ziehen könnte. Mit dort genannten starren Fristen und hohen Bußgeldern bestünde die Gefahr, dass die Meinungsfreiheit im Netz „massiv“ Schaden nehmen könne, sagte eco-Vorstand Oliver Süme dem Handelsblatt. Im Zweifel würden betroffene Unternehmen zukünftig auch Beiträge löschen, die von der Meinungsfreiheit noch gedeckt seien. „Dass dieser gesetzgeberische Schnellschuss jetzt noch durch den Bundestag gepeitscht werden soll, wird der grundsätzlichen Bedeutung der Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft nicht ansatzweise gerecht“, kritisierte Süme.

Nötig sei vielmehr „eine fundierte und sachliche Debatte über einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz und nicht die einseitige Verlagerung von Aufgaben auf Unternehmen, für die eigentlich Gerichte zuständig sind“. Ein „Runder Tisch“, wie ihn die „Allianz für Meinungsfreiheit“ fordere, sei dafür „die geeignete Plattform“, so Süme. „Wir plädieren grundsätzlich für Gründlichkeit vor Schnelligkeit, vor allem in diesem sensiblen Bereich der Meinungsfreiheit.“

Die „Allianz für Meinungsfreiheit“ hatte kürzlich schon in einer gemeinsamen Deklaration vor den „katastrophalen Auswirkungen“ gewarnt, sollte das Netzwerkdurchsetzungsgesetz vom Bundestag verabschiedet werden. Anfang April hatte die Bundesregierung das Gesetz auf den Weg gebracht. Bundesjustizminister Maas will damit Plattformbetreiber und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter bei der Löschung von strafbaren Inhalten stärker in die Pflicht nehmen.

Die Unterzeichner der Deklaration fordern eine politische Gesamtstrategie gegen Hassreden und absichtliche Falschmeldungen im Netz. Das geplante Gesetz genüge aber nicht diesem Anspruch und stelle im Gegenteil „die Grundsätze der Meinungsfreiheit in Frage“, schreibt Reporter ohne Grenzen. Der Digitalverband Bitkom betont, dass die Androhung hoher Bußgelder und die gleichzeitig sehr kurzen Reaktionsfristen die Plattformbetreiber im Zweifel dazu trieben, für die Löschung auch nicht strafbarer Inhalte zu entscheiden.


Enger Zeitplan

Von Zwangslöschungen könnten nach Ansicht der Unterzeichner auch Beiträge von Bürgerrechtlern oder etablierten Medien betroffen sein. Vor allem in Fällen, bei denen die Rechtswidrigkeit nicht, nicht schnell oder nicht sicher festgestellt werden könne, „sollte kein Motto Im Zweifel löschen/sperren bestehen“, heißt es in der Deklaration. Ein solches Vorgehen hätte „katastrophale Folgen für die Meinungsfreiheit“.

Unterschrieben haben die Deklaration neben eco auch noch die Verbände Reporter ohne Grenzen, Bitkom, Deutscher Journalisten-Verband (DJV), Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU), Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), Bundesverband IT-Mittelstand (BITMi), die Internet Society, der Chaos Computer Club, Wikimedia Deutschland sowie zahlreiche Rechtswissenschaftler.

Zu den Unterzeichnern gehören auch der SPD-nahe Digitalverein D64 sowie der konservative cnetz e.V.  Dessen Co-Chef, der netzpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek, steht der Forderung nach einem „Runden Tisch“ allerdings zurückhaltend gegenüber. „Ich verstehe die Argumente der Vereine und Verbände und teile viele der Sorgen wie auch Ideen für Alternativen“, sagte der CDU-Politiker dem Handelsblatt. Einige habe cnetz selbst eingebracht. „Aber die Diskussion muss in der Sache erfolgen und sollte nicht von Anfang an davon ausgehen, nicht mehr vor der Bundestagswahl zum Erfolg zu kommen. Daher teile ich viele Ideen, wünsche mir aber mehr Tempo.“

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sieht vor, dass Plattformbetreibern wie etwa Facebook Löschfristen bei offensichtlich strafbaren Inhalten wie Volksverhetzung auferlegt werden. Bei Verstößen drohen Bußgelder in Millionenhöhe.

Den Grünen geht das zu weit. Gegen Hass, Hetze und Fake News im Netz brauche es „klare, aber differenzierte Regeln sowie einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz aus Prävention, Beratung und einer starken Zivilgesellschaft“, sagte Fraktionsvize von Notz. „Die Regierung verdonnert einfach die Anbieter viel zu pauschal zu überhastetem Löschen.“ Stattdessen müssten die großen Plattformanbieter „zügig aber gründlich unter Berücksichtigung beider Seiten prüfen und dann entweder löschen oder aber einen für legal befundenen Inhalt wieder online stellen“.

Das Gesetz soll vom Bundestag noch vor dem Sommer verabschiedet werden. Das allerdings könnte knapp werden, zumal der Gesetzentwurf Ende März der EU-Kommission zur Notifizierung vorgelegt wurde. Das heißt: Brüssel prüft, ob das Gesetz mit EU-Recht vereinbar ist. Drei Monate sind hierfür vorgesehen.

Bis zum Abschluss des Verfahrens Ende Juni gilt eine sogenannte Sperr- oder Stillhaltefrist. Während dieses Zeitraums besteht ein Durchführungsverbot. Dem Mitgliedstaat ist demnach untersagt, die Anwendung des betreffenden Gesetzes zu veranlassen.  Verstreicht die Sperrfrist, ohne dass die Kommission Bedenken oder Einwände erhebt, ist es dem Mitgliedstaat gestattet, das Gesetz in Kraft treten zu lassen.

Ende Juni tritt auch der Bundestag zum letzten Mal vor der Sommerpause zusammen. Sollte die EU-Kommission noch Korrekturbedarf am Maas-Entwurf anmelden, dürfte ein Parlamentsbeschluss kaum noch zu schaffen sein.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%