Kalte Progression Schäuble und Gabriel streiten über Bürgerentlastung

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will die kalte Progression noch in der Amtszeit dieser Regierung abschaffen. Doch das Finanzministerium traut seiner Gegenfinanzierung nicht – und wischt das Vorhaben vom Tisch.

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Gabriel (l.) und Schäuble: Suche nach finanziellen Spielräumen. Quelle: dpa

Berlin Das Bundesfinanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) hat der Einschätzung von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) widersprochen, wonach es durchaus Möglichkeiten gebe, die kalte Progression abzubauen. Der SPD-Chef hatte seinen Vorstoß mit einer „riesigen Anzahl von Minderausgaben und Mehreinnahmen durch den Mindestlohn“ begründet, die dadurch entstehe, dass Menschen mehr Sozialabgaben zahlten. Daher sei er sicher, „dass wir in dieser Legislaturperiode auch zu einem Ergebnis kommen würden“.

Die „kalte Progression“ entsteht, wenn Lohnerhöhungen nur die Inflation ausgleichen und die Kaufkraft des Arbeitnehmers nicht steigt. Durch den Tarifverlauf bei der Einkommensteuer zahlt er dann überproportional mehr Steuern an den Fiskus. Deshalb ist auch von einer „versteckten Steuererhöhung“ die Rede.

Schäubles Staatssekretär Michael Meister (CDU) erklärte in einer Handelsblatt Online vorliegenden Antwort auf eine schriftliche Frage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Lisa Paus, zu den Auswirkungen der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gebe es zahlreiche Studien mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. „Da es aber insbesondere an validen partialanalytischen Untersuchungen mangelt und dadurch große Unsicherheiten bei der Quantifizierung von Effekten des Mindestlohns bestehen, kann derzeit keine belastbare Aussage dazu gemacht werden, ob – und wenn ja, in welcher Höhe – es finanzielle Spielräume gibt.“

Paus, Sprecherin der Grünen für Steuerpolitik, warf der Regierung einen Schlingerkurs vor. „Die Sommerkomödie der Koalition geht in den nächsten Akt“, sagte Paus Handelsblatt Online. Erst kündige der Wirtschaftsminister „riesige“ Minderausgaben und Mehreinnahmen an, jetzt wisse die Regierung nicht mal, ob der Mindestlohn überhaupt einen Effekt auf die Haushaltslage habe. „Wie lange soll dieses Theater noch weiter gehen?“, fragte Paus.

Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU)  hatte bereits mehrfach betont, dass ein Abschmelzen der kalten Progression aktuell nicht finanzierbar sei. Zuletzt hatten aber auch sowohl der Wirtschafts- als auch der Arbeitnehmerflügel der Union gefordert, das Thema neu aufzugreifen. 


„Politiker sollten auch mal den Mund halten“

FDP-Chef Christian Lindner forderte in einem öffentlichen Brief den einstigen Koalitionspartner Union, sich nicht länger an der kalten Progression zu bereichern. Gabriel und die Gewerkschaften hätten die Position der FDP übernommen, schrieb Lindner. Tatsächlich hatten sich die Sozialdemokraten im Bundestagswahlkampf für eine Erhöhung mehrerer Steuern eingesetzt.

Der Abbau der kalten Progression war eines der großen Themen der schwarz-gelben Vorgängerregierung gewesen. Ihr Vorstoß zur Änderung des Tarifverlaufs war in der vergangenen Legislaturperiode allerdings am Widerstand des grün- und rot-dominierten Bundesrates gescheitert. Nun unterstützen die Finanzminister mehrerer SPD-geführter Länder zwar entsprechende Forderungen aus der Union – aber nur unter der Bedingung, dass sie dafür nicht aufkommen müssen. 

Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) hält eine umfassende Steuerreform für geboten, zumal, die Große Koalition dazu die Kraft habe. Gabriels Forderung nach einer Abschaffung der kalten Steuerprogression kritisierte sie hingegen. „Ich kann Herrn Gabriel nur sagen: Wenn die Leute das Gefühl haben, dass Tricksereien und Schwarze-Peter-Spiele veranstaltet werden, kommen wir nicht weiter“.

Eine Abschaffung der kalten Progression zu fordern, ohne auf die finanziellen Spielräume des Bundes zu achten, sei keine glaubwürdige Politik. „Worten sollten Taten folgen. Wenn das nicht möglich ist, sollten Politiker auch mal den Mund halten.“

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