Als Stefan Franzke den Briten sagt, dass es mit ihnen nun endgültig vorbei ist, da hat er seinen Tag gerade erst begonnen. Franzke, ein schlaksiger, immer etwas nervöser Mann im schmalen, dunkelblauen Anzug, die Haare leicht gegelt, den Bart sauber ausrasiert, hannoveraner Hochdeutsch, etwas holpriges Englisch, steht in einem Ladenlokal im hippen und teuren Londoner Stadtteil Soho. Unter der Decke rote Luftballons mit dem Berliner Stadtlogo. Aus dem Schaufenster grüßt ein „humanoider“ Roboter aus der Hauptstadt. In der Ecke summt eine Drohne, die Osram mit einem Start-up von der Spree entwickelt, irgendwo knistert ein 3-D-Drucker natürlich aus Berlin. Dazwischen Franzke.
Es ist kurz vor zehn. Um den Chef der hauptstädtischen Wirtschaftsförderung, Berlin Partner genannt, drängt sich alles: Reporter, Blogger, Fernsehteams, die Gründer wegen denen Franzke den ganzen Zinnober hier veranstaltet. 50 Besucher auf 20 Quadratmetern.
Franzke wird später sagen, es sei gut besucht gewesen. Er war an diesem Wintermontag schon im britischen Frühstücksfernsehen zu Gast. Nun eröffnet er den Popup-Store, mit dem die deutsche in der englischen Hauptstadt eine Woche lang zeigen will, was sie alles noch so drauf hat außer billigem Bier und günstigen Mieten. So will Franzke um Unternehmen buhlen, die nach dem Brexit-Votum die Nase voll haben von der Insel.
Er ruft: „Ich bedauere den Brexit. Aber für Berlin ist das eine riesige Chance.“ Mit 40 Firmen, sagt er, spreche man derzeit detailliert über Umzugspläne. Mit fünf gebe es bereits Vereinbarungen. „Berlin ist die vibrierendste Stadt auf dem Kontinent“, sagt Franzke. Was natürlich gleichzeitig bedeutet: Alle anderen Kommunen können einpacken, bitteschön.
Und so ist die Show des Berliner Wirtschaftsförderers zuallererst eine Kampfansage an seine deutschen Kollegen. An die Lobbyisten aus Stuttgart oder München, Frankfurt, Hamburg oder Düsseldorf, die wie er seit Wochen über der Frage brüten, wie sie sich gegenseitig beim Buhlen um die Brexiteers ausstechen können. Sie wittern das große Geschäft. Gerade erst stellte eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young fest, dass 40 Prozent der ausländischen Firmen nach dem Brexit Deutschland als attraktiven Standort schätzen. Für mehr als die Hälfte der bisher im Vereinigten Königreich aktiven Firmen wäre Deutschland der bevorzugte Standort in Europa.
In der vergangenen Woche stimmte das britische Unterhaus formal dem Austrittsgesetz von Premierministerin Theresa May zu. Ab heute debattiert das Oberhaus darüber. Im März dann schon will die Regierung in Brüssel offiziell ihr Ausscheiden aus der Europäischen Union beantragen. Das Vereinigte Königreich macht Ernst. Und so bereitet man sich auch in den deutschen Rathäusern auf den Konkurrenzkampf vor.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Uwe Becker etwa hat deshalb Englisch geübt. Frankfurts Stadtkämmerer trägt wenig Haupthaar aber einen gut-sitzenden Anzug. Man will ja nicht provinziell wirken. Nicht hier, auf dem europäischen Bankenkongress in der Alten Oper, bei dem sich die Hautevolee der Szene trifft. Die Veranstaltung ist so ziemlich das Gegenteil des Berliner Popups. Doch auch in Frankfurt geht es in diesem Jahr nur um den Brexit. Deshalb erklärt Uwe Becker nun den Bankern in geschliffenem Englisch, dass es ihm Leid tue mit dem Brexit. Ein schwarzer Tag für Europa sei das gewesen. „Aber jetzt müssen wir uns um die Zukunft kümmern: Wir werden alles tun, um zu zeigen, dass Frankfurt die beste Alternative zu London ist.“ Und: „Es gibt in Europa nur einen Platz für Finanz-Start-ups: Frankfurt.“
Das Becker das so betonen muss, liegt vor allem an den Berlinern. Sie haben in den vergangenen Monaten besonders um sogenannte „Fintechs“ geworben – Startups aus der Finanz- und Versicherungsbranche, die den altmodischen Wirtschaftszweig aufrollen wollen. Bisher war man am Main davon ausgegangen, dass diese Jungunternehmen natürlicherweise dorthin ziehen würden, wo das große Geld schon jetzt wohnt. Bisher aber will sich das nicht so recht einstellen. Stattdessen häufen sie sich eher in an der Spree. Wer das Geschäftsmodell der Banken und Versicherer angreifen will, so das gängige Argument der Jungunternehmer, der studiert womöglich besser zunächst aus der Ferne die Schwächen der Branche. Und was der gesetzten Mainmetropole ferner als die wuselige Hauptstadt? So ist man in Frankfurt mittlerweile kleinlauter geworden, denkt gar über eine gemeinsame deutsche Post-Brexit-Standortwerbung nach, damit es auch gerecht zugeht.
Berlin wirbt offensiv
Andere Städte sind da selbstbewusster. Düsseldorf etwa, wo Vodafone seit der spektakulären Übernahme des Mannesmann-Konzerns von bald 20 Jahren seinen größten Sitz außerhalb Großbritanniens unterhält. Warum sollte man nicht jetzt versuchen, die ganze Zentrale an den Rhein zu locken, fragt man sich im Rathaus. Oder etwa die Japaner. Schließlich ist man schon heute nach London zweithäufigster Sitz von Europazentralen japanischer Konzerne. „Brexit and its implications for japanese companies“ betitelte also neulich der Düsseldorfer Oberbürgermeister eine Veranstaltung. Sie sei „gut angenommen worden“, sagte Thomas Geisel später und zählte mehr als 120 Unternehmen.
Mittag im Berliner Popup-Lab in London SoHo. Es gibt jetzt geröstetes Graubrot in der essbaren Schale und Drinks aus einem Kühlschrank, den ein Schild als „Berliner Späti“ ausweist. Daneben steht Stefan Franzke und gibt sein zwölftes Interview an diesem Tag. Die Reporterin macht sich Sorgen um London. Man sei doch, sagt sie, bisher Europas Start-up-Hauptstadt gewesen. Und nun komme Berlin und nehme ihnen all die Talente und die jungen Firmen weg? Franzke ist etwas stutzig. Er sagt: „Im nächsten Jahr wird Berlin London als Tech-Hauptstadt überholen. Ich war nicht für den Brexit. Aber alles in allem ist er eine gute Sache für Berlin.“
Sie nutzen also unsere Situation aus? „Nein, wir bauen Brücken. Aber viele Firmen wollen eben in Berlin Geschäfte machen.“ Sie machen denen ja auch Angst und locken sie so aufs Festland. „Der Brexit ist ja auch eine Gefahr. Wenn man die Türen zumacht, dann sperrt man die Talente ein. So verliert man sie.“
Franzke freut sich über das Medieninteresse. Aber er merkt auch, dass seine Offensive nicht überall gut ankommt. Auch in Deutschland sind er und seine Aktionen inzwischen berühmt – und berüchtigt. Eigentlich wollte er mit seiner Berlin-Schau nach New York. Dann kam der Brexit. Und Franzke schmiss den Plan um, mietete sich in London ein.
In so manchem bundesrepublikanischen Rathaus wurde dieser Aktionismus anfangs belächelt, mitunter ungläubig bestaunt. Inzwischen aber sind die vorherrschenden Gefühle: Neid und Angst.
Bis in den Deutschen Städtetag hat es der Name des Berliner Wirtschaftsförderers inzwischen geschafft. Nachdem Franzke diesen Sommer mit seinem Berlin-Zirkus in München gastierte, um auch dort die Jungunternehmer abzuwerben, beschwerten sich die Bayern – selbst interessiert, sich als Start-up-Metropole zu inszenieren – über das offensive Vorgehen der Konkurrenz. Es gehöre eben zu den „klassischen Aufgaben“ der Städte für sich selbst als Wirtschaftsstandort oder Tourismusziel werben, räumt man beim Städtetag ein. „National stehen die Städte in Deutschland damit natürlich auch untereinander in einem gewissen Wettbewerb“, sagt Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der WirtschaftsWoche.
Franzke findet das alles etwas übertrieben. Und außerdem: seine Kollegen könnten doch auch mal was Neues machen. „Letztendlich sind wir doch alle Vertreter. Da gilt: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“ Aber um viel zu fangen, schiebt er dann noch nach, müsse man eben dahin gehen, wo die Fische seien.
"Google" aus Brezelteig
Die Angler aus München haben da offenbar eine andere Philosophie. "Holladiria, holla di ra - there is no other place than bavaria", singt eine blonde Frau im Dirndl. Sie steht vor einer holzgetäfelten Wand in der Messe München an der künstliche Hirschgeweihe hängen, irgendwer hat aus Bretzelteig ein „Google“ geformt und daneben gehängt. Auf den Stühlen im Auditorium sitzen vielleicht 60 junge Unternehmer. Franz Glatz betritt die Bühne. Er ist Geschäftsführer des „Werk 1“, des Gründerzentrums der bayerischen Landeshauptstadt. Er soll hier auf der Start-up-Messe „Bits’n Pretzels“ die Briten für den Freistaat einnehmen. "I am Franz and I bought the first Lederhosen of my life for this event", sagt er.
Glatz ist in Bayern groß geworden. Er hat schon als Bub Lederhose getragen. Aber es kommt natürlich besser, wenn man sich etwas gemein macht mit den Neuen. Glatz sagt den Gründern, er arbeite für eine bessere Welt, bringe Ideen mit Investoren zusammen. „Wenn ihr jeden Tag in Lederhosen arbeiten wollt – kommt zu uns.“
Einen Tag später sitzen 5000 Startup-Unternehmer im Schottenhammel-Zelt auf dem Oktoberfest und stemmen noch vor zehn Uhr morgens Maßkrüge. Tatsächlich tragen die meisten Lederhosen und Dirndl. So mancher Neuling muss auf der Herrentoilette erst lange nesteln, um den Latz richtig zu öffnen. Gesprochen wird ein babylonischer Kanon aus bayrisch, deutsch und englisch. Die Stimmung ist ausgelassen. Nicht ausgeschlossen, dass sich viele Briten hier tatsächlich wohlfühlen.
Es ist die vielleicht verquerste Methode der Gründerwerbung: Gleichzeitig die lauteste – und die leiseste. Denn während andere Kommunen mühsam versuchen, all ihre kulturellen und wirtschaftlichen Vorzüge in möglichst symbolträchtige Genstände zu verpacken und in der Ferne feilzubieten wie einst fliegende Händler bei Hofe, haben sie sich in München entschieden still zu halten. Kein Bürgermeister reist nach London. Keine Wirtschaftsministerin tritt auf Konferenzen auf. Stattdessen fliegt man ein paar ausgesuchte Gründer ein, die hoffentlich anschließend daheim und auf Twitter von den blau-weißen Gastfreuden erzählen. „Wir versuchen es mit dem Florett“, heißt es bei der Wirtschaftsförderung dazu.
Am Rand des Festzeltes steht Münchens Wirtschaftsbürgermeister Josef Schmid. Ein kerniger CSU-Bayer in ordentlich speckigen Lederhosen, der mit breitem Akzent spricht. „Die bayerische Lebensart, die hohe Lebensqualität hier, das steht doch für sich. Das ist schon was wert.“ In Berlin fänden junge Menschen doch höchstens Büroräume mit „Abrisscharme“. Aber die großen Konzerne seien doch hier, bei ihm. Und genau die brauche man als Gründer nach der ersten Phase, „jemanden der investiert, jemanden mit Kapital.“
München jedenfalls habe keine große Werbung nötig, keinen Popup-Store wie Berlin. „Mir ist überhaupt nicht bange. Wir haben nach dem Brexit eine große Chance. Die Startups schätzen unsere Zurückhaltung. Unser Leuchtturm ist das hier“, sagt Schmid und zeigt durchs Schottenhammel-Festzelt. Er wirkt zufrieden. Aber er hat ja heute auch Geburtstag. Da genehmigt er sich gleich noch eine Maß.
Wo bleibt eine gemeinsame Start-up-Strategie?
So verstricken sich die Städte in einem kleinkarierten Konkurrenzkampf statt eine gemeinsame Start-up Strategie für den Standort Deutschland zu entwickeln. Und das wird von vielen kritisch gesehen. Etwa von James W. Sore, Finanzchef der Investment-Plattform Syndicate-Room. „Deutsche Städte sollten ein Cluster bilden“, findet er. „München für Technologie, Berlin und Düsseldorf für E-Commerce. Frankfurt spezialisiert sich auf Fintechs. Nur so kann Deutschland wirklich zum europäischen Einfallstor werden für britische Firmen.“
Wahrscheinlicher ist indes das Gegenteil, nach dem Motto: jeder ist sich selbst der Nächste. Bayern etwa hat schon verkündet, junge Firmen in den kommenden Jahren mit 330 Millionen Euro zu fördern. Nordrhein-Westfalen hält mit läppischen 12,5 Millionen dagegen – allerdings gestreckt auf drei Jahre.
Es hat ein zermürbender Wettlauf eingesetzt um „Germanys next Mittelstand“, den am Ende der ohnehin schon reiche Süden gewinnen dürfte. Auch, weil es an einer einheitlichen Ansiedlungsstrategie aus dem Wirtschaftsministerium fehlt.
Welche deutschen Branchen der Brexit treffen könnte
Jedes fünfte aus Deutschland exportierte Auto geht laut Branchenverband VDA ins Vereinigte Königreich. Präsident Matthias Wissmann warnte daher vor Zöllen, die den Warenverkehr verteuerten. BMW etwa verkaufte in Großbritannien 2015 rund 236 000 Autos - über 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Mercedes waren es 8 Prozent, bei VW 6 Prozent. BMW und VW haben auf der Insel zudem Fabriken für ihre Töchter Mini und Bentley. Von „deutlich geringeren Verkäufen“ in Großbritannien nach dem Brexit-Votum berichtete bereits Opel. Der Hersteller rechnet wegen des Entscheids 2016 nicht mehr mit der angepeilten Rückkehr in die schwarzen Zahlen.
Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien der viertwichtigste Auslandsmarkt nach den USA, China und Frankreich. 2015 gingen Maschinen im Wert von 7,2 Milliarden Euro auf die Insel. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte weniger gut. In den ersten zehn Monaten 2016 stiegen die Exporte nach Großbritannien dem Branchenverband VDMA zufolge um 1,8 Prozent gemessen am Vorjahr. 2015 waren sie aber noch um 5,8 Prozent binnen Jahresfrist gewachsen. Mit dem Brexit sei ein weiteres Konjunkturrisiko für den Maschinenbau dazugekommen, sagte VDMA-Präsident Carl Martin Welcker im Dezember.
Die Unternehmen fürchten schlechtere Geschäfte wegen des Brexits. Der Entscheid habe bewirkt, dass sich das Investitions- und Konsumklima in Großbritannien verschlechtert habe, sagte jüngst Kurt Bock, Präsident des Branchenverbands VCI. Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien ein wichtiger Abnehmer gerade von Pharmazeutika und Spezialchemikalien. 2016 exportierten sie Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich, rund 7,3 Prozent ihrer Gesamtexporte.
Für Elektroprodukte „Made in Germany“ ist Großbritannien der viertgrößte Abnehmer weltweit. 2015 exportierten deutsche Hersteller laut Branchenverband ZVEI Waren im Wert von 9,9 Milliarden Euro in das Land, 9,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich nicht mehr so gut. Nach zehn Monaten verzeichnet der Verband ein Plus bei den Elektroausfuhren von 1,7 Prozent gemessen am Vorjahr. Grund für die Eintrübung seien nicht zuletzt Wechselkurseffekte wegen des schwachen Pfunds, sagte Andreas Gontermann, Chefvolkswirt des ZVEI.
Banken brauchen für Dienstleistungen in der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Mit dem Brexit werden Barrieren befürchtet. Deutsche Geldhäuser beschäftigten zudem Tausende Banker in London, gerade im Investmentbanking. Die Deutsche Bank glaubt indes nicht, dass sie ihre Struktur in Großbritannien „kurzfristig wesentlich“ ändern muss. Die Commerzbank hat ihr Investmentbanking in London schon stark gekürzt. Um viel geht es für die Deutsche Börse. Sie will sich mit dem Londoner Konkurrenten LSE zusammenschließen. Der Brexit macht das Projekt noch komplizierter.
In SoHo ist es dunkel geworden. Draußen auf der Bateman Street hat es angefangen zu regnen, als Wirtschaftsförderer Franzke zu Tisch bittet. 25 Gäste, die Hälfte aus London, die andere aus Berlin, hat er eingeladen um ihnen zum Abschluss des Tages die neue Küche der Hauptstadt zu zeigen.
Es gibt Grünkohl, Entenbrust und Austern. Fünf Gänge mit drei Weinen. Franzke sitzt am Kopfende des Tisches und zieht Bilanz: „Es war gut besucht, viel mehr als ich gedacht hätte. Der Brexit hat das hier richtig gepusht.“
In Deutschland, glaubt er, mache das Berlin jedenfalls so schnell keiner nach. Nächstes Mal will er mit seinem Popup-Zirkus deshalb wieder in die große weite Welt ziehen. Shanghai scheint ihm interessant. Und warum eigentlich nicht auch mal direkt ins Silicon Valley gehen? Die Sache mit dem Brexit jedenfalls ist ja optimal gelaufen.