Kampf um die Monstertrassen Wie Peter Altmaier die Energiewende retten will

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Trassenbau im Schneckentempo

Das Problem: Es fehlen tausende Kilometer an neuen Stromleitungen, die den Wind- und Sonnenstrom transportieren können. Geplant sind sie seit Jahren. Fehlgeplant ist wohl das bessere Wort. Der Ausbau scheitert nicht nur an „Befindlichkeiten“ von Bauern und Bürgern, wie es Altmaier ausdrückt. Das Megaprojekt scheitert an politischen Fehlentscheidungen, an Behörden und Netzbauern, die sich eben nicht für „Befindlichkeiten“ interessieren und den Widerstand landauf landab unterschätzen. Es scheitert auch an Strategiewechseln, die das Projekt aus technischen Gründen um Jahre zurückwerfen. Und an all dem hat auch ein Peter Altmaier einen erheblichen Anteil. 

Vor mehr als zehn Jahren sollten mit dem Energieleitungsausbaugesetz (Enlag), neue Leitungen gebaut werden, die vor allem für den Transport des Stroms aus Windenergieanlagen benötigt werden. Von den geplanten 1800 Kilometern mit 380 Kilovolt Übertragungsleitungen, sind gerade einmal 800 Kilometer gebaut. 2013 gab’s ein weiteres Gesetz, das den Ausbau der Stromnetze beschleunigen sollte. Neue Stromleitungen mit einer Länge von 5900 Kilometern, sollten optimiert, weitere neu gebaut werden. Von den geplanten neuen Leitungen mit einer Länge von knapp 3000 Kilometern sind gerade erst 150 Kilometer gebaut. 

Auf Drängen von Bayern vereinbarte der Bund 2015 unter maßgeblicher Mitarbeit von Altmaier, dass ein Teil dieser Übertragungsleitungen nicht per Freileitung, sondern per Erdkabel verbaut werden sollte. Den Bürgern in Bayern seien mehr Strommasten nicht zuzumuten. Diese Entscheidung wiederum warf die bisherigen Planungen für neue Trassen über den Haufen. Auch Erdkabel müssen irgendwo entlang laufen - unter Straßen, unter Feldern, Wäldern. Dazu sind sie auch noch mindestens dreimal teurer als Freileitungen. 

Im Bundeskabinett durchgeboxt hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Erdkabel - mit Peter Altmaier. Beide hofften, mit den Erdkabeln würde der Bau schneller vorangehen, weil sich die Bürger damit schneller anfreunden könnten als mit neuen Stromtrassen über Land. Mensch und Natur seien mit Erdkabeln weniger belastet, so Seehofer damals. Einfach verbuddeln und damit gut? Weit gefehlt. Es sind nicht nur Landwirte, die sich Sorgen machen, wie sich die Megastromkabel auf die Qualität ihrer Böden auswirken. Quer im ganzen Land wehren sich die Menschen nicht nur gegen mehr Stromtrassen über Land, sondern auch unter der Erde.

Und so gibt es mit den Erdkabeln nur wenige Pilotprojekte über wenige Kilometer. Etwa im Emsland. Der Übertragungsnetzbetreiber Tennet hat auf dem platten Land extra ein Erdkabel-Informationszentrum hingestellt. Da gibt es große Plakate von dicken schwarzen Kabeln, die unschuldig im Sand liegen. Doch selbst der Netzbetreiber räumt ein: Erfahrungen, wie die Gleichstromkabel in der Erde tatsächlich funktionierten, und wie sie reagierten, wenn diese mit Freileitungen verbunden werden, die gäbe es im Prinzip nicht. Immerhin haben sich hier die Landwirte mal auf ein Pilotprojekt eingelassen nach monatelangen Diskussionen, wie Lambert Hurink von der Vereinigung des Emsländischen Landvolkes dem Minister erklärt.

Handwarm werden die Kabel im Boden. Wie sich das auswirkt auf Boden und Pflanzen? Keine Ahnung, gibt Hurink zu. Eine Eimalzahlung haben sie mit Tennet-Geschäftsführer Lex Hartmann dafür vereinbart, dass der Netzbauer hier den Acker zwei Meter tief ausbuddeln darf, auf einer Breite von rund fünf Metern. Was passiert, wenn mal eine Leitung kaputt geht? „Das wird teuer“, sagt Tennet-Mann Hartmann knapp. Der Boden muss aufgerissen werden. Der Bauer hat das Nachsehen. „Wir sind pragmatisch im Emsland“, sagt Bauer Hurink. „Wir schauen uns das jetzt hier mal an. Aber ganz geheuer ist uns das ganze mit diesen Erdkabeln nicht“, gibt er zu. Und fügt er mit ernster Mine hinzu: Flächen sind nicht vermehrbar. Sowieso kämpften die Bauern gegen zu wenig Fläche. Warum der Bund denn für seine Erdkabel keine öffentlichen Flächen nutze, sondern Ackerland?   

Leute wie Hurink, die lobt Minister Altmaier. „Hier wird auf hohem Niveau sachlich diskutiert“, tönt der Minister. Früher sei das bei Protesten, etwa gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf oder gegen die Startbahn West in Frankfurt anders gewesen. Da seien Tomaten und Farbbeutel und zum Schluss sogar Molotowcocktails geflogen. 

Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Positionen bei der Energiewende seit Jahren festgefahren sind, und der Bau der neuen Stromtrassen so hinterher hinkt, dass das gesamte Projekt gefährdet ist. Bis Ende 2022 geht das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz. Bis 2030 soll die Hälfte der Kohlekraftwerke vom Netz gehen. „Wir haben nicht endlos Zeit“, weiß auch Minister Altmaier. 

Im September lädt er die wichtigsten Beteiligten zum Netzgipfel nach Berlin ein. Es soll eine neue Dynamik entstehen, mit ihm, dem Bundeswirtschaftsminister als Treiber. Doch allen wird es Altmaier bei diesem Megaprojekt einfach nicht Recht machen können. Den Netzbetreibern verspricht er weniger Bürokratie, schnellere Genehmigungsverfahren. Gleichzeitig will er den Rechtsschutz der Bürger nicht beschneiden. Dafür soll ein neues Gesetz im Herbst her. Das hört sich wie die Quadratur des Kreises an. 

Bürgermeister Breuer aus Hürth jedenfalls hat seine eigene Agenda: „Jeder Tag, an dem den Bürgern diese Monstertrassen erspart bleiben, ist ein guter Tag.“

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