Kampf um die Straße So sieht der Verkehr der Zukunft aus

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„Ich bin skeptisch, ob der Wandel gelingt“

Wie sähe denn aus Ihrer Sicht ein nachhaltiger Verkehr in der Zukunft aus?

Ein nachhaltiger Verkehr ist nicht nur im ökologischen Sinne nachhaltig, sondern dazu zählt auch, dass er sozial gerecht und ökonomisch erfolgreich sein muss. Sonst ist er nicht durchsetzungsfähig. Der Verkehr in den Städten müsste ohne fossile Energieträger auskommen und kreislaufökonomiefähig sein, das heißt die Ressourcen sollten für andere Produkte möglichst zu 100 Prozent wiederverwertbar sein. Die Städte würden stärker elektrifiziert und damit auch sauberer und leiser. Der Verkehr wäre weniger raumintensiv. Kollektivverkehr, also öffentliche Nah- und Fernverkehrsangebote, sollten die Basisversorgung gewährleisten und ergänzt werden um Sharing-Mobility und Elektromobilität für die letzten Meilen.

Das klingt noch sehr abstrakt. Geht das etwas konkreter?

Städte wie Wien, Kopenhagen, Zürich oder Amsterdam eröffnen einen Ausblick auf die Zukunft des Verkehrs. Dort bildet ein leistungsfähiger öffentlicher Nahverkehr das Rückgrat der Verkehrsinfrastruktur. In diesen Städten existiert zudem bereits eine gutausgebaute Infrastruktur für das Fahrrad. Ergänzen müssten wir das durch digitalvernetzte Auto- oder Mikromobilitätsbausteine, die Flexibilität gewährleisten.

Nun sind das Städte – auf dem Land würde das sicher nicht funktionieren.

Mit viel zeitlichem Vorlauf und hohen Basisinvestitionen ginge das auch in ländlichen und suburbanen Räumen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir uns in manchen Teilen Deutschlands und der Welt nicht vom Automobil verabschieden können. Aber dort gilt es dann, die Autos so effizient und nachhaltig wie möglich zu gestalten und zu nutzen.

Wie stellen Sie sich das vor?

Heute sind Autos so gut wie nie vollständig ausgelastet und stehen 23 Stunden am Tag still. Das ist wahnsinnig ineffizient. Möglich wären schon heute effizient operierende Flotten, die 24 Stunden am Tag im Einsatz, zu 50 Prozent besetzt und elektrisch angetrieben sind. Um diesen Prozess in Gang zu setzen, wäre es nötig, schädliche Subventionen wie die Pendlerpauschale oder Dieselsubventionen zu streichen.

In Frankreich haben sich an einem vergleichbaren Vorhaben im vergangenen Jahr die Proteste der Gelbwesten entzündet.

Deswegen ist es wichtig, erst ein Angebot zu schaffen und den Menschen Verhaltensalternativen zum Verbrennungsmotor zu liefern, bevor wir anfangen, ihn höher zu bepreisen oder zu verbieten. Wir dürfen die Bürger nicht einfach mit den Kosten und den Problemen alleine lassen. Wir können mit Blick auf Mobilitätsgerechtigkeit nicht so agieren, als stünden den Menschen allerorts die gleichen Lebensbedingungen und Strukturen der Daseinsvorsorge zur Verfügung.

Sie plädieren also für staatliche Eingriffe?

Ich glaube, das einzelne Individuum ist weder in der Lage dazu, noch hat es die Neigung über die Änderung des privaten Konsums etwas für die Änderung der Welt zu tun. Der private Konsum bietet zwar Verhaltensspielräume, aber eben nur begrenzte. Die Transformation, die notwendig ist, wird nicht ohne den Staat funktionieren. Ein Staat muss eine Gesellschaft so regulieren, dass sie Sicherheit und offene Zukunftsoptionen bietet. Das hat in Zeiten des Rheinischen Kapitalismus bis in die 1970er sehr gut funktioniert, daran müssten wir wieder anknüpfen. Wir müssen uns wieder auf das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft besinnen. Ohne eine massive Infrastruktur- und Regulierungspolitik, ohne eine große Klimabesteuerung ist keine Transformation denkbar. Der freie Markt wird das nicht leisten.

Sie beschäftigen sich seit 30 Jahren mit Klimafragen und der Mobilität der Zukunft. Vergeht Ihnen da nicht manchmal die Hoffnung?

Ich bin natürlich skeptisch, ob der Wandel gelingt. Aktuell sieht es nicht danach aus, als würden wir es schaffen. Das heißt aber nicht, dass wir die Hoffnung verlieren sollten. Wir müssen auch sehen: Es gab noch nie eine so moderne, leistungsfähige und technologisch hoch entwickelte Weltgemeinschaft wie heute. Unsere Gesellschaften mit all ihren gutausgebildeten Bürgern sind auf kollektives Handeln vorbereitet. Das Jahr 2019 könnte, was das anbetrifft, in mehrfacherweise als Wendepunkt in die Geschichtsbücher eingehen.

Inwiefern?

Durch Greta Thunberg und den internationalen Gruppenbildungsprozesse in der jungen Generation erleben wir etwas, worauf ich lange gehofft habe. Greta Thunberg und das Team, das sie unterstützt, machen eine wahnsinnig gute Arbeit. Das ist natürlich auch das Ergebnis technologischer und kultureller Veränderungen der vergangenen Jahre. Wie schnell Informationen sich dank der Social-Media-Kanäle in der Welt verbreiten, ist etwas völlig Neues und versetzt junge Menschen in die Lage, Meinungsbildung im globalen Kontext zu betreiben. Gleichzeitig erleben wir sozialkritische Bewegungen in vielen Teilen der Welt, in Hong Kong, im Iran, in Venezuela. Zwischen vielen dieser Bewegungen findet ein Austausch statt. Informationen, Positionen und Taktiken fluktuieren heute um die ganze Welt. Deswegen bin ich heute optimistischer, dass Änderungen möglich sind, als ich das noch vor einem Jahr war. Ohne Fridays for Future hätten wir keinen Green New Deal auf der Europäischen Ebene und keine Debatte über ein Klimapaket in Deutschland.

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