Kandidatenkür im Nordosten Merkel in Zugzwang - wegen der AfD

Seit 1990 tritt Angela Merkel zur Bundestagswahl in Vorpommern an. Jedes Mal hat sie dort das Direktmandat gewonnen. Nun wird sie von Leif-Erik Holm, dem Chef der Landes-AfD, herausgefordert.

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Angela Merkel: Merkel in Zugzwang - wegen der AfD Quelle: AP

Angela Merkel steht unter Zugzwang. Von links erhöht die SPD sieben Monate vor der Bundestagswahl den Druck. Seit sie Martin Schulz als Kanzlerkandidaten nominiert haben, marschieren die Sozialdemokraten mit Riesenschritten aus dem ewigen Umfragetief und liegen neuen Erhebungen zufolge mit gut 30 Prozent auf Augenhöhe mit der Union. Der drohen zudem mehr Wähler als noch 2013 an die AfD verloren zu gehen. Das schürt Unruhe bei CDU und CSU. Immer lauter werden daher die Forderungen, die Kanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende möge doch endlich in den Wahlkampfmodus schalten und auch emotionaler um Wähler werben. So richtet sich nun alle Aufmerksamkeit auf Stralsund, wo die CDU Mecklenburg-Vorpommerns an diesem Samstag ihre Kandidatenliste für die Bundestagswahl aufstellen und Merkel erneut zu ihrer Spitzenkandidatin wählen will. Von der Kanzlerin wird bei ihrem Auftritt in der Provinz Klartext erwartet.

Klartext, darauf setzt auch die AfD, die - offenbar wohlkalkuliert - ebenfalls an diesem Wochenende ihren Spitzenkandidaten in Mecklenburg-Vorpommern wählen wird. Landesparteichef Leif-Erik Holm will die AfD im Nordosten in den Wahlkampf führen und Merkel das Direktmandat in ihrem angestammten vorpommerschen Wahlkreis 15 streitig machen. „Die Zeit von Frau Merkel ist vorbei. Wir wollen sie nach Hause in die Uckermark schicken“, formuliert der 46-Jährige vollmundig als Ziel. Er wird dem eher gemäßigten Flügel zugerechnet.

Der frühere Radiomoderator dürfte sich bewusst sein, dass ihm der AfD-Nominierungsparteitag am Sonntag im Dörfchen Sparow, nur einen Tag nach der CDU-Vertreterversammlung, besondere Medienaufmerksamkeit verschafft. Schon der Vergleich der Abstimmungsergebnisse bei der Listenwahl gibt Stoff für Kommentare. Merkel hatte im Januar bei der Aufstellungen als Direktkandidatin 95,9 Prozent Zustimmung bekommen, Holms Kandidatur im gleichen Wahlkreis unterstützten 95,3 Prozent seiner Parteifreunde.

Die SPD und die K-Frage – ein Hang zur Sturzgeburt

Die AfD hatte bei der Landtagswahl im September 2016 in Mecklenburg-Vorpommern 20,8 Prozent der Stimmen erreicht und damit als zweitstärkste Kraft nach der SPD die CDU bundesweit erstmals hinter sich gelassen. In drei Wahlkreisen nahm sie der CDU zudem die Direktmandate ab. Für den CDU-Landesverband, der viele Jahre von Angela Merkel geführt wurde und in dem sie bis heute ihre politische Heimat hat, war das eine besonders schmerzliche Erfahrung. Der scheidende Landesparteichef Lorenz Caffier gibt sich dennoch zuversichtlich, dass sich das schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl nicht wiederholt. Er setzt dabei auf die Zugkraft Merkels, die nach seiner Meinung den Menschen gerade auch in den gegenwärtig schwierigen Zeiten Halt und Orientierung gibt.

Der Rostocker Politikwissenschaftler Martin Koschkar bezweifelt, dass AfD-Landeschef Holm Merkel in ihrem Wahlkreis wirklich ernsthaft gefährden kann. „Er nutzt die Auseinandersetzung mit der Kanzlerin, um damit die Aufmerksamkeit auf sich und seine Partei zu lenken“, sagt Koschkar. Merkel werde daher vermutlich nicht groß darauf eingehen. „Viel spannender ist ohnehin, welche Antworten sie auf Martin Schulz geben wird.“

Nach Ansicht des Politologen gibt es in der Vergangenheit kein anderes Beispiel für einen so kurzfristigen, mit einer Person verbundenen Stimmungsaufschwung für eine Partei. „Man könnte fast von einer Wechselstimmung sprechen“, meint Koschkar, räumt aber ein, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt und in den kommenden sieben Monaten noch viel passieren könne.

Ein langfristiges Hoch für ihren Koalitionspartner SPD wird die Kanzlerin um jeden Preis verhindern und wieder mehr Abstand herstellen wollen. Am Samstag in Stralsund muss sie zunächst ihre Basis hinter sich bringen. Das dürfte nicht schwer fallen, hatten ihr doch selbst die Gegner ihrer umstrittenen Flüchtlingspolitik bei der Wahlkreisnominierung Ende Januar volle Unterstützung im Wahlkampf zugesichert. Sie wollen, dass Merkel im September zum achten Mal in Folge ihren Wahlkreis in Vorpommern gewinnt, die Union zum Wahlsieg führt und Kanzlerin bleibt.

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