Kanzlerkandidat Wer 2021 Scholz wählt, kann nicht sicher sein, dass er Scholz bekommt

Olaf Scholz Quelle: imago images

Die Kür von Olaf Scholz wäre ein gutes Zeichen, wenn hinter dem Kanzlerkandidaten nicht eine Partei stünde, die so ziemlich alles linker machen will als ihr Frontmann. So bleibt nur der Eindruck eines taktischen Wahlkampfmanövers. Glaubt die SPD-Spitze, dass sie damit durchkommt? Ein Gastbeitrag.

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Olaf Scholz ist pragmatisch, wirtschaftsfreundlich, denkt Politik nicht nur als Sozialpolitik und träumt nachts garantiert nicht von der roten, aufgehenden Sonne im sozialistischen Utopia, das er mit Katja Kipping in Kürze zu errichten gedenkt. Sondern wohl eher, wann wir zur schwarzen Null zurückkehren können. Mit anderen Worten: er ist ein solider, geeigneter Kanzlerkandidat. Nur nicht für diese SPD.

Denn die steht inzwischen für das komplette Gegenteil. Und sie hat in den letzten Monaten alles getan, um nie mehr mit dem Politikansatz eines Olaf Scholz in Verbindung gebracht zu werden.

Wir erinnern uns: die SPD-Urwahl war nichts anderes als ein parteiinternes Plebiszit – weniger für die jetzigen Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die quasi niemand kannte. Es war ein Plebiszit gegen Olaf Scholz und die alte Regierungs-SPD.

Dabei musste sich der amtierende Finanzminister und ehemalige Hamburger Bürgermeister, der dort Ergebnisse bis zu 48 Prozent einfuhr, von mehr oder weniger unbekannten Parteifunktionären in demütigender Weise regelmäßig vorhalten lassen, er sei kein echter Sozialdemokrat. Wer sich je mit der Vertretern der mittleren Funktionärsebene der Partei unterhalten hat, weiß darüber hinaus: Scholz löst bei Teilen der SPD eine Abneigung aus, die normalerweise für den politischen Gegner vorbehalten sein sollte. Er sei ein „Neoliberaler“ und überhaupt als Vertreter der Agenda 2010 einer der Totengräber der SPD.

Und diese Sozialdemokratie nominiert jetzt ausgerechnet diesen Mann zum Kanzlerkandidaten? Wie soll man das verstehen?

In den ersten Kommentaren wurde die Scholz-Nominierung durchaus als Coup interpretiert: während die Union bisher über keinen Kandidaten verfüge und dazu noch in Richtungskämpfe verwickelt ist, könne die SPD jetzt mit klarem Personaltableau den politischen Gegner vor sich her treiben.

Doch ist das wirklich so? In der repräsentativen Demokratie kommt den Führungspersönlichkeiten zwar eine enorme Bedeutung zu. Sie bündeln in sich die Ideen einer Partei. Die Person ist dabei durchaus wichtiger als die Einzelheiten der Programmatik. Aber ein völlig von der Partei abgelöster Kandidat geht eben auch nicht – und um exakt darum handelt es sich bei der Personalie Scholz. Wer den Finanzminister wählt, dem muss klar sein, was wer alles mitwählt: er/sie wählt die Enteignungsfantasien eines Kevin Kühnert ebenso mit wie die Distanzierung der Parteiführung von der Bundeswehr, er/sie wählt pauschalen Rassismusverdacht gegen die Polizei und er/sie wählt eine Partei, die inzwischen in ihrer Diktion kaum noch von der Linkspartei zu unterscheiden ist. Und damit ihre Freiheitstradition aufgegeben hat.

Kenner der SPD werden sagen: Ja, ist denn das wirklich etwas Neues? Ist Scholz nicht erneut der sprichwörtliche richtige Mann in der falschen Partei? So wie Schmidt? So wie Schröder? So ist sie halt, die SPD!

Nein. Diesmal ist alles anders.

Als in den Siebzigerjahren neomarxistische Akademiker in die SPD strömten und die Außendarstellung der Partei beschädigten, waren trotzdem alle Führungspositionen in der Hand von Pragmatikern, der berühmten Troika Brandt, Schmidt, Wehner, in der Brandt durchaus nach integrieren konnte, aber trotzdem auch die bürgerliche Mitte erreichte. Und heute? Walter-Borjans: links. Esken: links. Mützenich: links. Dazu haben wir noch einen Ausreißer: Kevin Kühnert. Der Organisator der Scholz-Verhinderungs-Urwahl ist ultra-links. Es ist schwer vorstellbar, wie der Kandidat Olaf Scholz, der sicher lieber Kanzler einer Ampel-Koalition werden würde, diesen Spagat hinbekommen will.

Eine Ampelkoalition wäre, als eine Art Wiederauflage der sozialliberalen Koalition der Siebziger- und Achtzigerjahre, durchaus eine begrüßenswerte Option für unser Land. Auch wenn es aufgrund der aktuellen Umfrage als Utopie erscheint.



Doch wer Scholz wählt, kann sich überhaupt nicht sicher sein, ob er diese Koalitionsoption wählt oder Rot-Rot-Grün, was nichts anderes wäre als das Abrissunternehmen der alten, erfolgreichen Bundesrepublik. Das kann nicht funktionieren.

So bleibt nur eine Interpretation: die eines taktischen Manövers, das allerdings so offensichtlich ist, dass man rätselt, wie die SPD glauben kann, damit durchzukommen. Der aussichtsreichste, geeignetste Kandidat wird aufgestellt, um vielleicht doch noch die Ideen des unpopulären Duos an der Spitze einer unpopulären linksgewendeten 15-Prozent-SPD umzusetzen.

Wer in den Siebzigerjahren bei der SPD sein Kreuz machte, konnte, trotz aller berechtigten Bedenken angesichts von linken Ideen in Teilen der Partei, noch einigermaßen sicher sein: ich wähle Schmidt und ich bekomme Schmidt, damals im produktiven Bündnis mit der FDP.

Wer 2021 Scholz wählt, wird niemals sicher sein können, dass er Scholz bekommt.

Die SPD hätte sich, nachdem sie in den letzten Monaten ihren linken Sehnsüchten komplett nachgehen hat, ehrlich machen sollen. Linke Partei, linker Kandidat. So entsteht der Eindruck, die SPD versuche etwas, was in der Welt des Einzelhandels die Verbraucherzentrale auf den Plan rufen würde: Kundentäuschung. Olaf Scholz bleibt es nun zu wünschen, dass er es schafft, die SPD-Basis und die Funktionäre auf seinen Kurs zu bringen - wenn die Partei ihm folgt, dann wäre es in der Tat: kanzlerhaft und würde für 2021 völlig neue Perspektiven eröffnen.

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