Kapitalismusdebatte "Die Regierung subventioniert bis zum Abwinken"

Seite 3/3

"Bankenrettungen sind extrem ungerecht"

Das könnte man auch für den Umgang der Regierung mit den Finanzmärkten behaupten.

Ja, da wird seit der Finanzkrise 2009 munter reformiert. Aber die Regierung verabreicht dem Volk nur Valium, es wird ruhiggestellt. Die wahren Baustellen hingegen werden nicht angegangen. Die Eigenkapitalquote bei Banken ist nach wie vor extrem niedrig. Es gibt kaum Puffer für eine neue Krise. Hinzu kommt: Immer mehr Geschäfte laufen über Schattenbanken ab. Und: Die ganzen neuen Regeln durchblickt selbst kein Finanzexperte. Wir brauchen mehr Transparenz. Das gelingt nur durch ganz einfache Regeln.

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Was wäre so eine einfache Regel?

Dass Steuerzahler Banken retten mussten, war extrem ungerecht und verstärkte Fehlanreize. Damit wir uns nicht falsch verstehen: In der letzten Finanzkrise war die eine oder andere Bankenrettung alternativlos. Aber: Die Politik hätte danach dafür sorgen müssen, dass das nichtwieder passiert. Eine neue Bankenrettung kann kaum ein Staat mehr schultern, so hoch wie die Schulden der Länder sind. Das ist aber nicht passiert. Wir müssen zurück zum Verursacherprinzip. Nur die Eigentümer und Gläubiger sollten für Bankenpleiten haften, nicht die Steuerzahler. Eine zweite einfache Regel: Die Banken müssen gezwungen werden, deutlich höhere Eigenkapitalquoten vorzuweisen. Dann braucht es auch keine weiteren Rettungen durch die Regierungen mehr. So lange es aber eine Art Garantie gibt, dass Staaten Banken im Zweifelsfall rausboxen, werden die Geldinstitute auch weiterhin riskante Geschäfte machen.

Ein letztes wichtiges Thema, dass wir noch ansprechen sollten, sind Ihre Vorschläge im Buch für eine bessere Ernährung. Wenn ich das zuspitzen darf: Sie fordern, die Leute sollten mehr Hülsenfrüchte, Brot oder Reis essen – statt Fleisch und Käse. Das hört sich nach dem Veggie Day der Grünen an.

Noch einmal: Es geht mir nicht darum, den Leuten vorzuschreiben, was sie essen. Vielmehr möchte ich aufzeigen, was die Alternative ist. Ich unterstütze etwa ein Projekt, in dem Kinder aus bildungsfernen Haushalten an gesundes Essen herangeführt werden. Da gehen Ehrenamtler in Schulen und bereiten mit den Kindern aus bildungsfernen Schichten ein gesundes Frühstück zu. So lernen sie, wie man sich gesund und lecker ernähren kann und dass ein Quarkaufstrich nicht schlechter schmeckt als Nutella. Das ist keine Bevormundung. Wir schreiben den Kindern ja nicht vor, was sie essen sollen. Sie werden nur an etwas herangeführt, was sie zu Hause nicht lernen. Erst durch dieses Wissen um Optionen haben sie ja wirklich eine Wahl und können selbst entscheiden.

Die Deutschen stehen auf Wurst und Fleisch

Können sich alle Menschen gesundes Essen leisten? Bioprodukte oder Obst sind doch viel teurer als Tiefkühlpizzen?

Hier müssen wir unterscheiden: Die Biosiegel sind leider bisher völlig intransparent und schwer vergleichbar. Da wird viel Geld mit geschunden. Ich glaube nicht, dass sich die breite Masse nur „Bio-Produkte“ leisten kann. Aber darum geht es uns auch gar nicht. Wir wollen für gesundes Essen werben. Und da können Sie zum Beispiel Mohrrüben kaufen. Die sind nicht teuer. Oder sie kaufen Früchte der Saison, anstatt immer antizyklisch einzukaufen und im Winter Sommerfrüchte zu verlangen. Nudeln und Reis als Basisprodukte etwa sind auch nicht teuer. Wenn Sie ein paar Grundregeln beachten, können sie sich günstig ernähren.

Dem Autor auf Twitter folgen:

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%