Karl-Theodor zu Guttenberg „Die Scham wird fortdauern“

„Nun bin ich in Selbstüberschätzung nicht ungeübt“, sagt Guttenberg – und hat die Lacher gleich auf seiner Seite. In Berlin blickt er auf das jähe Ende seiner politischen Karriere zurück. Und gibt Ratschläge.

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Ex-Minister Karl Theodor zu Guttenberg hat bei seinem Auftritt in Berlin auch Selbstkritik geübt. Quelle: dpa

Berlin Karl-Theodor zu Guttenberg (44) weiß, dass er in der alten Heimat noch viele Anhänger hat – und vielleicht genauso viele Kritiker. Mit Hipster-Brille, Bart und azurblauem Sakko, rhetorisch geschliffen und selbstkritisch bis zur Koketterie tritt der einstige Hoffnungsträger der CSU am Freitag in Berlin vor die Teilnehmer einer Konferenz. Viele bekannte Fernsehgesichter sitzen im Publikum. Bevor Guttenberg unter Applaus zum Rednerpult eilt, haben Politiker wie die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner und der Grüne Anton Hofreiter hier über Zuwanderung, Asyl und Integration diskutiert.

In seiner Rede bespiegelt sich Guttenberg zunächst einmal ausführlich selbst – mit all seinen Schwächen. Er spricht von „Hybris“ und von „Eitelkeit“. Zeitweise gleicht sein Vortrag einer öffentlichen Psychoanalyse in eigener Sache.

„Ich habe lange gebraucht, um meine Eitelkeit zu überwinden“, sagt der frühere Bundesverteidigungsminister. Er erzählt, wie das damals war, in den ersten Monaten nach seinem unrühmlichen Ausscheiden aus dem Amt 2011. Der Skandal um seine in Teilen abgeschriebene Doktorarbeit und seinen anschließenden Rücktritt als Minister sei ihm sehr nahe gegangen, sagt er. Guttenberg, der heute in den USA lebt, spricht vom „abgründig selbst verursachten Sturz“.

Er räumt ein, er sei wohl sehr selbstbezogen gewesen: „Ich sah ein Land der maßlosen Kritiker, der Häme, der Selbstgerechtigkeit und des Nachtretens. Aber ich schämte mich auch und hatte plötzlich Angst – vordergründig vor den Menschen meiner Heimat, unbewusst wohl vor mir selbst.“ Kunstpause. Im großen Saal ist es ganz still. Er fährt fort: „Heute weiß ich, die Kritik war mehr als berechtigt. Die Scham wird fortdauern. Die Angst ist gewichen, sonst stünde ich heute nicht vor Ihnen.“

Diejenigen, die sich eine Rückkehr des ehemaligen Ministers in die Politik wünschen, können diese Worte, wenn sie wollen, als gutes Zeichen deuten. Doch Festlegen will sich Guttenberg nicht. Er sagt, seine Familie fühle sich in den USA sehr wohl. Auch beruflich könne er nicht klagen.

Schwächen konstatiert Guttenberg aber nicht nur bei sich selbst. Er seziert auch die heutigen Vertreter des politischen Establishments – in Deutschland und in seiner neuen Wahlheimat, den USA. Er sagt: „Die Flucht in Alternativlosigkeiten ist längst vom Rettungsanker ins Habituelle gewachsen.“ Eine kaum verschleierte Kritik am Regierungsstil der Bundeskanzlerin.

Der Satz „Wir schaffen das“ sei von Angela Merkel (CDU) in der Flüchtlingskrise wohl genauso „gut gemeint“ gewesen wie einst das „Yes we can“ von US-Präsident Barack Obama. Derartige Aufmunterungen könnten jedoch auch „ein latent wachsendes Misstrauen der Wählerschaft noch verstärken“, stellt er fest. Was wohl heißen soll: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

Der Aufstieg populistischer Bewegungen in den USA und in mehreren westlichen Demokratien „reflektiert die Defizite der Amtsträger“, führt der Gast aus Übersee weiter aus. Das reflexartige Attackieren der Populisten durch die „Platzhirsche“ sei „oft nur wenig intelligenter als die Parolen der Herausforderer selbst“. Punktuelle Selbstkritik sei da eine bessere Strategie.

Damit ist er wieder bei der Kanzlerin, die sich am vergangenen Montag erstmals selbstkritisch zu ihrer Flüchtlingspolitik geäußert hat. Und auch wenn Guttenberg die deutschen Politik an diesem sonnigen Septembertag eigentlich aus der Vogelperspektive betrachten will, merkt man – er ist noch ganz schön nahe dran.

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