Kassenärztliche Bundesvereinigung Neuanfang bei der Ärztelobby

Die Kassenärzte wählen am Freitag einen neuen Vorstand. Der oberste Chef soll der alte bleiben. Trotzdem soll sich nach den Skandalen der vergangenen Jahre alles ändern. Kooperation war in der Vergangenheit die Ausnahme.

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Der Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verspricht Konsens statt Streit und eine bessere Ärzte-Politik für die gesetzlich und privat Krankenversicherten. Quelle: dpa

Berlin Mit Skandalen, Intrigen und öffentlichen Streit sorgte die Kassenärztliche Bundesvereinigung während der vergangenen Jahre für Schlagzeilen. Dabei schreckte die oberste Vertretung der 150.000 Kassenärzte in Deutschland auch nicht davor zurück, immer wieder das Bundesgesundheitsministerium zu düpieren und an der Nase herumzuführen. So baute sie sich eine neue Zentrale in Berlin – gegen den ausdrücklichen Willen der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.

Um deren Verbot zu umlaufen, wählte sie abenteuerliche Rechtskonstruktionen und häufte Finanzrisiken in zweistelliger Millionenhöhe an. Hinzu kamen weit überzogene Pensionsansprüche ehemaliger Führungskräfte im Verband und andere Vergünstigungen für ehemalige Mitarbeiter und den damaligen Vorstandschef Andreas Köhler.

Die Politik sah dem Treiben lange tatenlos zu. Inzwischen hat sie jedoch die rechtlichen Vorgaben und das Aufsichtsrecht für die ärztliche Selbstverwaltung massiv verschärft. Nach dem Motto „mitgehangen mitgefangen“ müssen auch andere Teile der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen härtere Regeln ertragen – vor allem die gesetzlichen Krankenkassen. Ob die Politik mit dem Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, das erst vor wenigen Tagen vom Bundestag verabschiedet wurde, vielleicht sogar überzogen hat, wird die Zukunft zeigen.

Der noch amtierende Chef der KBV, Andreas Gassen (54), ist davon überzeugt. Er fürchtet, dass es in Zukunft immer schwieriger werden wird, gute Leute für den harten Job in der Führungsetage der KBV zu finden. Denn mittlerweile gelten für die Ärzteschaft harte Begrenzungen bei Gehalts- und Pensionsansprüchen. Immerhin setzt das neue Gesetz die Rahmenbedingungen für die ambulante ärztliche Versorgung in Deutschland – von der Bedarfsplanung bis zu den jährlichen Honorarverhandlungen mit den gesetzlichen Krankenkassen. Aber sei‘s drum. Gassen, dem in den vergangenen Jahren der Wind kräftig ins Gesicht blies, will es noch einmal wissen und tritt bei der Vertreterversammlung am Freitag zur Wiederwahl an. Er habe mit Stefan Hofmeister (52) jemanden gefunden, mit dem zusammen er sich zutraue die KBV wieder auf einen erfolgreichen Kurs zu bringen.

Der Orthopäde Gassen will für die Gruppe der Fachärzte zur Wahl antreten, für die er auch bisher schon zuständig war. Hofmeister war Vorstandsvize bei der KV Hamburg und ist Hausarzt. Hört man den beiden zu, kann man sich fast vorstellen, dass in Zukunft die Grabenkriege zwischen der Haus-und Facharztfraktion in der Ärzteschaft der Vergangenheit angehören werden. „Wir beide werden in Zukunft alle wichtigen Dinge betreffend die beiden Arztgruppen gemeinsam entscheiden“, kündigt Gassen an. Auch Hofmeister gibt sich zuversichtlich. Dabei sei ihm eines klar: „Völlige Gleichheit wird es zwischen Hausärzten und Fachärzten wohl niemals geben“.

Kooperation war in der Vergangenheit eher die Ausnahme. Da befehdeten sich Gassen und die für den hausärztlichen Bereich zuständige Regina Feldmann, die ehemalige Chefin der KV Thüringen, von Jahr zu Jahr stärker. Die Abneigung ging zuletzt so weit, dass beide sich im KBV-Haus konsequent aus dem Weg gingen. Immer wenn Gassen vor Ort war, meldete Feldmann sich krank oder Urlaub an. Die Zusammenarbeit, die Gassen ankündigt, ist allerdings so ganz freiwillig nicht. Bislang hatte die KBV nur zwei Vorsitzende. Wurden diese sich nicht einig, gab die Stimme des ersten Vorsitzenden den Ausschlag – also die von Andreas Gassen.

Nun muss erstmals ein dritter Vorsitzender gewählt werden, der weder dem Lager der Hausärzte noch dem der Fachärzte angehört. Im Konfliktfall wird daher der neue Dritte den Ausschlag geben können. Die KBV hat sich daher bis zuletzt heftig gegen diese Verpflichtung, einen dritten Vorstand zu wählen, zur Wehr gesetzt. Ohne Erfolg. Nun soll Thomas Kriedel der erste dritte Vorsitzende in der Geschichte der KBV werden.

Auch das sieht Gassen eher als Glücksfall an. Kriedel ist kein Mediziner, sondern Doktor der Volkswirtschaftslehre. Derzeit ist er Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Gematik – dem Unternehmen, in dem die elektronische Gesundheitskarte und die Digitalisierung des Gesundheitswesens eigentlich vorangetrieben werden sollen. Dort vertritt er die Interessen der KBV. Um dieses Thema soll er sich nun auch in seiner neuen Funktion kümmern. Zudem ist Kriedel mit 67 Jahren zwar noch körperlich fitter als mancher 45-Jährige, aber immerhin in einem Alter, in dem er kaum den Ehrgeiz entwickeln dürfte, Gassen oder Hofmeister von ihren Posten zu verdrängen.

Bislang gilt als sicher, dass die Wahl der drei glatt durchgeht. Das hat auch etwas damit zu tun, dass zuletzt die Chancen gestiegen sind,  die KBV ohne größere Blessuren aus den zurückliegenden Skandal-Jahren herauszusteuern. So ist es laut Gassen gelungen,  für die umstrittenen Immobilien der KBV in der Nähe des Berliner Tiergartens einen so hohen Verkaufspreis zu erzielen, dass keinerlei finanzielle Verluste für die KBV entstehen. Die Details will Gassen am Freitagnachmittag der 60-köpfigen Vertreterversammlung verkünden.

Außerdem dürfen die Negativschlagzeilen der vergangenen Jahre nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gassen und Feldmann in den vergangenen  Jahren so manche Milliarde Euro zusätzlich für die Kassenärzte bei der Politik herausgehandelt haben. Auch das will Gassen vor der Vertreterversammlung mit Zahlen und Fakten  belegen. Und der Skandal um überzogene Pensionszahlungen an ehemalige Führungskräfte? „Darüber entscheiden die Gerichte. Ansonsten gilt: Sie werden sich auf jeden Fall nicht wiederholen“, sagt Gassen. „Denn Herr Hofmeister und ich, wir werden keine Pensionsansprüche haben“.

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