WirtschaftsWoche: Wird in Niedersachsen bald viel mehr Gas gefördert?
Bernd Althusmann: Fast alles Gas, das in Deutschland gewonnen wird, stammt aus Niedersachsen, aus herkömmlichen Gasvorkommen unter der Erde. Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sind in der Politik einige Gewissheiten über den Haufen geworfen. Weil wir vom russischen Gas loskommen müssen, reichen diese Vorkommen wohl nicht mehr wie bisher geplant für sieben Jahre. Wir werden mehr fördern und vor allem importieren müssen. Unter Kriegsbedingungen geraten wir andernfalls schon im kommenden Winter in einen Erdgas-Engpass. Die Industrie und Privatverbraucher benötigen Gas aber noch mehrere Jahre. Aus dem Ausland werden wir auch nicht so einfach Ersatz bekommen.
Heißt das auch, dass bald Fracking stattfindet, also unkonventionelle Förderung, bei der Gas aus vielen kleinen Gesteinsblasen gelöst wird?
Vor einem Einstieg in die umstrittene Fracking-Technologie sollten wir andere Möglichkeiten ausschöpfen.
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Also geht es um Gas aus der Nordsee. Das Gasfeld N05-A liegt zwischen den Niederlanden und Deutschland. Eine niederländische Gesellschaft will es erschließen. Auch von Seiten Ihrer Regierung hieß es bisher: Nein, ohne uns...
Wir werden noch Jahre, eher Jahrzehnte mit Gasförderung leben müssen. Wir müssen unabhängig von russischem Gas werden, heimisch fördern und uns Importe aus verlässlichen Lieferländern sichern. Für mich ist klar, dass der einstimmige Landtagsbeschluss in Niedersachsen 2021 nun nicht mehr zu halten ist. Damals haben wir uns, unter völlig anderen geopolitischen Rahmenbedingungen, gegen eine Förderung aus dem Gasfeld entschieden.
Was tun Sie jetzt?
Wir werden eine Genehmigung zur Förderung aussprechen, sofern die bundesrechtlich vorgeschriebenen Anforderungen erfüllt sind. Das ist die Aufgabe unserer Landesregierung. Das Erdgasfeld N05-A soll im Küstengebiet von niederländischer Seite aus angebohrt werden. Die Plattform der Firma ONE-Dyas soll 500 Meter hinter der Grenze zu Deutschland im Meer stehen, rund 20 Kilometer entfernt von Borkum. Das Vorhaben liegt außerhalb des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“ – es werden keine Horizontalbohrungen unter diesem Gebiet erstellt. Die Umweltprüfung ist auf niederländischer Seite fast abgeschlossen.
Warum geht jetzt, was vorher unmöglich schien?
Wir wollen genehmigen, weil wir nicht von den Niederländern erwarten können, mehr Erdgas an uns zu liefern, aber gleichzeitig sagen, dass bei uns nicht gefördert werden darf. Die Niederländer werden alle europarechtlichen und nationalen Umweltvorgaben einhalten.
Im Koalitionsvertrag der Ampel im Bund steht, dass keine Erdgasvorkommen in Deutschland neu erschlossen werden dürfen. Können Sie das ignorieren?
Der Koalitionsvertrag ist an dem Punkt seit dem 24. Februar, dem Beginn des Krieges, Makulatur. Wir brauchen eine Neubewertung der Versorgungssicherheit Deutschlands. Wir alle wollen die erneuerbaren Energien schnell ausbauen und Klimaneutralität erreichen. Aber wir befinden uns in einer ernsten Lage. Deshalb müssen wir und auch die Bundesregierung die Erdgasförderung in der Nordsee neu bewerten.
Wenn Sie nun genehmigen, wann könnte frühestens Gas gefördert werden?
Eine Entscheidung soll bis spätestens Ende April erfolgen. Optimistisch kann dann ab 2024 mit Gas gerechnet werden, vielleicht ab 2025. Die Lagerstätte könnte rund 60 Milliarden Kubikmeter Gas umfassen. Das wäre der größte niederländische Gasfund seit 25 Jahren.
Die Bewohner Borkums, Naturschützerinnen oder die Tourismusbranche wenden sich gegen eine Gasförderung nahe des Wattenmeers. Was sagen Sie denen?
Ich habe den Bürgermeister Borkums um Verständnis für diese Maßnahme gebeten. Das Thema hat nationale Tragweite. Natürlich sind die Menschen auf der Insel unglücklich über die Bohrplattform, die dann 20 Kilometer entfernt im Meer steht. Die Menschen in Borkum befürchten nach Worten des Bürgermeisters auch, dass sich durch die Förderung vielleicht der Meeresboden senkt. Das Niederländische Wirtschaftsministerium sieht nach einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung allerdings keine nachhaltigen Umweltauswirkungen.
Welchen Einfluss hat die Landtagswahl in Niedersachsen im Herbst auf solche umstrittenen Entscheidungen?
Das sind national relevante und notwendige Entscheidungen. Da dürfen wir uns von einer Landtagswahl nicht abhalten lassen.
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