
„Ich halte es für falsch, darüber zu debattieren, ob sich Länder nun mit 0,5 oder 0,8 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts verschulden dürfen. Wir brauchen den Zwang zu ausgeglichenen Haushalten“, fordert Tillich im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. „Allenfalls bei Katastrophen oder schwerer Rezession sollte eine – begrenzte – Neuverschuldung erlaubt sein.“ Allerdings räumt Tillich ein, dass es große Widerstände gegen den Vorschlag gibt. „Wir brauchen eine verfassungsändernde Mehrheit im Bundestag und Bundesrat. Die ist noch nicht in Sicht. Da bedarf es also noch einiger Überzeugungsarbeit. Sparen ist eben anstrengend.“
Dabei kritisiert Tillich die Ausgabementalität einiger Länder. „Ich würde als Ministerpräsident auch gerne wie einige Kollegen kostenfreie Leistungen anbieten, um mir die Sympathie der Wähler zu sichern. Das ist der bequemere Weg, aber niedrige Schulden sind nicht ohne Anstrengung zu haben. Sachsen ist dank seiner soliden Haushaltpolitik heute das Land mit der zweitniedrigsten Pro-Kopf-Verschuldung. Weil wir unser Geld zusammengehalten haben, stehen uns jedes Jahr zusätzliche Mittel von 830 Millionen Euro zur Verfügung.“
Tillich hält es für möglich, dass es bei den Beratungen der Föderalismuskommission am 16. und 17. Oktober zu einem Durchbruch in der Schulden-Frage kommt. „Ich kann mir vorstellen, dass es eine Lösung gibt – nach einer Nacht der langen Messer. Wenn einzelne überschuldete Staaten eine Einigung blockieren, wird sich auch an ihrer Situation nichts ändern.“
"Es wird keinen Soli III geben"
Tillich hält es nach Auslaufen des aktuellen Solidarpaktes II nicht mehr für vermittelbar, eine weitere spezielle Förderung der neuen Länder anzustreben. Der WirtschaftsWoche sagte Tillich: „Es wird keinen Soli III geben. Ein umfangreiches Gesamtpaket wäre dann auch nicht mehr zu vermitteln. Für Sachsen sage ich ganz klar: Wenn der Solidarpakt ausläuft, wollen wir wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen.“ Zwar werde es auch nach 2019 weiterhin Regionen geben, die Nachholbedarf haben, hier gelte es jedoch, eine Förderung nach Bedarf einzuführen. „Wenn wir über die Zeit nach 2019 reden, werden wir uns ein Beispiel am Europäischen Strukturfonds nehmen müssen“, so Tillich. „Die Förderpolitik muss am wirtschaftlichen Nachholbedarf ansetzen und nicht an der Himmelsrichtung.“
Ostdeutschland sollte künftig ein eigenes Wirtschaftsprofil entwickeln und nicht einfach den Westen kopieren, so Tillich. „Unser Ziel sollte nicht der Nachbau West sein, sondern die Schaffung eines eigenständigen Wirtschaftsstandorts. Ein Beispiel: Das Dreieck Niederschlesien-Böhmen-Sachsen war vor dem 2. Weltkrieg eine der wohlhabendsten Regionen Europas. Das zu reanimieren, werde ich als Ministerpräsident vorantreiben.“
Für die weitere wirtschaftliche Entwicklung brauchen die neuen Länder laut Tillich auch Arbeitskräfte aus Nachbarländern wie Polen und Tschechien. Er kritisiert die Bundesregierung wegen ihrer Pläne, die Freizügigkeit für Osteuropäer bis 2011 zu verschieben. „Davor kann ich nur warnen. Das wäre fatal für Sachsen. Wir haben in den vergangenen Jahren viele junge Fachkräfte an den Westen verloren und sind auf qualifizierte Arbeitnehmer aus Osteuropa angewiesen. Und die würden auch gerne nach Ostdeutschland kommen, weil man hier anders als in Frankfurt oder München bezahlbaren Wohnraum findet.“
Ein Entwicklungshemmnis in Ostdeutschland ist laut Tillich auch die teilweise mangelhafte Verkehrsinfrastruktur. Hart geht er vor allem mit der Bahn ins Gericht: „Wenn Sie mit der Bahn von Dresden nach Prag reisen, fahren die Züge auf deutscher Seite 120, auf tschechischer Seite 160 Kilometer pro Stunde. Zwischen Dresden und Breslau ist die Strecke nur in Polen elektrifiziert – in Deutschland zuckeln Dieselloks über die Gleise!“