Klaus Hurrelmann „Einen so heftigen Protest haben wir seit 50 Jahren nicht erlebt“

Klaus Hurrelmann ist Sozialwissenschaftler und Kinder-, Jugend- und Bildungsforscher. Quelle: Hertie School

Seit Jahrzehnten forscht Klaus Hurrelmann zur Jugend. Die „Fridays for Future“-Bewegung überraschte ihn trotzdem. Warum Politisierung ökonomische Gründe hat und wie das Konsumverhalten der Generation Z zu bewerten ist.

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WirtschaftsWoche: Herr Hurrelmann, seit Jahrzehnten erforschen Sie Jugendliche, seit 2002 unter anderem im Rahmen der Shell-Jugendstudien. Hat Sie das politische Aufbegehren der Schülerinnen und Schüler überrascht, die seit Anfang des Jahres jeden Freitag für mehr Umweltschutz auf die Straße gehen?
Klaus Hurrelmann: Ja, das hat es. Eine so intensive Form des Protests junger Menschen haben wir seit 50 Jahren nicht erlebt. Dass Jugendliche, die noch nicht einmal volljährig sind, eine solche politische Initiative organisieren, ist historisch neu. Die 68er-Bewegung prägten Studierende jenseits der 20. Die maßgeblichen Organisatoren der Proteste um den Hambacher Forst sind zwischen 20 und 40. Und nun sehen wir Menschen, die zum Teil gerade dem Grundschulalter entwachsen sind und Sprecher- oder Leiterrollen für die lokalen Ableger von „Fridays for Future“ ausüben. 16-jährige Sprecherinnen und Sprecher – es sind ja sehr viele Frauen dabei – präsentieren der Politik und den Medien ihr Anliegen auf sachliche, authentische und sehr frische Art und Weise, als hätten sie seit Jahren nichts anderes gemacht. Da ist man erst einmal sprachlos.

Wie erklären Sie sich diese Professionalität in so jungen Jahren?
Das ist vor allem auf die sozialen Netzwerke zurückzuführen. Dort haben die Jugendlichen ihr Handwerk gelernt und das Darstellen und Verkaufen von Sachverhalten von klein auf erprobt. Eltern argwöhnen zwar oft, den Jugendlichen ginge es in den sozialen Medien nur um die Darstellung ihrer eigenen Person. Doch wir sehen nun: sie haben dort wirklich wichtige Fertigkeiten erlernt. Auch die Schulen haben etwas dazu beigetragen. Bei all den Problemen, die es in deutschen Schulen gibt, die Jugendlichen trainieren dort das Präsentieren komplexer Inhalte. Diese Fertigkeiten sind unter den Jugendlichen heute so weit verbreitet, die können nicht allein aus dem Elternhaus stammen.

In Unternehmensratgebern firmieren diese Jugendlichen unter dem Begriff „Generation Z“. Kann man jungen Menschen gerecht werden, wenn man sie kollektiv als Generation betrachtet?
Das ist in der Tat sehr schwierig. Trotzdem haftet dem Begriff „Generation“ etwas sehr Faszinierendes an. Geprägt hat ihn der Soziologe Karl Mannheim in den 1920ern. Heute verwenden wir ihn theoretisch etwas weniger anspruchsvoll als Mannheim, dafür aber auf anschaulichere Weise – zum Beispiel in den Shell-Jugendstudien. Im Kern ist die Idee hinter dem Begriff: Junge Leute erfahren während der sehr sensiblen und prägenden Zeit der Pubertät bestimmte politische, wirtschaftliche, technische und kulturelle Ereignisse, die Spuren in ihren Persönlichkeiten hinterlassen. Diese kollektive Erfahrung prägt bestimmte Merkmale unterschiedlicher Alterskohorten.

Nun hat es zu allen Zeiten gesellschaftliche Strukturen gegeben, gegen die es sich aufzubegehren gelohnt hätte. Warum politisiert sich die eine Generation und die andere nicht?
Betrachten wir die Aufbaugeneration, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufwuchs. Die war überhaupt nicht politisiert, obwohl es dafür in der Tat gute Gründe gegeben hätte. Erst die 68er-Generation, die wirtschaftlich und politisch vergleichsweise komfortable Zeiten erlebte, politisierte sich. Daher rührt meine Vermutung: Politisch werden die jungen Leute immer dann, wenn sie es sich wirtschaftlich leisten können.

Geht es den Jugendlichen der so genannten „Generation Z“ wirtschaftlich denn so viel besser als der „Generation Y“? Immerhin gehen sie ja auf die Straße, während sich die vorherigen Generationen damit begnügten, als Erwachsene Bio-Produkte zu kaufen und Bahn zu fahren, statt ein Auto zu besitzen.
Das Heranwachsen der zwischen 1985 und 2000 Geborenen war geprägt von Krisenerfahrungen: Mit dem 11. September erlebten sie eine politische Krise, mit Fukushima eine ökologische, mit der Euro- und Weltwirtschaftskrise eine ökonomische Krise. Deswegen blieb diese Generation sehr still und hat sich politisch nur wenig beteiligt.

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