Klaus J. Bade „Stärker steuern“

Migrationsexperte Klaus J. Bade über Wege zu einer besseren Ausländerintegration in Deutschland, die Reform der Zuwanderungspolitik, sinnlose Sanktionen und Feststoffphysiker als Taxifahrer.

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WirtschaftsWoche: Herr Bade, der Integrationsgipfel der Bundesregierung findet ein zwiespältiges Echo. Können derartige Veranstaltungen helfen, die Integration voranzutreiben? Bade: Ja – wenn sie von der Mehrheitsgesellschaft und den Zuwanderern als Signal verstanden werden, dass die Regierung das Thema ernst nimmt. Leider hat die deutsche Politik die Probleme jahrzehntelang vor sich her geschoben. Deshalb ist es schon ein Erfolg, dass die Integration nun offenbar auf der politischen Agenda ganz oben steht. In Deutschland leben über sieben Millionen Migranten. Warum ist deren Integration in vielen Fällen gescheitert? Sie ist nicht gescheitert, trotz aller Probleme. Beide Seiten haben aber gravierende Fehler gemacht. Die Migranten haben lange nicht begriffen, dass sie Einwanderer wurden – und nicht Gastarbeiter blieben. Gleichzeitig hat die Politik dementiert, dass Deutschland auf dem Weg zum Einwanderungsland war. Hätten wir uns früher dazu bekannt und durch eine gezielte Politik des Förderns und Forderns den Migranten klare Perspektiven geboten, hätten wir heute weniger Probleme. Welche Maßnahmen sind jetzt nötig, um die Zuwanderungs- und Integrationsprobleme in den Griff zu bekommen? Wir müssen die Zuwanderung stärker nach ökonomischen Kriterien steuern. Derzeit haben wir in 80 Prozent der Fälle keinen Einfluss, etwa weil die Zuwanderer über den Familiennachzug oder als Spätaussiedler kommen. Der Steuerungsbereich ist also viel zu klein. Die Regierung sollte daher das Zuwanderungsgesetz novellieren und ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild einführen. Das stand damals schon im Gesetzentwurf, wurde aber auf Druck der Union 2004 gestrichen. Über ein Punktesystem lässt sich steuern, wer ins Land kommt – und wer nicht. Dazu können Kriterien wie Sprachkompetenz, Qualifikation oder Alter entsprechend gewichtet werden. Auf dem Feld der Integration brauchen wir zudem mehr wissenschaftliche Expertise in der Politikberatung. Dass die Regierung 2004 den Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration aufgelöst hat, war ein Fehler, der korrigiert werden sollte. Erleichtert eine Zuwanderungssteuerung die Integration? Ja, allein schon wegen der besseren beruflichen Qualifikationen und der Sprachkenntnisse. Hinzu kommen muss allerdings eine präventive Integrationspolitik, das heißt gezielte Maßnahmen schon im Vorfeld der Zuwanderung. Das geht dort, wo es geregelte Verfahren gibt, etwa bei Spätaussiedlern oder jüdischen Zuwanderern aus den GUS-Staaten. Für sie gibt es Wartezeiten bis zu drei Jahren. Schon in dieser Zeit sollten wir ihnen Sprachkurse und berufliche Weiterbildungsmaßnahmen anbieten, die den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern. Das muss gar nicht viel kosten. Man stellt den Leuten einen PC ins Wohnzimmer und liefert die Informationen online. Und was ist mit den Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben? Sie sollten im Zentrum der Integrationspolitik stehen. Denn während der Anteil der Neuzuwanderer in der Bevölkerung zurückgeht, wächst der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund. Im Ruhrgebiet sind es mittlerweile 25 Prozent. Ich verstehe nicht, warum von den jährlich 300.000 Plätzen in Integrationskursen die meisten für Neuzuwanderer reserviert sind, für seit Langem im Land lebende „Bestandsausländer“ aber nur 50.000 bis 60.000 Plätze. Die Angebote müssen für alle offen stehen, die sie brauchen. Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) will die Integration über vermehrte Einbürgerungen verbessern. Macht das Sinn? Ja. Wer die Staatsbürgerschaft annimmt, bekennt sich zu diesem Land und wird unsere Werte im täglichen Leben verteidigen – auch gegen Kritik aus der eigenen ethnischen Gruppe. Einbürgerungen können eine Art Multiplikatoreffekt bewirken. Experten wie die Soziologin Necla Kelek werfen der Politik vor, zu nachgiebig gegenüber integrationsunwilligen Ausländern zu sein. Müssen auch Sanktionen sein? Ich warne vor populistischer Rhetorik. Es bringt nichts, dauernd mit der Sanktionskeule zu winken. Meinen Sie, jemand freundet sich leichter mit unserem Land und unseren Werten an, wenn ihm als Alternative die Ausweisung angeboten wird? Die Integrationsunwilligen sind in der Regel nicht gut Qualifizierte, sondern Menschen in bildungsfernen Enklaven, die in ihrem Umfeld keine integrativen Vorbildkarrieren vorfinden. Wir müssen einen Zugang in diese prekären Milieus finden und dort – mit Nachdruck – Überzeugungsarbeit leisten, dass eine vernünftige Bildung der Kinder der Schlüssel zu Integration und sozialem Aufstieg ist. Funktioniert die Integration im Arbeitsleben besser als im gesellschaftlich-kulturellen Bereich? Ja. Der Betrieb schafft eine Art überwölbende Identität für alle, ein gemeinsames Dach. Die Mitarbeiter eines Unternehmens haben in der Regel die gleichen Ziele, wollen beruflichen Erfolg, einen sicheren Job. Kulturelle Unterschiede treten in den Hintergrund. Nicht von ungefähr gibt es die meisten Integrationsprobleme bei Zuwanderern, die keinen Job haben. Was kann die Wirtschaft tun, um die Integration voranzutreiben? Sie sollte gegenüber der Politik den Finger in die Wunde legen: Wir gehen mit dem Humankapital vieler Zuwanderer sträflich um. Es gibt hochkarätige russische Feststoffphysiker, die in Deutschland Taxi fahren, weil ihre Diplome nicht anerkannt werden – und an den Schulen fehlen Physiklehrer, das ist doch absurd. Im Übrigen gibt es einen bemerkenswerten Unterschied zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst: In den Betrieben sind ausländische Mitarbeiter Normalität. Im öffentlichen Dienst finden sie sich vorzugsweise im Putzdienst.

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