
Ohne Rettungsschirm geht der Euro unter. Davon sind die führenden Politiker in der EU überzeugt. Bei der entscheidenden Sitzung in Brüssel sind die wichtigsten deutschen Politiker aber nicht anwesend – Kanzlerin Angela Merkel weilt in Moskau und Finanzminister Wolfgang Schäuble liegt im Krankenhaus. Innenminister Thomas de Maizière springt ein und lässt sich über den Tisch ziehen. Am Ende steht der erste europäische Rettungsschirm mit einem Gesamtvolumen von 750 Milliarden Euro. Deutschland hat all seine Regeln und Grundsätze, nicht für die Schulden anderer Staaten einzustehen, über Bord geworfen.
So erinnert sich der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch an die Ereignisse im Mai 2010. Die Griechenlandkrise nahm seit einigen Wochen ihren Lauf. Willsch lehnte Finanzhilfen für Athen von Beginn ab, was ihn später den Spitznamen „Euro-Rebell“ einbringen sollte. Einen Begriff, den er stets ablehnte und der zu einer gewissen Verbitterung führte.
An Griechenland hängt mehr als nur der Euro
Seit Wochen betonen die Euro-Partner, dass die Ansteckungsgefahr nach einem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone eher gering wäre. Zum einen wird darauf verwiesen, dass sich heute fast alle griechischen Schulden bis auf 40 bis 50 Milliarden Euro in der öffentlichen Hand befinden - eine Kettenreaktion kollabierender Banken also nicht zu befürchten sei. Zum anderen hätten sich Gläubiger seit langem auf mögliche Probleme eingestellt und ihre griechischen Geschäfte reduziert.
Alles falsch, meint Schulz und verweist darauf, dass die Risikoaufschläge etwa für spanische Staatsanleihen in den vergangenen Wochen erheblich gestiegen seien. Kommt ein Staatsbankrott, würde der möglicherweise einen Schuldenschnitt nach sich ziehen - mit erheblichen Belastungen für die klammen Haushalte etwa der südlichen EU-Staaten, aber auch Frankreichs.
Außerdem könnte das Vertrauen in den Euro als Währung weltweit Schaden nehmen, wenn eines der 19 Mitglieder ausbreche, heißt es in der Bundesregierung. Dabei spiele keine große Rolle, dass Griechenland weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Währungszone beisteuere. Denn die angebliche Unumkehrbarkeit der Euro-Einführung wäre widerlegt.
In Berlin fürchtet man aber auch, dass ein Kollaps Griechenlands den Befürwortern eines britischen Austritts aus der EU Auftrieb geben könnte. Europa droht also an seinen Rändern zu zerfasern. Der Grund ist einfach: Die EU wäre nach einem Ausstieg Athens wahrscheinlich in einem so desolaten Zustand und müsste so viel kurzatmige Rettungsaktionen für Griechenland starten, dass die Gemeinschaft auf britische Wähler kaum noch attraktiv wirken dürfte. Möglicherweise würden zudem mehr Griechen das eigene Land auch Richtung Großbritannien verlassen wollen. Die Briten schimpfen aber bereits jetzt über zu viele Migranten aus anderen EU-Ländern - dies ist einer der Kritikpunkte der EU-Gegner auf der Insel.
Griechenland ist nicht nur ein angeschlagener Euro-Staat, sondern auch ein schwieriger EU-Partner. Mit seiner Linksaußen- Rechtsaußen-Regierung betonte Ministerpräsident Alexis Tsipras politische Nähe zum Kreml und hat sich mehrfach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. In der EU gibt man sich zwar gelassen, dass Russland nicht als alternativer Geldgeber gegen die EU ausgespielt werden kann - dafür sind die nötigen Hilfssummen viel zu groß. Auch die Träume des Links-Politikers, dass Griechenland Verteilland für russisches Gas in der EU werden könnte, dürften sich angesichts des Vorgehens der EU-Kommission gegen den russischen Gasriesen Gazprom zerschlagen. Aber Putin hat nach Ansicht von EU-Diplomaten durchaus schon bewiesen, dass er Differenzen zwischen EU-Staaten ausnutzen kann. Bei der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland braucht es etwa auch die Zustimmung Griechenlands.
In Berlin sorgt man sich zunehmend, dass die gesamte Balkan-Region ohnehin sehr instabil werden kann. Immer noch gärt der Namensstreit zwischen Griechenland mit dem EU-Beitrittsaspiranten Mazedonien - in dem ein heftiger innenpolitischer Machtkampf tobt. Und Geheimdienste warnen, dass die radikalislamische Miliz Islamischer Staat (IS) in den vergangenen Monaten massiv versucht hat, in den moslemischen Bevölkerungen Bosnien-Herzegowinas, Albaniens oder Mazedoniens Fuß zu fassen. Ein zusammenbrechender Nachbarstaat Griechenland würde die Unruhe in der Region noch verstärken.
Kaum diskutiert worden ist die Rolle Griechenlands bei der Abwehr eines unkontrollierten Zuzugs von Flüchtlingen in die EU. In den vergangenen Jahren hat der bessere Schutz der griechisch-türkischen Grenze Flüchtlingen aus dem Nahen Osten die Einwanderung in die EU zumindest zum Teil erschwert. Die linke Syriza-Partei könnte im Falle eines Staatsbankrotts die Schleusen für afrikanische oder syrische Flüchtlinge aufmachen. Entsprechende Drohungen waren aus Athen bereits zu hören. Denn seit Jahresbeginn seien bereits 46.000 Flüchtlinge nach Griechenland gekommen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. 2014 waren es im selben Zeitraum nur 34.000 Personen. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor einer Flüchtlingskatastrophe in Griechenland.
EU-Kommissar Günther Oettinger forderte die Brüsseler Behörde auch deshalb auf, einen "Plan B" zu erarbeiten. Dabei soll Hilfe für das Land für den Fall eines Bankrotts vorbereitet werden. Neben humanitärer Hilfe gehe es um die Frage, wie man eigentlich die Sicherheit in dem EU-Land noch gewährleisten will, wenn die Regierung den Polizisten keine Löhne mehr zahlen kann.
Willsch hat nun ein Buch veröffentlicht, in dem er mit der Rettungspolitik der Bundesregierung abrechnet. Es ist die Rettungspolitik seiner eigenen Kanzlerin, seiner eigenen Partei. In „Von Rettern und Rebellen“ zeichnet Willsch gemeinsam mit seinem Co-Autor und Büroleiter Christian Raap die vielen Einzelentscheidungen nach, die heute unter dem Schlagwort Euro-Rettung subsumiert werden: von Berlins einstiger Haltung, Griechenland keine Finanzhilfen gewähren zu wollen, über das erste und zweite Hilfspaket, Finanzspritzen für Portugal, Spanien, Irland und Zypern bis hin zu den temporären und permanenten Rettungsschirmen.
"Stabilitätsarchitektur der Währungsunion hinweggefegt"
Willschs Buch ist eine akribische Chronologie der letzten fünf Jahre. Er zitiert aus Interviews, Reden und öffentlichen Wortmeldungen, will transparent machen, wann und wie sich die Bundesregierung zu welcher Entscheidung durchgerungen hat.
Über die eingangs geschilderte Entscheidung für einen temporären Rettungsschirm schreibt er: „Jetzt waren die Hilfen, für die es noch gar keinen konkreten Adressaten gab, nicht mehr freiwillig und bilateral, sondern gemeinschaftlich und verpflichtend. Die alten Scheinargumente hatten übers Wochenende ausgedient. Drei entschlossene Franzosen in Schlüsselpositionen – Trichet, Strauss-Kahn und Sarkozy – hatten im Handstreich die Stabilitätsarchitektur der Währungsunion hinweggefegt.“
Der Euro-Rebell macht keinen Hehl aus seiner Meinung. Genau das macht das Buch lesenswert. Es liest sich wie das Tagebuch eines Mannes, der zwar nicht in der vordersten Politikreihe dabei war, aber trotzdem nah genug dran, um die entscheidenden Weichenstellungen genau nachvollziehen zu können.
Er ist enttäuscht, weil seine Partei einst versprach, der Euro werde nie dazu führen, dass Deutschland für andere EU-Länder zahlt. Da er an diesem Versprechen festhalten wollte, gilt er heute als isoliert.