Kleine Parteien in Nordrhein-Westfalen Wer die AfD wählt, hilft Kraft

In NRW können vier kleine Parteien mit dem Einzug ins Parlament rechnen – regieren wird wohl keine von Ihnen. Taktisches Wählen ist trotzdem möglich.

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Wahlplakat der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in Köln. Quelle: dpa

Es ist eine paradoxe Situation. Wenn am Sonntag um 18 Uhr die Abstimmung in Nordrhein-Westfalen um den nächsten Landtag beendet sein wird, dann dürfte es auf fast allen Wahlpartys erstmal laut werden. Bei der SPD; wenn man zumindest stärkste Kraft bliebe. Bei der CDU, weil das Horrorergebnis von 2012 (26,3 Prozent) garantiert überboten wird. Bei der FDP sowieso, weil ein zweistelliger Stimmenanteil ausgemacht scheint. Auch bei den Linken, die sich nach mikroskopischen 2,5 Prozent diesmal zumindest wieder Hoffnungen auf den Einzug in den Landtag machen dürfen. Auch die AfD, beim letzten Mal noch nicht angetreten, wird wohl ins Parlament kommen und jubeln. Nur bei den Grünen könnte es still bleiben. Die 11,3 Prozent von 2012 scheinen ein Ausreißer gewesen zu sein.

Doch die Begeisterung dürfte sich bald legen. Denn auch wenn vielleicht so viele Parteien im Düsseldorfer Landtag sitzen werden wie nie zuvor, am Ende wird wohl nur eine einzige Koalition möglich sein: die große von CDU und SPD. Laut den jüngsten Umfragen käme die SPD auf 33 Prozent, die CDU auf 30, die Grünen auf 7, die FDP auf 13, die Linken auf 5 und die AfD auf 7 Prozent. Bei einem entsprechenden Wahlergebnis wären SPD und Grüne 10 Prozentpunkte von einer eigenen Mehrheit entfernt, CDU und FDP 7 Punkte. Klassische Lagermehrheiten könnten daraus nur noch werden, wenn sich die Meinungsforscher bei gleich mehreren Parteien deutlich verschätzt haben und sowohl AfD als auch Linke knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Dann würden die erfolgreichen Parteien mehr Parlamentssitze für ihre Stimmanteile  bekommen und könnte so für Mehrheiten jenseits einer großen Koalition sorgen. Dass das passiert, ist jedoch unwahrscheinlich.

Zur großen Wahrscheinlichkeit des großen Bündnisses tragen die kleinen Parteien selbst bei. So hat der Chef der FDP, Christian Lindner, wohl auch mit Blick auf den Bundestagswahlkampf, eine Ampel-Koalition mit der SPD und den Grünen ausgeschlossen. Ebenso haben die Grünen festgelegt, dass sie für ein Jamaika-Bündnis mit der CDU und der FDP nicht zu haben sind. Die gesamtlinke, rot-rot-grüne Verbrüderung hat Hannelore Kraft inzwischen nach langem Drängen der CDU ausgeschlossen, zumindest für den Fall, dass sie Ministerpräsidentin bliebe. In Teilen ihrer Partei ist diese Option aber nach wie vor populär, zumindest wenn es um Machterhalt oder Machtverlust geht.

Nach jüngsten Umfragen wäre Rot-Rot-Grün ohnehin fünf Prozentpunkte von der Mehrheit entfernt. Und wenn die Linken nicht ins Parlament einziehen, stellt sich die Frage gar nicht. Hinzu kommt, dass andererseits mit einem Einzug der Linken ins Parlament eine zusätzliche Partei im Parlament säße, was Stimmanteile und Sitzanteile näher zusammenrückt. Dadurch wird es unwahrscheinlicher, mit weniger als 50 Prozent der Stimmen auf 50 Prozent der Sitze zu kommen.

Wer angesichts all dieser Komplikationen taktisch wählen will, der hat es wohl so schwer wie noch nie bei einer Landtagswahl. Einerseits, weil die Chancen für die meisten Koalitionen sehr gering sind. Andererseits, weil man schon bereit sein muss, einen Großteil seiner Überzeugungen zu opfern, um zum Ergebnis seiner Wahl beizutragen.

So wählt man taktisch

Ein Beispiel: Wer dafür sorgen möchte, dass die große Koalition Realität wird, der kann fast alles wählen – außer CDU oder SPD. Denn je schwächer die beiden werden, desto geringer wird auch ihre Chance, mit einer kleinen Partei die Mehrheit zu schaffen. Doch damit nicht genug der kontraintuitiven Taktik. Denn wer sein Kreuz bei den Grünen oder FDP macht, der gibt sein Kreuz ja einem der beiden potenziellen Koalitionspartner. Für die Linken zu stimmen wäre daher noch ein bisschen sicherer, da mit deren Parlamentseinzug alle nicht schwarz-roten Koalitionen unwahrscheinlicher werden.

Den größten Dienst leistet der großen Koalition, wer die AfD wählt. Denn erst wenn sie draußen bliebe, würde sich ein ganz neues Feld für Koalitionen öffnen, sowohl Schwarz-Gelb als auch Rot-Rot-Grün wären dann in greifbarer Nähe.

Andere Koalitionen bewusst anzusteuern, ist währenddessen deutlich komplizierter. Grundsätzlich gilt bei dieser Wahl: Wer sich ein linkes oder ein konservatives Bündnis wünscht, der sollte am besten die jeweils größte Partei, also die CDU oder die SPD wählen. Denn die Grundvoraussetzung für die eine wie die andere klassische Koalition ist erstmal die Frage, wer die stärkste Kraft wird und damit höchstwahrscheinlich den Ministerpräsidenten stellen kann. Da SPD und CDU in den Umfragen zuletzt eng beieinander lagen, kann man weder das eine noch das andere als gegeben annehmen.

Eine verhältnismäßig klare Wahltaktik steht zudem solchen Wählern zur Verfügung, die Rot-Rot-Grün möglich machen möchten. Da der heikelste Punkt an diesem Plan der Einzug der Linken ins Parlament zu sein scheint, müsste man dort sein Kreuzchen machen. Da man damit aber zugleich die Stimmanteile der Grünen und der SPD verwässert, hilft auch das nicht wirklich weiter.

Die FDP oder die Grünen sollten vor allem diejenigen wählen, die doch noch auf eine Ampel oder ein Jamaika-Bündnis hoffen. Denn sollte eine der großen Parteien an der Urne sehr deutlich abgestraft werden, so könnte es für sie nach der Wahl unverantwortlich werden, sich als gebeutelter Juniorpartner in eine große Koalition zu begeben. Unter dem Druck der Alternativlosigkeit könnten die bisher ausgeschlossenen Dreierbündnisse dadurch doch wieder ins Spiel kommen. Tendenziell dürfte aber auch hier widersprüchliches Handeln angesagt sein: Wird die FDP richtig stark, könnte das eher für eine Ampel sprechen, werden die Grünen sehr stark, würde ein Jamaika-Bündnis realistischer. Schließlich brechen sich aus der Perspektive des Siegers die Wahlversprechen deutlich leichter. Denn in dieser Rolle sind zum einen Neuwahlen deutlich unattraktiver, zum anderen kann man aus der Position der Stärke deutlich mehr Positionen durchsetzen.

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