Kleiner Umbau Bei der Pflege fehlt ein Plan

Der Bundestag hat am Freitag das Pflegegesetz verabschiedet. Quelle: imago images

Bei der Pflegeversicherung gibt es etwas Entlastung, aber vor allem viele ungeklärte Probleme. Für fünf Millionen Hilfebedürftige, die Angehörigen und die Fachkräfte fehlen wichtige Antworten

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Die Aufmerksamkeit der Regierung liegt zurzeit voll beim Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD). Da rutschen wichtige Vorhaben wie die Pflege nach hinten – und es werden kaum bemerkt Gesetze verabschiedet, die den Betroffenen wenig Entlastung bieten und der Branche mitsamt ihrer Personalnot wenig Besserung verheißen.

So ein kleines bisschen Verbesserung ohne Langzeitplan ist das „Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz“ von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Vielleicht versagt die Regierung hier und bei anderen überfälligen Umbauten im Gesundheitswesen mehr als bei der angestrebten Wärmewende.

Pflege betrifft viele Menschen: Knapp fünf Millionen erhalten zurzeit Leistungen aus den Pflegekassen, noch mehr Menschen sind betroffen, wenn man den Einsatz und die Sorgen von Angehörigen einbezieht. Ab 80 ist jeder vierte Mann und jede dritte Frau pflegebedürftig, ab 90 sogar rund 60 Prozent der Männer und drei Viertel der Frauen. Aber auch bei Jüngeren zwischen 20 und 55 Jahren beziehen rund neun Prozent der Menschen im Land Unterstützung aus der Pflegekasse.

Im Gesundheitswesen gibt es auch nach der akuten Corona-Krise viele Baustellen. Der Minister nennt als „roten Faden“, Behandlungen aus ökonomischen Zwängen zu lösen. Die Ärzte melden auch Kritikpunkte an.

Das nun im Bundestag verabschiedete Pflegegesetz soll die häusliche Pflege besser unterstützen und Pflegebedürftige sowie deren Angehörige entlasten. Immerhin werden gut vier Millionen der knapp fünf Millionen Empfänger von Leistungen aus dieser Versicherung ambulant gepflegt, entweder durch Angehörige oder Profis. Gleichzeitig steigen die Beiträge. Aus Sicht von KritikerInnen bringt das Vorhaben aber nur kleinere Verbesserungen, keine grundlegende Entlastung für Hilfebedürftige.

Der allgemeine Beitragssatz soll nun dafür von 3,05 Prozent des Bruttolohns auf 3,4 Prozent zum 1. Juli steigen. Kinderlose zahlen bisher schon einen Aufschlag von 0,35 Prozentpunkten. Geplant ist, dass Kinderlose dann 0,6 Prozentpunkte mehr zahlen. Wer mehrere Kinder hat, soll dagegen ab dem zweiten bis zum fünften Kind unter 25 Jahren pro Kind 0,25 Punkte weniger abführen müssen. Eine solche Berücksichtigung der Kinderzahl hatte das Bundesverfassungsgericht gefordert.

Lauterbach sicherte zugleich eine Option zu, die Beitragssätze weiter zu erhöhen, wenn sich in der Pflegeversicherung neue Finanzlöcher auftun: Laut Gesetzentwurf wird „für den Fall eines kurzfristigen Liquiditätsbedarfs zusätzlich eine Rechtsverordnungsermächtigung für die Bundesregierung zur Anpassung des Beitragssatzes ergänzt“. Das ist absehbar. Der Bundestag soll eine solche Verordnung nachträglich ändern können.

Doch die etwas höheren Zahlungen aus der Sozialkasse sind geringer als die Inflation und wurden zudem in den vorigen Jahren gar nicht entsprechend der Teuerung angehoben. Das Pflegegeld wurde zuletzt 2017 erhöht. Dieses Geld wird ausgezahlt, wenn jemand nicht stationär, sondern zuhause unterstützt wird. Ab 2024 sollen hier fünf Prozent mehr zusammenkommen – gestaffelt nach Pflegegraden.

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Doch alle kleineren und feineren Veränderungen bei der jüngsten der Sozialversicherungen bieten keine Antworten auf stark steigende Eigenanteile für Menschen, die in einer Einrichtung gepflegt werden. Die Versicherung funktioniert als Teilkasko und übernimmt immer nur einen Teil der Kosten.

So zahlen nach jüngsten Zahlen des Ersatzkassenverbandes VDEK Menschen, die in einer Einrichtung wohnen und gepflegt werden, im Schnitt bundesweit gut 2400 Euro im Monat aus eigener Tasche. Besonders viel in Baden-Württemberg und dem Saarland mit mehr als 2700 Euro im Monat und am wenigsten in Sachsen-Anhalt mit rund 1800 Euro. Diese Kosten sinken, wenn jemand länger als ein Jahr in einem Heim lebt, um bis zu 700 Euro im Monat.

Inflation, höhere Energiekosten, aber auch jede Tariferhöhung für die Beschäftigten schlagen sich also weiter recht ungebremst bei den Betroffenen nieder und überfordern inzwischen viele. Andererseits ist die Bezahlung oder sind die Arbeitsbedingungen in der Branche noch nicht gut genug, um den Mangel an Fachkräften annähernd zu lösen.

Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit kamen zuletzt auf 100 gemeldete Stellen in der Altenpflege nur 19 arbeitslose Kräfte. Eine repräsentative Studie ergab, dass 40 Prozent der Pflegekräfte über den Ausstieg aus dem Beruf nachdenken. 

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Hier fehlt der Ampelkoalition eine Antwort. Lauterbach verteidigte das Vorhaben, auch wenn es „kein perfektes Gesetz“ sei. Ein höherer Beitrag sei allemal gerechtfertigt: „Die Erhöhung der Beitragssätze muss uns die verbesserte Pflege wert sein.“

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