Moralisch scheint die Angelegenheit eindeutig: Natürlich wünscht jeder, der ein Herz hat, dem peruanischen Landwirt (und seinen nicht weniger betroffenen Nachbarn) Schutz vor der drohenden Flutwelle. Vor einer deutschen und einer Weltöffentlichkeit, die sich an die Einteilung der Menschheit in Opfer und Täter gewöhnt hat, und in der PR-Arbeit zum großen Teil darin besteht, sich selbst (oder Kunden) als Opfer darzustellen, hat RWE schlechte Karten.
Der Konzern hat das offensichtlich selbst erkannt. Gegenüber der Presse reagiert RWE nur defensiv. In den Pressemitteilungen nehmen die Ausführungen über die eigenen Klimaschutzaktivitäten dementsprechend fast mehr Raum ein, als die Begründung, warum die konkrete Klage ohne rechtliche Grundlage sei.
Das Vorgehen von Germanwatch, willkürlich einen einzelnen Klimasünder vor Gericht zu ziehen, stellt RWE nicht grundsätzlich in Frage. Das wäre eher die Aufgabe einer nicht nur nach der Moral, sondern auch den konkreten Folgen der Rechtsprechung fragenden Öffentlichkeit: Wenn es dem Kläger, der vermutlich bis vor kurzem noch nie von dem deutschen Energieversorger RWE gehört hatte, nicht um die spezielle Schuld der RWE geht, um wessen Schuld geht es dann eigentlich?
Das Pariser Klimaabkommen
Die Erderwärmung soll auf klar unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzt werden. Die Vertragsstaaten sollten sich aber anstrengen, sie bei 1,5 Grad zu stoppen.
US-Präsident Donald Trump hat den Ausstieg seines Landes aus dem Pariser Klimaabkommen angekündigt. Die Ende 2015 beschlossene Vereinbarung ist ein Meilenstein im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Ein Überblick.
Quelle:dpa
Die Staaten wollen den Netto-Ausstoß ihrer Treibhausgase in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf Null bringen. Sie dürfen dann nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen, wie etwa mit Waldanpflanzungen aus der Atmosphäre gezogen wird. Dafür müsste die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas von 2050 bis 2070 enden.
Von 2020 bis 2025 sollen die Industriestaaten jährlich 100 Milliarden Dollar (ca. 90 Milliarden Euro) für Entwicklungsländer bereitstellen. Für die Jahre danach soll es ein neues, höheres Ziel geben.
Die Vertragsstaaten erkennen die Notwendigkeit an, ärmeren Staaten bei Verlusten und Schäden durch den Klimawandel zu helfen. Es soll ein Versicherungssystem aufgebaut werden.
Entscheidende Teile der Vereinbarung sind völkerrechtlich verbindlich. Es gibt jedoch keine Strafen bei Nichterfüllung der Zusagen.
Nach China sind die USA der zweitgrößte Klimasünder. Trump wendet sich von der Klimapolitik seines Vorgängers ab. Bereits im März hob er Vorschriften zum Klimaschutz auf. Er will den „Clean Power Plan“ zum Abbau der Treibhausgase bis 2030 um 32 Prozent gegenüber 2005 überarbeiten lassen.
Sinnvollerweise kann die Antwort nur lauten: die Schuld aller Treibhausgasverursacher – weltweit. Es geht um die kollektive Schuld der Industriegesellschaften, die diese seit Beginn der industriellen Verfeuerung fossiler Brennstoffe auf sich geladen haben. Aber kann diese kollektive und mindestens 200 Jahre andauernde Schuld vor einem weltlichen Gericht erfasst werden?
Und nicht zuletzt: Kann ein Gericht einen einzelnen Schadenverursacher als mehr oder weniger willkürlich ausgewählten Sündenbock exemplarisch zu einer Wiedergutmachung zu Gunsten eines einzelnen Opfers verpflichten, wenn offensichtlich ist, dass Hunderte Millionen lebende und längst verstorbene Menschen den Schaden kollektiv verursacht haben? Warum zum Beispiel sollen die Konsumenten des Stroms, den RWE aus Braunkohle liefert, unschuldig sein?
Vor allem aber stellt sich die Frage: Ist es Aufgabe und Zuständigkeit eines deutschen Oberlandesgerichts über die Kausalzusammenhänge von Emissionen, Klimawandel und ganz konkreten möglichen Folgeschäden auf ein Haus in einem Gebirge am anderen Ende der Welt ein rechtskräftiges Urteil zu fällen? Ein Richter aus Hamm soll ein einziges Urteil fällen, in dem gleichzeitig eine der buchstäblich wichtigsten Fragen der gegenwärtigen Welt und das Anliegen eines peruanischen Bauern geklärt wird.
In den Worten von Lliuyas Anwältin Verheyen: „Wenn und soweit dieses Problem anderweitig gelöst wird, sind zivilrechtliche Klagen unnötig und würden dann vielleicht auch unzulässig, wenn spezielle Gesetze vorliegen – aber bislang gibt es für jemanden wie meinen Mandanten eben gerade keine Stelle, an die er sich wenden kann mit seinem Schutzanspruch. Also fängt das Zivilrecht dies jetzt auf – so sieht es auch das OLG Hamm.“ Der 5. Senat des Oberlandesgerichts Hamm hat mit seiner Entscheidung, die Klage des peruanischen Hausbesitzers zuzulassen, das deutsche Zivilrecht zum Ersatz für fehlende Politik in Peru und dem Rest der Welt erklärt. Ganz unjuristisch könnte man darüber sagen: Auch Richter sind ganz offensichtlich nicht immer frei von Hybris.