Klimaklage gegen RWE Das Weltklima vor Gericht in Hamm

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Schlechte Karten für RWE?

Moralisch scheint die Angelegenheit eindeutig: Natürlich wünscht jeder, der ein Herz hat, dem peruanischen Landwirt (und seinen nicht weniger betroffenen Nachbarn) Schutz vor der drohenden Flutwelle. Vor einer deutschen und einer Weltöffentlichkeit, die sich an die Einteilung der Menschheit in Opfer und Täter gewöhnt hat, und in der PR-Arbeit zum großen Teil darin besteht, sich selbst (oder Kunden) als Opfer darzustellen, hat RWE schlechte Karten.

Der Konzern hat das offensichtlich selbst erkannt. Gegenüber der Presse reagiert RWE nur defensiv. In den Pressemitteilungen nehmen die Ausführungen über die eigenen Klimaschutzaktivitäten dementsprechend fast mehr Raum ein, als die Begründung, warum die konkrete Klage ohne rechtliche Grundlage sei.

Das Vorgehen von Germanwatch, willkürlich einen einzelnen Klimasünder vor Gericht zu ziehen, stellt RWE nicht grundsätzlich in Frage. Das wäre eher die Aufgabe einer nicht nur nach der Moral, sondern auch den konkreten Folgen der Rechtsprechung fragenden Öffentlichkeit: Wenn es dem Kläger, der vermutlich bis vor kurzem noch nie von dem deutschen Energieversorger RWE gehört hatte, nicht um die spezielle Schuld der RWE geht, um wessen Schuld geht es dann eigentlich?

Das Pariser Klimaabkommen

Sinnvollerweise kann die Antwort nur lauten: die Schuld aller Treibhausgasverursacher – weltweit. Es geht um die kollektive Schuld der Industriegesellschaften, die diese seit Beginn der industriellen Verfeuerung fossiler Brennstoffe auf sich geladen haben. Aber kann diese kollektive und mindestens 200 Jahre andauernde Schuld vor einem weltlichen Gericht erfasst werden?

Und nicht zuletzt: Kann ein Gericht einen einzelnen Schadenverursacher als mehr oder weniger willkürlich ausgewählten Sündenbock exemplarisch zu einer Wiedergutmachung zu Gunsten eines einzelnen Opfers verpflichten, wenn offensichtlich ist, dass Hunderte Millionen lebende und längst verstorbene Menschen den Schaden kollektiv verursacht haben? Warum zum Beispiel sollen die Konsumenten des Stroms, den RWE aus Braunkohle liefert, unschuldig sein?

Wie der Wald das Klima beeinflusst
Herbstwald Quelle: dpa
Buchenwald im Herbst Quelle: dpa
Wichtiger Kohlenstoffspeicher Quelle: dpa
Elf Millionen Hektar Wald Quelle: dpa
Winterlicher Wald Quelle: dpa
Winterlicher Wald Quelle: dpa
Abgeholzter Regenwald Quelle: dpa

Vor allem aber stellt sich die Frage: Ist es Aufgabe und Zuständigkeit eines deutschen Oberlandesgerichts über die Kausalzusammenhänge von Emissionen, Klimawandel und ganz konkreten möglichen Folgeschäden auf ein Haus in einem Gebirge am anderen Ende der Welt ein rechtskräftiges Urteil zu fällen? Ein Richter aus Hamm soll ein einziges Urteil fällen, in dem gleichzeitig eine der buchstäblich wichtigsten Fragen der gegenwärtigen Welt und das Anliegen eines peruanischen Bauern geklärt wird.

In den Worten von Lliuyas Anwältin Verheyen: „Wenn und soweit dieses Problem anderweitig gelöst wird, sind zivilrechtliche Klagen unnötig und würden dann vielleicht auch unzulässig, wenn spezielle Gesetze vorliegen – aber bislang gibt es für jemanden wie meinen Mandanten eben gerade keine Stelle, an die er sich wenden kann mit seinem Schutzanspruch. Also fängt das Zivilrecht dies jetzt auf – so sieht es auch das OLG Hamm.“ Der 5. Senat des Oberlandesgerichts Hamm hat mit seiner Entscheidung, die Klage des peruanischen Hausbesitzers zuzulassen, das deutsche Zivilrecht zum Ersatz für fehlende Politik in Peru und dem Rest der Welt erklärt. Ganz unjuristisch könnte man darüber sagen: Auch Richter sind ganz offensichtlich nicht immer frei von Hybris.

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