Klimaschutzplan 2050 Hendricks in der Defensive

Was bleibt von Hendricks’ Klimaschutzplan 2050? Nachdem schon vom Wirtschaftsministerium konkrete Pläne zum Kohleausstieg gestrichen worden waren, zerpflückt nun auch das Bundeskanzleramt das Dokument.

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Nach der Weltklimakonferenz in Paris vor einem Jahr präsentierte Barbara Hendricks den unterzeichneten Klima-Vertrag. Doch der Widerstand wächst. Quelle: dpa

Berlin Es ist erst ein gutes Jahr her, da verkündeten die größten sieben Industrieländer G7 – darunter Deutschland – das Ziel, die Weltwirtschaft im Laufe des Jahrhunderts vollständig zu dekarbonisieren. Vor allem von der besonders dreckigen Kohle wollten sich die Nationen zunehmend verabschieden. Sechs Monate später, im Dezember, wurde das internationale Klimaabkommen in der französischen Hauptstadt mit großem Enthusiasmus verabschiedet.

Inzwischen ist von diesem Enthusiasmus nicht viel übrig geblieben. Die Bundesregierung jedenfalls wird bei der Umsetzung der Ergebnisse des Pariser Abkommens zunehmend ambitionsloser. Prominentestes Beispiel ist der geplante Klimaschutzplan 2050 von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), gegen den erbittert opponiert wird. Nach Kritik aus dem Wirtschaftsministerium torpediert nun auch das Bundeskanzleramt Hendricks’ Pläne.

„Es muss deutlich sein, dass die inhaltliche Basis für den Klimaschutzplan 2050 die festgelegten nationalen Klimaziele sind“, heißt es in der vierseitigen Stellungnahme, die dem Handelsblatt vorliegt. „Formulierungen wie ‚ist das Ziel einer weitgehenden Treibhausgasneutralität bis 2050‘ tragen dem nicht Rechnung und sollten angepasst werden.“ Der Plan enthalte eine Reihe von Punkten, die „Potenzial für politisch kontroverse Diskussionen haben“, etwa die grundlegende Umgestaltung des Verkehrssektors. Die Botschaft aus dem Kanzleramt ist klar formuliert: mit dem Klimaschutzplan sei „keine Zielverschärfung“ verbunden.

Die Reaktionen der Umweltverbände kamen prompt: „Kanzleramt torpediert den Klimaschutzplan“, urteilt die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wolle sich von den meisten Zielen, die zum Klimaschutz beitragen könnten, verabschieden, darunter konkrete Vorschläge zur energetischen Gebäudesanierung, zum Verkehr und zur Zukunft der deutschen Braunkohleverstromung. Auch der Naturschutzbund NABU kritisiert den Umgang des Kanzleramts mit den Klimaschutzplänen. Das Papier zeige, wie stark die Wirtschaft ihre Interessen zur Verhinderung eines effektiven Klimaschutzes in diesen Prozess hinein lobbyiere, heißt es.

Nach dem Zerpflücken des Dokuments durch Wirtschaftsministerium und Kanzleramt sei der Klimaschutzplan inzwischen zu einem Wirtschaftsschutzplan verkommen, kritisiert NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Man müsse sich schon fragen, ob das Kanzleramt die Beschlüsse von Paris überhaupt verstanden habe. Es sei erschreckend, dass nicht einmal die Begriffe Dekarbonisierung und Treibhausgasneutralität im Klimaschutzplan genannt werden sollten, so Tschimpke. Er forderte die Bundesregierung auf, mehr Mut zu zeigen und auch kontroverse Themen anzugehen.

Bereits jetzt hinkt die Bundesregierung ihren Ansprüchen hinterher. „Derzeit sieht es nicht so aus, als könnte Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele für 2020 noch erreichen“, sagte Tschimpke. Vor allem im Gebäude- und Verkehrsbereich passiere seit Jahren zu wenig. Der Verkehrssektor soll nach den Plänen Hendricks’ bis 2050 unabhängig von fossilen Kraftstoffen werden und ab 2030 bei Neufahrzeugen ohne konventionelle Verbrennungsmotoren auskommen. Eine Abkehr von diesen Zielen hält die Deutsche Umwelthilfe für unverantwortlich. Sie betont, dass die für 2050 gesetzten Klimaschutzziele sich nur erreichen ließen, wenn spätestens ab 2035 keine Pkw mehr mit Verbrennungsmotor und CO2-Emissionen auf den Markt kämen. Auch der Gebäudebestand müsse bis 2050 nahezu klimaneutral werden, um die Klimaziele zu erreichen.


„Tiefgreifende Differenzen“

Für Kritik bei Umweltschützern hatte bereits der durch das Wirtschaftsministerium überarbeitete Entwurf des Klimaschutzplans gesorgt. Gestrichen worden war der Passus, dass die Stromerzeugung auf Basis von Kohle deutlich vor 2050 beendet werden müsse. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner bezeichnete es als fatal, die Diskussion um die Zukunft der Kohle unnötig zu verlängern. Ziel müsse es sein, die jahrzehntelange Unsicherheit in den Braunkohleregionen zu beenden und den schrittweisen Weg in eine CO2-neutrale Zukunft zu ebnen.

Hendricks hatte noch kürzlich erklärt, sie erwarte, die Ressortabstimmung in Kürze einleiten zu können. Nach bisherigen Vorstellungen ihres Ministeriums sollte sich das Kabinett im September mit dem Plan befassen. Bis dahin liegt noch viel Arbeit vor der Ministerin: Die Vorbehalte der anderen Ressorts sind beträchtlich, nicht nur im Wirtschafts- und Verkehrsministerium, sondern auch im Landwirtschaftsministerium.

Dabei ist eines der künftigen zentralen Probleme noch gar nicht richtig im Fokus der Bundesregierung: Die Frage, welche Auswirkungen die Entscheidung der Briten, aus der EU auszutreten, auf die europäische Energie- und Klimapolitik hat – und damit auch auf die deutsche. Die Entscheidung der Briten werde die Gewichte „in diesem von tiefgreifenden Differenzen und prekären Formelkompromissen geprägten Politikfeld dauerhaft verlagern“, schreibt die Stiftung Wissenschaft und Politik. Zugleich werde durch das Brexit-Votum auch die Frage nach der Lastenverteilung innerhalb der EU neu aufgeworfen. Großbritannien, zweitgrößter Emittent der EU, habe jedoch stets für ehrgeizige Emissionsminderungsziele plädiert und eine aktive Rolle in der internationalen Klimapolitik gespielt.

Das Brexit-Votum verkompliziere nun die Einigung der europäischen Mitgliedsstaaten, was sie künftig zum Klimaschutz beitragen müssen. Der Grund: wenn Großbritannien als Teil der EU wegfällt, die Klimaziele aber aufrecht erhalten werden, müssen andere mehr leisten. Damit stockt auch die Ratifikation des Pariser Klimaabkommens durch die EU, einerseits, weil ungeklärt ist, ob Großbritannien das Abkommen als Teil der EU ratifizieren wird, andererseits, weil andere Länder wie Polen bereits angekündigt haben, dass sie erst ratifizieren, wenn die Verpflichtungen im Rahmen der EU geklärt sind. Ein Teufelskreis.

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