Klinikmisere und Medikamentenkrise Warum sich Kinder-Stationen häufig schlicht nicht rechnen

Es mangelt an Kinderarzneien und Behandlungsplätzen. Quelle: REUTERS

Um den Mangel an Kinderarzneien zu bekämpfen, will Bundesgesundheitsminister Lauterbach die Hersteller mit höheren Preisen ködern. Doch das reicht nicht: Die Probleme in der Kindermedizin gehen viel tiefer. 

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Seit Monaten sind Fiebersäfte für Kinder knapp. Für eine Flasche Paracetamol-Fiebersaft erhalten die Hersteller seit zehn Jahren einen Festbetrag von 1,36 Euro. Weil der Preis kaum kostendeckend war, stiegen nach und nach fast alle Hersteller aus – und verursachten so die Knappheit. 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat nun ein Einsehen und will die Produzenten von Kindermedizin künftig mit höheren Preisen ködern.

Das kann aber nur ein erster Schritt sein; denn die Misere der Kindermedizin geht viel tiefer. Die Stationen sind überlastet, oft fehlen dort auch wichtige Medizinprodukte für Kinder. Anfang Dezember schlug der Verband der Intensiv- und Notfallmediziner (DIVI) Alarm: Von 110 Kinderkliniken hatten zuletzt 43 Einrichtungen kein einziges Bett mehr auf der Normalstation frei. Bei der Erhebung berichtete zudem jede zweite Klinik, dass sie in den vergangenen 24 Stunden mindestens ein Kind nach Anfrage durch Rettungsdienst oder Notaufnahme nicht annehmen konnte. Etliche Kinderstationen haben zuletzt dichtgemacht oder sich verkleinert.

Die Lage für Kliniken in Deutschland ist besorgniserregend: 59 Prozent rechnen für 2022 mit roten Zahlen. Der Blick auf die wirtschaftliche Situation 2023 ist nicht viel besser.

Die Gründe: fehlendes Personal und chronische Unterfinanzierung. Für eine Blutabnahme bei einem Kind müsse sie zwei ihrer Beschäftigten abstellen, berichtet die Leiterin einer Kinderklinik. Einer beruhigt und hält das Kind fest, die andere setzt die Nadel. Die Vergütung erfolge jedoch nach den gleichen Maßstäben wie bei Erwachsenen. Kinderstationen rechnen sich daher oft schlichtweg nicht.

Praktiker berichten, dass auf den Stationen oft wichtige Medizinprodukte für Kinder fehlen. Spezielle Ballonkatheter etwa – für Kinder, die mit einem angeborenen Herzfehler durch vertauschte Blutgefäße (TGA) geboren werden. Laut einer neuen EU-Verordnung müssen nun allerdings sämtliche Medizinprodukte neu zugelassen werden; bei Ballonkathetern soll das bis Ende 2024 der Fall sein.



Zu teuer – Hersteller geben auf 

Das Problem: Solche Neuzulassungen sind teuer und aufwändig – und rentieren sich für viele kleinere Hersteller nicht. Professor Nikolaus Haas, Kindermediziner und Chefarzt des Klinikums Großhadern München, schätzt, dass die Zulassung jeden Hersteller „zwischen 150.000 und 300.000 Euro“ kostet. Da ein solcher Ballonkatheter zu Preisen zwischen 100 und 200 Euro abgerechnet wird und die Zahl der TGA-Fälle in Deutschland lediglich bei einigen Hundert liegt, lohnt der Aufwand kaum. „Inzwischen haben sich praktisch alle Hersteller aus dem Markt zurückgezogen“, sagt Haas. Folglich muss der Mediziner improvisieren: „Wir behelfen uns nun damit, dass wir Ballonkatheter, die eigentlich für die Gefäße älterer Menschen gedacht sind, entsprechend für Kinder zurechtbiegen und passend machen und verwenden“, erklärt er.

„An unserer Klinik klappt das gut. Es gibt aber auch Kliniken, die damit nicht so viel Erfahrung haben und das nicht leisten können. Das bedeutet, dass in Europa jetzt und in nächster Zeit sicherlich einige Kinder sterben, weil es an geeigneten Kathetern fehlt.“ Bei anderen speziellen Medizinprodukten für Kinder sehe es oft ähnlich aus, berichten Mediziner.

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von Anabel Schröter

Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) will künftig den Kliniken die Vorhaltekosten für Personal und spezielle Geräte erstatten. Ob das reicht, ist fraglich.

Über Weihnachten dürfte sich die Lage an den Kinderkliniken zunächst noch einmal verschärfen. „Im Moment beobachten wir, dass Infektionen mit dem RS-Virus zurückgehen, dafür kommen jetzt immer mehr Kinder mit Grippe und anderen Atemwegserkrankungen“, sagte Jörg Dötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Durch die Personallage an den Feiertagen werde die Lage in Kliniken und Praxen gleichzeitig noch einmal angespannter sein als derzeit.

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Auch der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, warnt vor weiter steigendem Druck über den Jahreswechsel: „Ich gehe davon aus, dass diese akute Krise in der Kindermedizin noch bis Februar andauert.“

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