Knauß kontert

Franco A. und der wunde Punkt der deutschen Politik

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Bundeswehr im Fadenkreuz

Die Bilder von alten Wehrmachtswaffen, die Fotografen im Tross der Ministerin in der Kaserne von Franco A. in Illkirch (in Frankreich!) machten, haben längst Hunger nach mehr gemacht. Vermutlich werden angesichts des wach gewordenen Medien-Interesses an altem Schießgerät in diesen Tagen die Kompaniefeldwebel in der gesamten Truppe die Kameradschaftskeller säubern. Und hoffentlich werden auch rassistische Äußerungen künftig schärfere Folgen für Soldaten und erst recht Offiziere haben.

Doch ist der Kampf gegen rechts bei der Bundeswehr wirklich die wichtigste und dringendste Lehre aus diesem Fall? Vermutlich ist es vor allem die bequemste für die politische Klasse. Denn das Problem wird bei anderen lokalisiert, eben bei den Soldaten. Und dass man Soldaten ohnehin moralisch nicht so recht trauen kann, darin ist man sich in den tonangebenden Teilen der Gesellschaft einig. Die sind schuld, nicht wir, können alle sagen. Auch Journalisten.  

Durch den medialen Wirbel um die Bundeswehr und die Verteidigungsministerin ist der eigentliche Kern der Affäre fast schon in Vergessenheit geraten. Da geht es um nichts anderes als das wichtigste Feld der gegenwärtigen Politik: die Einwanderung. Franco A. hat, indem er sich zu Benjamin David machte, die Folgen der „Flüchtlingspolitik“ der Bundesregierung, nämlich den zeitweiligen Kontrollverlust des deutschen Staats offen gelegt. Er hat mit sich selbst gezeigt, dass buchstäblich jeder in Deutschland zum Flüchtling werden kann, wenn er eine entsprechende Geschichte erzählt - sogar ein Deutscher, der nicht einmal arabisch spricht.

Der Kern der Affäre offenbart den wunden Punkt des gegenwärtigen Deutschland: die Haltlosigkeit des Asyl- und Flüchtlingssystems. Der Bundesinnenminister versucht die Wunde zu schützen, indem er statt politischer Fehler ein punktuelles Verwaltungsversagen im Bundesamt für Asyl und Migration unterstellt. „Jedes einzelne Verfahren, an dem die Verantwortlichen im Fall Franco A. beteiligt waren“, soll nun neu untersucht werden, „von langjährigen Mitarbeitern des Bundesamtes“, wie das Bundesamt mitteilt. Man tut also so, als ob einzelne Übersetzer versagt hätten, und als ob nicht längst klar wäre, dass der deutsche Staat monatelang in der Hochphase der „Flüchtlingskrise“ die Überprüfung der Zuwanderer bestenfalls simuliert hat.

Die Regierungsparteien, die Opposition und die große Mehrheit der berichtenden Journalisten haben offensichtlich kein großes Interesse daran, diesen wunden Punkt zu problematisieren. Es ist eben sehr viel angenehmer, altbekannte Probleme von anderen immer wieder anzugehen, als eigene Fehler einzugestehen oder gar zu korrigieren.  

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