Knauß kontert

Fatale Signale der Schwäche

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Das Problem der unterschiedlich aufgenommenen Botschaften

Aber in allen Auswanderungsländern rund ums Mittelmeer und bis ins hinterste Tal des Hindukusch kam eine andere Botschaft an: Das Tor nach Deutschland ist offen! Merkel heißt alle willkommen! Deutschlands Willkommenskultur – ein Wort, das es in anderen Einwanderungsländern aus gutem Grund nicht gibt – wird von Deutschen als Aufforderung zur Hilfe verstanden, doch von Millionen Menschen südlich und östlich des Mittelmeers als Einladung nach Deutschland.
In Deutschland selbst setzt sich das Problem der fatalen Diskrepanz von Innen- und Außenwirkung der Signale fort. Der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hat im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online darauf hingewiesen, dass zum Beispiel eine Haftstrafe auf Bewährung für einen Straftäter aus Nordafrika, der dieses Rechtsinstrument nicht kennt, eine völlig andere Botschaft bedeutet als für einen einheimischen Bürgersohn. Was letzteren vielleicht zurückführt auf den Pfad der Tugend, hinterlässt bei ersterem den Eindruck, man könne in Deutschland Straftaten begehen, ohne unangenehme Konsequenzen fürchten zu müssen.

Mit Moral hat das nichts zu tun. Aber viel mit sozialen Ungleichheiten und den Unterschieden der kulturellen Prägung von Menschen durch ihr Umfeld. Wer den Rechtsstaat und den gesellschaftlichen Frieden als selbstverständliche Normalität kennt, und Kriminalität als eine Art soziale Krankheit betrachtet, die durch die Pflegedienste des Sozialstaates geheilt werden kann und muss, betrachtet Urteile eines Strafgerichts als Teil dieser Heilung, schlimmstenfalls als kleine Schocktherapie. Wer aber in einer Gewaltkultur aufwächst, die den Staat nur als drakonische Herrschaftsmethode einer verhassten Macht-Elite kennt, der kann vermutlich auch nur das „Recht“ der Stärke. Eine Bewährungsstrafe oder Ermahnung nach mehrfachen Straftaten kann da nur als Eingeständnis der Schwäche des deutschen Rechtsstaates erscheinen. Einer Schwäche, die man ausnutzen muss, wenn man nichts zu verschenken hat.
Vor dem Gesetz sind alle gleich. Aber das heißt nicht, dass ein und dasselbe Urteil für alle dieselbe Wirkung hat. Für Franz Beckenbauer ist die Aussicht auf eine Anklage vermutlich schon eine Strafe, weil sie seinen Ruf zerstört. Für den entwurzelten Afrikaner, der sich mit Drogendeals im Görlitzer Park seinen Anteil am Wohlstand erhandelt, ist die Festnahme durch die Polizei nur eine lästige Unterbrechung seiner Arbeit. Er hat vermutlich vor den Schleusern, denen er noch Geld schuldet, deutlich mehr Respekt als vor dem Richter, der ihn ermahnt.

Das Problem der unterschiedlich aufgenommenen Botschaften staatlichen Handelns bei Menschen unterschiedlicher Herkunft wird in dem multikulturellen Deutschland der Zukunft vermutlich nicht kleiner werden. Die Ehrfurcht, mit der Zigtausende in Deutschland lebende Türken und türkischstämmige Deutsche die Stärkesignale der AKP und Erdogans nach dem Putsch feierten, gibt einen Eindruck von dem, was auf uns zukommen könnte. Außerhalb der friedliebenden und glücklicherweise gewaltentwöhnten deutschen Gesellschaft, hat man ein sehr viel sensibleres Gespür für die Stärke oder Schwäche von Institutionen als hierzulande. Auch das gehört zur Globalisierung.

Umso wichtiger wird es sein, dass verantwortliche Politiker die Signalwirkung ihrer Worte und Taten bei allen wichtigen Empfängern bedenken. Niemand, der für diesen Rechtsstaat Verantwortung trägt, schon gar keine Bundeskanzlerin, darf eine Botschaft der Schwäche verbreiten.

Auf die Beißhemmung der Stärkeren zu vertrauen, ist vielleicht in der Tierwelt manchmal eine gute Strategie, aber nicht in der von Ordnungsverlust und neuen Bedrohungen geprägten Menschenwelt. Eine Bundeskanzlerin und staatliche Institutionen, die vor aller Welt Schwäche demonstrieren, sind untragbar für Deutschland.

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