Diskursbeiträge wie diese Bertelsmann-Studie tragen dazu bei, dass „Integration“ immer mehr zu einem Wieselwort verkommt, einem Begriff, dem die Bedeutung ausgesaugt wird. Noch vor einigen Jahren verstand man unter Integration einen Prozess der kulturellen Angleichung von Einwanderern in der Aufnahmegesellschaft. Heute genügt es offenbar, einen Job und „Freizeitkontakte“ mit Menschen anderer Religion zu haben, um als integriert zu gelten. Unter Einwanderern selbst ist „integriert“ einfach ein Synonym dafür geworden, kein Versager, kein Loser zu sein. Vermutlich würde selbst eine in Duisburg-Marxloh durchgeführte Umfrage nur wenige eingewanderte Probanden finden, die sich als „nicht integriert“ offenbaren.
Nach den bescheidenen Ansprüchen von Bertelsmann waren demnach wohl auch die Attentäter von Barcelona integriert. Schließlich, so berichtet eine Spanien-Korrespondentin unter der Überschrift „integriert und radikalisiert“: „Sie haben Fußball gespielt und Hausaufgaben gemacht, sie hatten Freunde und lebten im Schoß ihrer Familien. Sie beherrschten die Landessprache, kannten die Sitten, wie so viele junge Leute in Spanien hatten sie manchmal einen Job und manchmal nicht. Und vermutlich hätte niemand etwas dagegen gehabt, wenn sie irgendwann einen einträglichen Beruf und einen gewissen sozialen Aufstieg errungen hätten.“
Wie das BAMF die Identität von Flüchtlingen klärt
Anhand der Fingerabdrücke, die jeder Asylbewerber spätestens bei der Antragstellung abgeben muss, erkennt die Nürnberger Behörde, wenn jemand verschiedene Namen benutzt. Zu diesen „Mehrfachidentitäten“ können auch Schreibfehler oder zulässige unterschiedliche Schreibweisen eines Namens führen. „Diese Alias-Identitäten werden bei uns alle gelistet, miteinander verknüpft und nicht gelöscht“, erläutert eine BAMF-Sprecherin. „Wir sehen, wenn jemand einen anderen Namen oder ein anderes Herkunftsland angibt.“ So war der Berliner Attentäter Anis Amri in Deutschland mit 14 verschiedenen Identitäten unterwegs, was dem BAMF bekannt war.
Dies ist deutlich schwieriger: Denn nur etwa 40 Prozent der Antragsteller haben nach Schätzungen des BAMF ein Identifikationsdokument bei sich. Dieses wird genau überprüft - bei Zweifeln auch von Experten in der Nürnberger Zentrale.
Wenn die Menschen jedoch keine Papiere bei sich haben, folgt eine aufwendige Prüfung. Um ein neues Dokument ausstellen zu können, wird etwa das Herkunftsland angeschrieben. Außerdem wurde beim Bundesverwaltungsamt eine Datenbank für gefundene Pässe eingerichtet.
Um die Angaben der Asylbewerber zu prüfen, fragen die Mitarbeiter des BAMF sie in ihrer Anhörung etwa nach Sitten und Bräuchen, aber auch nach Orten in ihrem angegeben Herkunftsland. Wenn ein Mann zum Beispiel vorgibt, Student aus Damaskus zu sein, aber nicht weiß, in welchem Stadtteil dort die Universität liegt, ist das verdächtig. Die Angaben des Schutzsuchenden könnten außerdem „durch das Auswärtige Amt, Botschaften und in bestimmten Ländern auch durch eigenes Verbindungspersonal vor Ort überprüft werden“, erklärt das BAMF. Auch Sprachgutachten sind möglich.
Laut BAMF kann es auch „Einzelfälle“ geben, in denen es Menschen darauf anlegen, gar nicht ins Asylverfahren zu kommen und sich bei keiner Behörde melden. Sie bleiben sozusagen unter dem Radar. Das sei jedoch nicht Sache des BAMF, sondern von Polizei und Sicherheitsbehörden, so die Sprecherin.
Einer von ihnen besuchte auch regelmäßig die vom Sozialamt seiner spanischen Heimatstadt organisierte unentgeltliche Hausaufgabenbetreuung. Die beiden Attentäter-Brüder Mohamed und Omar Hychami hat ein Lehrer als fleißige Schüler in Erinnerung. Mohamed hatte später einen Job in einer Metallverarbeitung. Die Zeitung „El País“ berichtet, dass sein Chef ihn für so unverzichtbar hielt, dass er ihn bat, seinen Urlaub zu verschieben, um einen Auftrag zu erledigen.
So entschieden wie die Bertelsmann-Autoren den muslimischen Migranten das Urteil über ihre Integration überlassen, so eindeutig weisen sie die Aufgaben für eine noch besser gelingende Integration der Aufnahmegesellschaft, beziehungsweise dem Staat zu. Es seien drei „Hebel“ wichtig: „Teilhabegerechtigkeit auf allen Ebenen ausbauen“, „kulturelle und religiöse Vielfalt anerkennen“, „das interreligiöse und interkulturelle Zusammenleben gestalten“. Konkret wünscht sich die verantwortliche Projektleiterin Yasemin El-Menouar zum Beispiel: „Pflichtgebete und Moscheegänge sollten auch mit Vollzeitjobs vereinbar sein“.
An die zu integrierenden Muslime selbst stellt die Bertelsmann-Stiftung übrigens überhaupt keine Forderungen. Nicht einmal die Treue zum Grundgesetz wird eingefordert, geschweige denn die Anpassung an eine Leitkultur, deren Existenz die Autoren rundweg in Frage stellen. Fazit: Diese Studie kann und sollte man getrost vergessen. Zur Erhellung der Einwanderungswirklichkeit und Lösung von Integrationsproblemen trägt sie wenig bei.