Knauß kontert

Der blinde Fleck des bedingungslosen Grundeinkommens

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Die Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen sind meist unehrliche Traumtänze. Denn die Frage der Einwanderung ersparen sie sich.

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Das Märchen vom Grundeinkommen. Quelle: Getty Images

Zwei Debatten beherrschen derzeit fast jedes Gespräch über die nahe Zukunft unserer westlichen Gesellschaften, die sich selbst vor allem als Systeme von erwerbswirtschaftenden und konsumierenden Menschen betrachten. In der einen heißt die Diagnose „Fachkräftemangel“ und die Heilung verspricht man durch „Fachkräftezuwanderung“. In der anderen heißt die Diagnose „Digitalisierung ersetzt menschliche Arbeit“ und als soziale Medizin gilt das „bedingungsloses Grundeinkommen“. Wenn man will, kann man derzeit von einer Tagung übers Grundeinkommen fast pausenlos zur nächsten weiterfahren. Und dem Fachkräftemangel kann man gerade in Zeiten der Koalitionsverhandlungen ohnehin nicht entkommen.

Seltsamerweise finden beide Debatten aber fast nie zueinander. Die vor Fachkräftemangel warnen, scheinen in einer völlig anderen Welt zu leben als diejenigen, die eine Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit befürchten durch Rechenmaschinen, die den Menschen nicht nur viel Handarbeit im produzierenden Gewerbe, sondern auch zahlreiche Schreibtisch-Tätigkeiten – etwa im Controlling und Rechnungswesen – wegnehmen werden.

Es ist, als ob da zwei Zukünfte auf uns zukämen, die nichts miteinander zu tun hätten!

Diese Manager fordern das Grundeinkommen
Das bedingungslose Grundeinkommen: Kommt es mit Jamaika? Quelle: dpa
Der Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner Quelle: dpa
Joe Kaeser Quelle: AP
Höttges Quelle: dpa
Bernd Leukert Quelle: dpa
Infosys-Chef Vishal Sikka Quelle: REUTERS
Euro-Scheine Quelle: dpa

Der Fachkräftemangel- und Fachkräftezuwanderungsdiskurs ist intellektuell wenig anspruchsvoll. Letztlich erkennt man da nur ein in Verbandspropaganda übersetztes ökonomisches Interesse der Arbeitgeber, das so alt ist wie die Marktwirtschaft selbst. Man muss keineswegs Kommunist sein, um die Theorie der „industriellen Reservearmee“ von Karl Marx auch heute noch bestätigt zu sehen. Sie ist ja auch recht banal. Kapitalistische Arbeitgeber profitieren doppelt von einem Anstieg des Arbeitnehmerangebots: Erstens drücken die nach Beschäftigung Suchenden den Lohn der tatsächlich Beschäftigten, zweitens ermöglichen sie bei Gelegenheit eine rasche Ausdehnung der Kapazitäten, eröffnen also Spielraum für Unternehmertum.

Darum trennen die Interessenvertreter deutscher Unternehmen diese kurzfristig orientierte Werbekampagne streng ab von ihren zugleich erhobenen Forderungen nach staatlichen Investitionen in die Digitalisierung, die dem langfristigen Erhalt ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit dienen. In keiner Pressemitteilung eines Verbandes über den drohenden Fachkräftemangel wird erwähnt, dass die Digitalisierung wohl einen großen Teil der heute noch „Fachkräfte“ zu dann Nicht-Mehr-Fachkräften machen wird. Der Ökonom und Demograf Thomas Straubhaar gehört zu den wenigen, die es so klar sagen: „Der Fachkräftemangel ist ein Phantom.“

Welche Folgen die technologische Effizienzsteigerung durch Maschinen für eine Gesellschaft haben können, wenn sie nicht von funktionierenden sozialen Sicherungssystemen aufgefangen werden, zeigt die Geschichte des 19. Jahrhunderts: die Verelendung ganzer Klassen und ihre Entfremdung von den Besitzenden, am Ende drohen Klassenkämpfe und Revolutionen. Der Sozialstaat und die „soziale“ Marktwirtschaft waren die Antwort.

Konzepte zur Förderung eines bedingungslosen Grundeinkommens

Das bedingungslose Grundeinkommen soll jetzt der neue große Wurf zur Lösung dieses drohenden Problems der durch die Digitalisierung entbehrlich gewordenen Arbeitskraft sein. Längst sind es nicht mehr nur randständige Idealisten, die es für die Zukunft des Sozialstaates halten, sondern auch viele Manager, Professoren und Politiker.

Da Arbeit zunehmend durch vernetzte Maschinen erledigt wird, mache es keinen Sinn, vor allem Einkommen aus Arbeit zu besteuern und mit Abgaben zu belegen, Gewinne vor allem aus der Digitalwirtschaft und aus Finanzanlagen dagegen zu schonen. Also soll der Staat seine Steuerbasis von der Arbeit auf das Kapital verlegen und daraus „allen“ ein Einkommen deutlich über den bisher üblichen Sicherungsleistungen des Sozialstaates zahlen. Von mindestens 1000 Euro im Monat ist meist die Rede – bis ans Lebensende. Dafür könnte mit den bisherigen Bedingungen für den Bezug von Leistungen auch das gesamte Sozialversicherungswesen samt Bürokratien entfallen. Das Versprechen: mehr soziale Gerechtigkeit bei weniger Kontrolle und mehr Freiheit.

1000 Euro im Monat, einfach so und für jeden? Die Idee eines staatlich finanzierten Grundeinkommens wird konkret. Doch ist sie eine Revolution oder Attacke auf die Arbeitsmoral? Ein Streitgespräch.
von Katharina Matheis, Sven Prange

Restlos überfordert

Interessanter und pikanter als die Standardgegenargumente sowohl von Marktliberalen als auch von Gewerkschaftern – es drohe eine allgemeine Leistungsentwöhnung einerseits und der Verrat am Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Lohnarbeit andererseits – ist aber die Frage danach, wer genau denn nun jene „alle“ sein sollen. An dieser Frage entscheidet sich nämlich, ob das Konzept eine realistische politische Option oder nur eine Fantasterei sein kann. Und diese Frage wäre auch der empfindliche Berührungspunkt mit der Fachkräftemangel-Behauptung: Wie passen Grundeinkommen und Einwanderung zusammen?

Die meisten, die das Grundeinkommen fordern, blenden diese Frage einfach aus. Sie sprechen von „allen“ und „bedingungslos“, ohne zu hinterfragen, ob das nun alle deutschen Staatsbürger sein sollen, einschließlich aller EU-Bürger oder schlicht wirklich alle Menschen, die in Deutschland leben. Die aktivsten Befürworter, die sich im „Netzwerk Grundeinkommen“ zusammengeschlossen haben, fordern: „Das Grundeinkommen ist ein Menschenrecht, nicht ein Recht, das an eine bestimmte Nationalität gebunden ist. Das Ziel des Netzwerks ist die europa- und weltweite Einführung des Grundeinkommens und der Zugang aller Menschen zu einem Grundeinkommen, egal wo sie leben.“

Damit hängen sie ihr Ziel so hoch, dass es letztlich unerreichbar wird. Ein aus den Steuern der Kapitalbesitzer finanziertes und vom Staat verwaltetes Einkommen ist schließlich nichts anderes als ein radikal reformierter, vereinfachter, aber in seinen Zahlungsvolumina noch deutlich vergrößerter Sozialstaat. Und der ist nicht nur historisch, sondern auch gegenwärtig an den Nationalstaat gebunden. Jedes System der Solidarität setzt, wenn es nachhaltig sein soll, voraus, dass die Gruppe der potentiellen Nehmer beschränkt bleibt und im Großen und Ganzen identisch ist mit der Gruppe der Einzahler.

Nettoeinkommen bei verschiedenen Grundeinkommens-Modellen

Die Debatte um die Zukunft der Arbeit und erst recht die Debatte um den Sozialstaat muss aber, wenn sie mehr als Traumtänzerei fabrizieren will, endlich ehrlich geführt werden. Das heißt sie muss unter Einbeziehung der Zuwanderungsrealität geführt werden. Und diese Realität ist entgegen eines sentimentalen Vorurteils von Zuwanderern geprägt, die in der großen Mehrzahl zwar „Flüchtlinge“ genannt werden, es aber streng genommen nicht sind. Denn sie kommen, wie die geringen Asyl-Anerkennungsquoten zeigen, selten wegen Verfolgung in ihrer alten Heimat nach Deutschland, sondern werden vielmehr angezogen von ökonomischen Möglichkeiten und, ja, auch de facto bedingungslos gezahlten Staatsleistungen, die es in ihren Heimatländern so nicht gibt.

Ein in Deutschland eingeführtes Grundeinkommen, das jedem Erdbewohner zustünde, der es irgendwie schafft, Deutschlands Grenzen zu überschreiten, würde die Sogwirkung, die ohnehin vom deutschen Sozialstaat ausgeht, extrem verstärken. 1000 Euro im Monat sind in den meisten Herkunftsländern ein kaum durch Arbeit zu erzielendes Einkommen. Der Grundeinkommensstaat wäre, wenn er sich nicht konsequent gegen ausländische Empfänger abschließt, schnell restlos überfordert.

Wer den Sozialstaat langfristig erhalten oder ihn gar zu einer Instanz für die Auszahlung eines bedingungslosen Einkommens umwandeln will, muss sich also klarmachen, dass das kein Grund- oder Menschenrecht sein kann. Je nachhaltiger und zahlungskräftiger man den Sozialstaat machen will, desto konsequenter muss die Abgrenzung gegen nicht Anspruchsberechtigte sein. Andersherum formuliert: Wer von No-Borders und One-World sprechen will, sollte vom bedingungslosem Grundeinkommen lieber schweigen.

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