Knauß kontert

Der Traum von der Integration

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

"Integration" ist zum Leitbegriff der Gegenwart geworden. Die Politik weckt dabei Erwartungen, deren Erfüllung sie nicht garantieren kann. Denn für Integration sind die Einwanderer selbst zuständig.

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Integration. Quelle: dpa Picture-Alliance

Es gibt Worte, in denen sich die politische Situation einer Epoche verdichtet. Um 1968 herum war für viele junge Menschen zum Beispiel „Revolution“ solch ein Wort. Glücklicherweise dauerte das nicht sehr lange. Für die weniger Umsturzfreudigen war und bleibt seit Jahrzehnten „Wachstum“ der Leitstern des Hoffens und Handelns – mit abnehmender Wirkmacht. In der deutschen Gegenwart strahlt nun ein neuer Leitbegriff heller als alle anderen: „Integration“. Genauer: die von Zuwanderern.

So wie sich 1967 im „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ der Zeitgeist der damaligen Politik äußerte, tut es der heutige im „Integrationsgesetz“ von 2016. Damals glaubten Wirtschaftspolitiker aller im Bundestag vertretenen Parteien, von Karl Schiller bis Franz-Josef Strauß, dass Wirtschaftswachstum ein unersetzliches Heilmittel für gesellschaftliche, politische und letztlich sogar ökologische Probleme sei und dass dieses Wachstum durch gute Wirtschaftspolitik unbegrenzt machbar sei. Wachstum wurde per Gesetz zur Bedingung der Stabilität von Staat und Gesellschaft erklärt. Während das Ausbleiben von Wirtschaftswachstum als Katastrophe empfunden wurde, weil ohne BIP-Wachstum der Sozialstaat nicht zu finanzieren und ohne diesen kein gesellschaftlicher Friede haltbar sei.  „Demokratie braucht Wachstum“, lautete die Parole.

Heute ist man sich weitgehend einig, dass die Demokratie im Zeitalter der Massenmigration nicht nur Wachstum, sondern auch Integration braucht. Sechs Mal kommt der Begriff in Angela Merkels Rede bei der Haushaltsdebatte im Bundestag vor. Die Rede endet mit dem Versprechen: „Deutschland wird Deutschland bleiben“. Integration ist die Voraussetzung für Stabilität und Fortbestand unseres Landes, so könnte man die Botschaft zusammenfassen.  

Nicht nur Merkel verkündet diese Botschaft. Sie ist so etwas wie das Glaubensbekenntnis der deutschen Politik. In ihr bündeln sich die Hoffnungen der Gegenwart an die Zukunft. Die alltäglichen Beschwörungen der Notwendigkeit immer größerer „Integrationsanstrengungen“ und das Versprechen von „Chancen“ bei Gelingen (womit immer auch die Drohung der Katastrophe bei deren Scheitern mitschwingt) erinnern dabei an die Hybris, den Absolutheitsanspruch und die geradezu religiös anmutenden Heilsversprechen der Wachstumspolitik. In dem neuen Integrationsversprechen der deutschen Politik fehlt aber dasselbe, was auch dem alten Wachstumsversprechen fehlt: das rechte Maß. Es fehlt ein realistischer Blick auf das Machbare und Unmögliche.

Ein freiheitlicher Staat ist langfristig nur möglich in einer freien Gesellschaft, die ihn trägt. Und diese wiederum benötigt ein Fundament an Gemeinsamkeiten ihrer Mitglieder. Aber diesen Kitt kann der Staat nicht durch Gesetze und Verordnungen unbegrenzt schaffen.

Für Einwanderungsländer wie Deutschland wird der berühmte Satz des Verfassungsrechtlers Böckenförde besonders brisant: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“

Die „Homogenität der Gesellschaft“, das ist der Knackpunkt. Wenn „Integration“ sich nur auf Teilhabe am Wirtschaftsleben beschränkt, dann fehlt eben möglicherweise das Maß an gemeinsamen Wertvorstellungen, ohne das ein freiheitlicher Staat keinen Bestand haben kann. Eine Demokratie ohne Demokraten zerfällt – wie die Geschichte Deutschlands (und anderer europäischer Staaten) im 20. Jahrhundert zeigte – oder kann erst gar nicht entstehen – wie die Geschichte des „arabischen Frühlings“ seit 2011 zeigt.

Begrenzung erleichtert Integration

Die im politischen Berlin immer wieder mit pseudo-starken Worten genährte Vorstellung, der deutsche Rechtsstaat könne muslimische Einwanderer dazu zwingen, das Grundgesetz zu akzeptieren, ist ebenso illusorisch, wie die Verharmlosung der Burka zu einem Kleidungsstück, das der Staat zu akzeptieren habe. Burka-Trägerinnen und vor allem ihre Männer demonstrieren, dass sie nicht Teil der offenen Gesellschaft sind.

Ein aufnehmender Staat kann letztlich nur Angebote zur Integration machen. Ein Integrationsgesetz kann für Sprachkurse sorgen, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten schaffen. Diese erleichtern möglicherweise eine vordergründige Form der Integration, nämlich die in das Wirtschaftsleben. Aber das ist nicht mit gesellschaftlicher Integration gleichzusetzen.

Integration ist, so belehrt uns Wikipedia, „die Ausbildung einer Wertgemeinsamkeit mit einem Einbezug von Gruppierungen, die zunächst oder neuerdings andere Werthaltungen vertreten, oder einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit einem Einbezug von Menschen, die aus den verschiedensten Gründen von dieser ausgeschlossen und teilweise in Sondergemeinschaften zusammengefasst waren.“

Der Erfolg von Integration liegt nicht in der Hand des Staates, sondern in der Hand der sich (nicht) Integrierenden. Selbst autoritäre Staaten sind meist gescheitert, wenn sie Menschen zu verändern versuchten, die das nicht selbst wollten. So hat es zum Beispiel das deutsche Kaiserreich nicht geschafft, die Mehrheit seiner polnischen Bürger in Posen und Westpreußen zu Deutschen umzuerziehen – trotz forciertem Deutschunterricht und allen möglichen Schikanen. Die Polen wollten Polen bleiben und blieben es in der übergroßen Mehrheit auch.  

Bei den in das Ruhrgebiet ausgewanderten Polen war das anders. Sie wurden rasch, spätestens in der zweiten Generation, zu Deutschen – ohne besondere „Integrationsanstrengungen“ des damaligen deutschen Reiches. Nur noch die vielen polnischen Nachnamen in Telefonbüchern von Essen, Gelsenkirchen oder Dortmund erinnern an diesen Integrationserfolg. Der wohl entscheidende Unterschied: Die Polen in Posen lebten in geschlossen polnischen Siedlungen, die Polen im Ruhrgebiet waren dagegen stets von einer deutschen Mehrheitsbevölkerung umgeben.  

von Simon Book, Max Haerder, Rebecca Eisert, Maximilian Nowroth, Jürgen Salz, Christian Schlesiger, Cordula Tutt, Kathrin Witsch

Die Wahrscheinlichkeit von Integration, das ist die Lehre aus der Geschichte, ist weniger von staatlichen Anstrengungen abhängig, sondern von der Integrationsbereitschaft und –fähigkeit der Einwandernden. Und die ist sinkt erfahrungsgemäß, wenn die schiere Zahl der Einwandernden steigt. Das gilt erst recht, je größer die kulturelle Fremdheit ist, wie die Forschungsergebnisse von Ruud Koopmans zeigen.  

Eine vernünftige und erfolgversprechende Integrationspolitik hat also eine vernünftige, das heißt begrenzende Einwanderungspolitik zur Voraussetzung.  Eine Integrationspolitik ohne konsequente Beschränkung der Zahl der zu Integrierenden ist ebenso größenwahnsinnig wie eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die die Grenzen der Wachstumsmöglichkeiten nicht wahrhaben will.  

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