Knauß kontert Weltbürgertum oder Nationalstaat? Das ist die Frage

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Der Weltstaat in Deutschland

Solche Bedenken sind den deutschen politischen Eliten offenbar abhanden gekommen. Was sicher nicht zuletzt mit den extrem schmerz- und schuldhaften Erfahrungen des deutschen Nationalismus zu tun hat. Globalismus wird hierzulande mehr als anderswo stets auch als ein nationalpsychologisches Heilmittel verstanden.

Die deutsche Willkommenspolitik und den vor der Weltöffentlichkeit offen signalisierten Verzicht auf die Kontrolle über die eigenen Grenzen kann man als Versuch einer Beschleunigung der Globalisierung begreifen. Anders gesagt: Das idealistische Deutschland versucht, der Weltgeschichte voranzustürmen. Der Weltstaat soll in Deutschland vorweggenommen werden. Am deutschen Wesen soll, ein letztes Mal und endgültig, die Welt genesen.

Doch Merkel und die deutschen Eliten haben sich verkalkuliert. Selbsterklärte Weltretter wie U2-Sänger Bono klatschten zwar Beifall, aber in den Regierungen fast aller anderen Staaten nahm man das grenzoffene, großzügige Deutschland eher kopfschüttelnd bis besorgt zur Kenntnis. „Deutsch sein heißt“, so soll Richard Wagner einmal gesagt haben. „eine Sache um ihrer selbst willen zu tun“. Zu glauben, die Welt im Alleingang retten zu können, ist eine deutsche Besonderheit. Mit solchem idealistischen Aufopferungswillen wollten selbst die Schweden und Österreicher bald nicht mehr konkurrieren.

Nicht nur der Rest Europas will der in die globalistische Zukunft galoppierenden deutschen Bundesregierung nicht folgen. Auch die Mehrheit der Deutschen selbst ist nicht geneigt, Nation und Nationalstaat früher als unbedingt notwendig aufzugeben. Die Wahlerfolge der AfD sind dabei ganz offensichtlich nur die Speerspitze des wachsenden Missvergnügens. Der Riss geht auch durch die Wählerschaft der etablierten Parteien. Allein eine gewisse Trägheit der Parteienpräferenz und die Scheu vor dem ideologischen Angebot der AfD dürfte bisher noch größere Verschiebungen verhindert haben. Aber die können noch kommen.  

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Wie eine Umfrage des Allensbach-Instituts zeigt, sind die Deutschen gespalten: Für die einen - wir können sie statt Globalisten auch Multikulturalisten nennen, ist die Zugehörigkeit zur Gesellschaft allenfalls noch an die Beherrschung der deutschen Sprache und ein wie auch immer geartetes Bekenntnis zum Grundgesetz geknüpft. Für die anderen hat nationale Identität noch etwas mit Herkunft und Traditionen zu tun. Letztere sind in der Mehrheit. 57 Prozent der Deutschen glauben zum Beispiel, dass es einen „deutschen Nationalcharakter“ gäbe. Tendenz bleibend.

Hinter den globalistischen Eliten steht nur die Minderheit der Bevölkerung, wenn auch vermutlich der ökonomisch stärkere Teil. Die Mehrheit der Deutschen und der anderen westlichen Nationen ist eher antiglobalistisch. Man fürchtet den Verlust des Nationalen und wünscht sich eine bremsende, nicht eine beschleunigende Politik. Das ist der Riss, der durch alle westlichen Gesellschaften geht und notwendigerweise zur Entstehung neuer politischer Bewegungen, also der so genannten Populisten geführt hat. Die etablierten Parteien haben, wenn sie ihnen weitere globalistische Beschleunigung zumuten, noch viele Wähler zu verlieren. Vielleicht irgendwann auch die Macht.

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