Knauß kontert

„Deutsch-Werden“ mit Frank-Walter Steinmeier?

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Bislang war mit Integration von Zuwanderern vor allem ein Arbeitsplatz gemeint. Nun fordert der Bundespräsident kulturelle Assimilation – ausgerechnet da, wo das Deutsch-Sein am wenigsten attraktiv ist.

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Bundespräsident Steinmeier:

Aufzufordern gehört zum Job des Bundespräsidenten. In Frank-Walter Steinmeiers Rede zum Tag der Deutschen Einheit war die zentrale, mehrfach wiederholte Forderung: „Wir müssen uns ehrlich machen“. Ehrlich in Sachen Zuwanderung und Integration. Doch er selbst ging nicht konsequent mit gutem Beispiel voran.

Die Formulierung ist für sich schon kritisierbar. Nicht nur weil sie stilistisch missraten und schwulstig ist. Wie Jan Fleischhauer vom Spiegel treffend schreibt, suggeriert Steinmeier nämlich, „man könne sich nachträglich in den Zustand der Ehrlichkeit versetzen, ohne darüber reden zu müssen, dass man es vorher nicht war.“ Soviel Kritik an der in Mainz versammelten Politprominenz und damit auch an sich selbst als seit 1998 mit vierjähriger Unterbrechung Mitregierendem gehört wohl offensichtlich doch nicht zur geforderten Ehrlichkeit.

Besonders beachtlich an Steinmeiers Rede war aber eine Forderung, die nicht nur die Unehrlichkeit, sondern auch die migrationspolitische Orientierungslosigkeit des Zuwanderungslandes offenbart, das er repräsentiert.

Den Diskurs um Zuwanderung und Integration prägen üblicherweise zwei Kategorien: Ökonomie und Moral. Es ist da meist von Fachkräften, Ausbildung, Arbeitsplätzen und ähnlichem die Rede. Und – in einer abstrusen Vermischung mit der Ökonomie – außerdem von moralisch grundierten Begriffen wie Flucht, Schutz, Hilfe.

Und nun kommt Steinmeier und spricht von „Deutsch-sein“ und „Deutsch-Werden“. Beides hat im politischen Migrationsdiskurs der Gegenwart sonst kaum Platz. Zumindest nicht in dem der etablierten Parteien. Im Wahlprogramm von Steinmeiers SPD zum Beispiel kommen „die Deutschen“ kein einziges Mal vor. In dem der CDU nur ganz selten. „Wir schließen niemanden aus und bitten alle, an einer guten Zukunft Deutschlands mitzuwirken“, steht dort. Steinmeiers Parteifreundin, die für Integration zuständige Staatsministerin Aydan Özoğuz, eine der Lieblingsfeindinnen der AfD, hat sogar verkündet, eine „deutsche Kultur“ sei jenseits der Sprache gar nicht existent.

Steinmeier spricht das Wort "kulturelle Assimilation" nicht aus, das bei vielen einen schlechten Klang hat. Aber er spricht von dem, was die Kultur eines Landes, einer Nation in erster Linie ausmacht: Geschichte. Zum Deutsch-Sein gehöre „das Bekenntnis zu unserer Geschichte, einer Geschichte, die für nachwachsende Generationen zwar nicht persönliche Schuld, aber bleibende Verantwortung bedeutet. Die Lehren zweier Weltkriege, die Lehren aus dem Holocaust, die Absage an jedes völkische Denken, an Rassismus und Antisemitismus, die Verantwortung für die Sicherheit Israels.“ Niemand, der bei Verstand ist, wird Steinmeier widersprechen

Aus diesem Deutsch-Sein leitet Steinmeier nun für das „Deutsch-Werden“ die Forderung ab, „unsere Geschichte anzuerkennen und anzunehmen.“ Wer seine Heimat hier suche, könne nicht sagen: „Das ist Eure Geschichte, nicht meine.“

Diese Forderung ist wahrlich anspruchsvoll.

Deutscher oder lieber nur Mensch sein?

Zwischen Özuğuz' und Steinmeiers Vorstellungen von Integration liegen Welten. Erstere will den Einwanderern außer Spracherwerb gar keine kulturelle Anpassung zumuten - Steinmeier dagegen erwartet Anpassung ausgerechnet auf dem schwierigsten Feld: Annahme der Verantwortung aus der durch das größte Menschheitsverbrechen kontaminierten deutschen Geschichte!

Ersteres ist gefährlich, da es in letzter Konsequenz den Verlust des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Kauf nimmt. Letzteres ist schlicht unrealistisch.

Zu der Ehrlichkeit in Migrationsfragen, die Steinmeier einfordert, gehört zweierlei, das er in seiner Rede wohlweislich nicht erwähnte. Zunächst: Es ist zweifellos ökonomisch attraktiv, in Deutschland zu leben und eine deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen. Aber „Deutsch-Sein“ und „-Werden“ ist vor dem Hintergrund der Geschichte eben ausgesprochen unattraktiv.

Die Deutschen selbst zeigen schließlich auch nicht gerade großen Enthusiasmus dabei. „Ausländer, lasst uns nicht mit den Deutschen allein“, war schon in den 1990er Jahren ein beliebter Spruch bei Demonstrationen. Die das sagten, wollten offenbar selbst nicht für Deutsche gelten. Möglicherweise ist der fortschreitende Verzicht auf den Begriff des „Deutschen“ in der politischen Kommunikation zu Gunsten von „Menschen“ eine Reaktion auf das unterschwellige Verlangen vieler Deutscher ihrem Deutsch-Sein zu entkommen. Und die Willkommenskultur ist vielleicht deswegen so besonders verbreitet hierzulande, weil sie in Aussicht stellt, nur noch ein Mensch zu sein, der schon immer hier am „Standort Deutschland“ lebt und arbeitet, aber kein Deutscher mehr sein muss. 

Welchen Anreiz sollten nun Zuwanderer verspüren, die zweifellos schwerwiegende historische Last des „Deutsch-Seins“ mitzutragen? Eine Umfrage der ZEIT von 2010 offenbarte, dass 60 Prozent der in Deutschland lebenden türkischstämmigen Menschen den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte für „eher abschreckend“ hielten. 43 Prozent sahen in der intensiven Beschäftigung mit der Judenverfolgung „eher ein Zeichen von Schwäche“. 53 Prozent stimmten der Forderung zu, „die Deutschen sollten sich heute weniger mit der Judenverfolgung, dafür mehr mit der Politik Israels gegenüber den Palästinensern beschäftigen“. Wenig spricht dafür anzunehmen, dass das Meinungsbild bei den aus arabischen Ländern oder Afrika Eingewanderten mehr im Sinne einer Anteilnahme an deutscher historischer Verantwortung ausfiele.

Zur Ehrlichkeit gehörte also auch das Eingeständnis: Die Chancen, dass nun ausgerechnet diese am „Deutsch-Sein“ schwer tragende deutsche Gesellschaft und dieser bislang gegenüber Zuwanderern ausgesprochen großzügige und anspruchslose deutsche Staat das „Deutsch-Werden“ von Zuwanderern durch Annahme der Geschichtsverantwortung erfolgreich einfordern kann, sind gering.

Zuwanderer bringen nicht nur Arbeitskraft und Konsumbedürfnisse mit, sondern auch ihre Bilder von der Geschichte. Zu glauben, dass man diese leicht umerziehen kann, ist illusorisch. Erst recht bei anhaltendem Zuzug. Die Migrationsgeschichte lehrt, dass Zuwanderung die aufnehmenden Länder und Gesellschaften grundlegend verändert. Nicht nur ökonomisch und sozial. Kein gesellschaftlicher Bereich, auch nicht das öffentliche Geschichtsbewusstsein, wird davon völlig verschont bleiben können.

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