Knauß kontert

Deutschland soll die Welt retten? Lächerlich

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Seit Trumps Wahlsieg wird Deutschland und Angela Merkel von manchen Übereifrigen die Rettung des Westens überantwortet. Das ist ein schlechter Witz der Weltgeschichte.

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Deutschland als Vorreiter des Westens? Quelle: imago images

Zu Kaiser Wilhelms Zeiten hieß es „Am deutschen Wesen soll dereinst die Welt genesen“. Heute glaubt man in Zeitungsredaktionen und anderswo offenbar wieder, dass Deutschland zu großen Aufgaben berufen ist und nicht viel weniger als die Welt retten müsse.

Schon unmittelbar nach der überraschenden Wahl Donald Trumps war in vielen deutschen Medien der Wunsch nach deutscher Führung zu vernehmen. „Anführerin der freien Welt? Aber klar doch!“ hieß es etwa in der Zeit. Auch ein paar Wochen später, da Trump nun tatsächlich die Regierung des mächtigsten Landes der Welt übernimmt, sind viele Deutsche noch auf diesem bizarren Trip der Hybris. „Wird die Kanzlerin Gegenspielerindes US-Präsidenten Trump und Führerin des freien Westens?“ fragt die Welt.

Ermutigt von prominenten Amerikanern wie zum Beispiel dem um laut verkündete Gewissheiten selten verlegenen Alpha-Ökonom Joseph Stiglitz – „Deutschland muss Trump klare Kante zeigen“ - lassen sich deutsche Publizisten, die sonst nicht als Antiamerikanisten bekannt sind, zum Säbelrasseln hinreißen. Das schrillste Dokument des neudeutschen Kampfesmuts war der Kommentar des Chefredakteurs der Welt, Ulf Poschardt nach dem Trump-Interview der Bild-Zeitung: „Wir müssen uns gegen Trump wehren und besser, mutiger, fleißiger, innovativer, freier, offener, schwuler und multikultureller werden.“ (Nach einem kleinen Shitstorm entfernte Poschardt „schwuler“ aus dem Text, um es dann nach einem erneuten Shitstorm wieder einzufügen und um „lesbischer“ zu ergänzen).

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Nach Trumps Wahlsieg und anderen als Auflösungserscheinungen der liberalen Weltordnung oder gar des „Westens“ schlechthin gedeuteten Wahlentscheidungen, vor allem dem Brexit-Votum, beschränkt sich deutscher Rettungseifer nicht mehr auf Flüchtlinge und die Europäische Union. Nun muss es eben, wenn die Amerikaner und Briten sich verdrücken, der gesamte Westen - ach was - die gesamte liberale Weltordnung sein. Der Führungsmacht des Westens muss man, wenn sie vom rechten Weg abkommt, dann halt mutig die Stirn bieten. „Viel Feind, viel Ehr“, salbaderten dummdreiste Deutsche vor einem Jahrhundert.

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Dass Trump ein Egomane ist und offenbar bereit, für unumstößlich gehaltene Institutionen der westlichen Staatengemeinschaft zu vernachlässigen oder gar mutwillig zu zerstören, ist eine reale Gefahr. Keine Frage. Das betrifft auch Europa und Deutschland. Natürlich muss Deutschland als wirtschaftsstarke Mittelmacht und de facto Ruhepol der krisenhaften EU, nicht vor dem neuen Präsidenten zu Kreuze kriechen. Wenn Trump glaubt, sein Land vor europäischen Importen „schützen“ zu müssen, dann muss man in Berlin und Brüssel kaltblütig und nervenstark dagegenhalten. Trump und seine Anhänger werden dann merken, dass nicht nur die Welt von Amerika abhängig ist, sondern auch Amerika vom Rest der Welt (und von Europa ganz besonders). Und dann wird man eben, wenn beide Seiten nicht von allen guten Geistern verlassen sind, verhandeln.

Doch was soll dieses kämpferische, deutsche Rettungspathos? Kann irgendjemand ernsthaft glauben, dass ein Mann wie Trump davon beeindruckt ist, wenn sich Deutschland zur Bastion der westlichen Welt erklärt?

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