Knauß kontert

Das Erfolgsgeheimnis von Angela Merkel

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Die Kanzlerin, die nichts sagt

Nun ja, die Kenntnisse Merkels über Emil Noldes Kunst und Richard Wagners Opern, sind nicht wirklich relevant für ihre Funktion als Bundeskanzlerin. Aber auch Literatur mit unmittelbarem Bezug zu ihrer Politik scheint die Kanzlerin wenig zu interessieren. Das von Millionen Deutschen diskutierte Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin bezeichnete sie schon vor Erscheinen als „überhaupt nicht hilfreich“, um später zuzugeben, dass sie es gar nicht gelesen habe. Seither sagt sie über Bücher, die das Land bewegen, einfach gar nichts. Zum Beispiel über „Die Getriebenen“ von Robin Alexander. Da geht es immerhin um ihr und ihrer Minister Handeln in einer entscheidenden Phase ihrer Kanzlerschaft. Das Fazit ist vernichtend: eine Regierung, die sich von der Angst vor hässlichen Bildern treiben lässt.

Die Kanzlerin schweigt auch dazu. Das ist gerade ihr Erfolgsrezept: Diskurse vermeiden. Sie beherrscht wie kein anderer Politiker die Kunst, Politik hinter einem Schleier der Geschäftigkeit zu verstecken. Sie ist dauerpräsent, ohne je etwas wirklich diskutables jenseits von Allgemeinplätzen und Phrasen – „Wir schaffen das“ – zu sagen. Sie ist sehr schlau und hat erkannt, dass man heutzutage leichter regiert, wenn man nicht über politische Überzeugungen und Ziele spricht, sondern Gefühlslagen bedient.

"Deutschland – ein kollektiver Freizeitpark"
22. Juni 1993: „Meine Lebenserfahrung nach fast elf Jahren in der EG: Wenn irgendwo Geld gebraucht wird, wendet man stumm den Blick auf die Deutschen.“Kohl vor Journalisten am 22. Juni 1993 auf dem EG-Gipfel in Kopenhagen Quelle: AP
Menschlichkeit der Gesellschaft: „Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht.“Kohl im Mai 199 Quelle: dpa
Vergleich mit Goebbels: „Er ist ein moderner kommunistischer Führer, der sich auf Public Relations versteht. Goebbels, einer von jenen, die für die Verbrechen der Hitler-Ära verantwortlich waren, war auch ein Experte in Public Relations.“Kohl in einem Interview mit dem US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ im Oktober 1986 über Michail Gorbatschow Quelle: dpa
„Wir gehen nach Berlin – aber nicht in eine neue Republik.“ Kohl im Juli 1999 in Anspielung an die sogenannte Bonner Republik Quelle: dpa
Sie und Du: „You can say you to me.“Kohl zu Margaret Thatcher – nichtwissend, dass das englische You das höfliche Sie und das Du gleichermaßen bedeutet. Quelle: AP
Gnade der späten Geburt: „Ich rede vor Ihnen als einer, der in der Nazizeit nicht in Schuld geraten konnte, weil er die Gnade der späten Geburt und das Glück eines besonderen Elternhauses gehabt hat.“Kohl am 24. Januar 1984 in einer Rede vor der Knesset in Israel Quelle: dpa
Wahlkampf wie ein Marathonlauf: „Wahlkampf ist ein Marathonlauf. Es kommt nicht darauf an, wer auf den ersten Metern vorn liegt, sondern wer am Schluss gewinnt.“Kohl in einem Zeitungsinterview 1998 Quelle: REUTERS

Einmal passierte ihr ein Ausrutscher. In ihrer Regierungserklärung von 2009 schien sich ein Interesse an grundsätzlichen, großen Fragen der Zeit anzukündigen, als Merkel ankündigte, man habe nun den Auftrag, „eine Art des Wirtschaftens zu entwickeln, die nicht die Grundlagen ihres eigenen Erfolgs zerstört“. Ökologische Denker wie Meinhard Miegel erinnern immer wieder an dieses Merkel-Wort. Aber es gibt seither keine Reaktion mehr aus dem Kanzleramt. Auch die Ergebnisse der Enquete-Kommission des Bundestages zu „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, des wohl einzigen groß angelegten Versuchs dieses Jahrzehnts, Politiker und Denker zusammen zu bringen, stießen bei Merkel auf kein erkennbares Interesse.

Merkel hat aus ihrer größten Schwäche eine Stärke gemacht

Merkel hat ihre größte Schwäche, die Unfähigkeit zur klaren und konzisen Sprache, zu einer Stärke umfunktioniert. Ein Kunstwerk, das Max Weber mit seiner Vorstellung vom charismatischen Politiker, der in Redeschlachten Mehrheiten überzeugt, wohl noch für unmöglich gehalten hätte. Aber Weber kannte eben die postdemokratische, sentimentale Wohlstandsgesellschaft noch nicht. Merkel kann so regieren, wie sie es tut, weil die Regierten ihr das zubilligen und keine Erklärungen verlangen, sofern ihre moralischen Gefühle befriedigt werden. 

Merkel entzieht sich dadurch nicht nur den Niederungen des Wahlkampfes (und treibt Martin Schulz damit zur Verzweiflung), sondern der Politik generell. Zumindest dem, was man früher einmal unter demokratischer Politik verstand, nämlich dem dialektischen Prozess zwischen Regierungshandeln, Kritik der Opposition und Rechtfertigung der Regierung.

Erinnert sich, jetzt wo der große Helmut Kohl tot ist, noch jemand an die Dauerkritik der Journalisten und fast der gesamten publizierenden Klasse an ihm? Und an seine oft wütenden Antworten vor Fernsehkameras? An sein standhaftes Deutschlandlied-Singen am Abend nach dem Mauerfall gegen das Gepfeife seiner geschichtsblinden Gegner in Berlin? 

Merkel nutzt eine Möglichkeit aus, die wir ihr lassen

All das bleibt Merkel erspart. Mehr noch: Wenn Publizisten, die ihr das nicht ersparen wollen, „Eine kritische Bilanz“ vorlegen, wird diesen dafür in der Taz „Hass“ unterstellt. Und öffentliches Hassen ist bekanntlich demnächst strafbar. Während Journalisten sich einst vor allem Kritik an den Regierenden zur Aufgabe machten und Kohl und seiner CDU keine ruhige Minute ließen, kritisieren sie jetzt lieber die wenigen Regierungskritiker. Da kann Angela Merkel in Ruhe ihren anstrengenden Termin-Marathon abklappern.

Der eigentliche Vorwurf ist also nicht der Kanzlerin zu machen. Sie nutzt dank ihrer phänomenalen Intelligenz nur eine Möglichkeit, die ihr das Volk und vor allem dessen Elite gewährt: Es lässt sich beeindrucken von der Präsentation kümmernder Geschäftigkeit und (durchaus glaubhafter) Redlichkeit – und verzichtet auf das, was jede Regierung ihm, also dem Souverän, nach demokratischer Theorie eigentlich schuldig ist: Rechenschaft.

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