Knauß kontert

Die OECD und ihr Übergriff auf die Familie

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Hinter ihrem Ruf nach Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf versteckt die OECD einen Fetisch: Die Wirtschaft wird zum Zweck, der Mensch zu ihrem Mittel.

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Mutterschutz: Lieber nicht zu früh wieder arbeiten. Quelle: imago images

Die OECD will „Mehr Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf“. So betitelt die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine aktuelle Studie, in der sie beklagt, dass die Erwerbsquote von Frauen in Deutschland „hinter die Erwerbsquoten in Dänemark oder Schweden zurückfällt“.

In einer von Gleichheit als höchstem Wert überzeugten Gesellschaft, kann man der Forderung nach „Partnerschaftlichkeit“ kaum widersprechen. Zumindest nicht, wenn man nicht in die Gefahr geraten will, ein Reaktionär zu sein und sich dadurch in eine argumentative No-Go-Area zu begeben. Die eigentliche Botschaft der jüngsten OECD-Studie wird aber hinter der Partnerschaftlichkeit versteckt:

Weil Frauen allzu oft nur in Teilzeit einer Erwerbsarbeit nachgingen, blieben „so auch wirtschaftliche Potenziale ungenutzt“, lässt sich OECD-Sozialexpertin Monika Queisser zitieren. Da Mütter bisher „unterdurchschnittlich“ zum Bruttoinlandsprodukt beitragen, sollen sie nicht mehr nur in Teilzeit erwerbstätig sein. Nicht die Partnerschaft von Vätern und Müttern steht also im Zentrum des Interesses, sondern die Steigerung der „wirtschaftlichen Potentiale“, vulgo: die Verfügbarkeit beider Geschlechter für die Erwerbsarbeit. 

Die 1949 unter dem Namen OEEC gegründete OECD war einmal die humane Antwort der westlichen Staatengemeinschaft auf die ökonomischen Missstände, Wirtschaftskrisen und Weltkriege der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ermöglicht wurde das durch große Ökonomen wie John Maynard Keynes und Simon Kuznets, die das Bruttosozialprodukt erfunden und wirtschaftspolitische Konzepte entwickelt hatten, die für wachsenden und gerechter verteilten Wohlstand sorgen würden. Konkret hatte die OEEC zunächst vor allem den praktischen Zweck, die europäischen Empfängerländer in die Verteilung der amerikanischen Marshallplan-Hilfen einzubinden. Doch sie wollte bald mehr.

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Auf die Unterstützung der Presse legte die Organisation besonderen Wert. Ein 1952 vom OEEC-Ministerrat verabschiedetes Dokument forderte die Regierungen der Mitgliedsländer auf, „die Unterstützung und Mitarbeit aller Bevölkerungsteile zu sichern, um die allgemeine Einsicht in die entscheidende Bedeutung ökonomischer Expansion zu erweitern und die aktive Mitarbeit von Industriemanagern, Arbeitern, Bauern, Finanzinstituten, Presse und breiter Öffentlichkeit mit Maßnahmen zu gewinnen, die auf den Erfolg dieser Politik ausgerichtet sind.“

Das Ziel war die Schaffung einer dynamischen Stimmung, die die bisherige Vorstellung einer statischen Volkswirtschaft ablösen würde. Es wurde erreicht. Seit den 1960er Jahren folgen Politik und Medien weithin geschlossen einem Paradigma der unbedingten Notwendigkeit und unbegrenzten Machbarkeit von Wirtschaftswachstum. Wer dazu mehr wissen will, dem sei Matthias Schmelzers aktuelles Buch „The Hegemony of Growth. The OECD and the making of the economic growth paradigm” (Cambridge, 2016) empfohlen.

Der Wert der kleinen Lebenskreise

Dem unbescheidenen Ziel der OECD, die Welt immer reicher zu machen, stehen vermeintlich die von Kurt Biedenkopf so genannten „kleinen Lebenskreise“ im Weg. Das sind die vor-ökonomischen Gemeinschaften, ohne die kein lebenswertes menschliches Miteinander vorstellbar ist. Gemeinschaften, in denen unverzichtbare Arbeit nicht nach Marktpreisen bezahlt und daher nicht zum Bruttoinlandsprodukt gerechnet werden kann. Arbeit, die gerade deswegen unendlich wertvoll ist. Die kleinen Lebenskreise, das sind die menschlichen Beziehungen, die keine Geschäftsbeziehungen sind, sondern Solidarität auch ohne Vertrag und vielleicht sogar aus Liebe gewähren. Die kleinen Lebenskreise, das sind vor allem Familien.

Wenn man der OECD und der durch sie propagierten Politik eines vorwerfen muss, dann ist es ihr immer weniger gehemmter Übergriff auf diese kleinen Lebenskreise. Die meisterhafte Meinungsarbeit der OECD versteht sich darauf, ihre extrem normativen Politikforderungen als Ergebnisse rein rationaler und objektiver Wissenschaftlichkeit darzustellen.

Es ist ihr und ihren Mitstreitern gelungen, jeden Versuch, Restbestände der Autarkie der kleinen Lebenskreise zu bewahren, als „traditionelles Rollenbild“ zu diskreditieren, das der Verbesserung der Welt durch Wirtschaftswachstum im Wege stehe. So wurde es möglich, Eltern, vor allem Mütter, die zugunsten ihrer Kinder auf Erwerbsarbeit teilweise oder ganz verzichten, zu „ungenutzten wirtschaftlichen Potentialen“ zu erklären.

Hier stimmt die Work-Life-Balance
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Voraussetzung dafür ist ein Begriff von Arbeit, der nur BIP-relevante Erwerbsarbeit umfasst, und elterliche Erziehungsleistungen oder andere unbezahlte Tätigkeiten zur Nicht-Arbeit entwertet.

Aus dem humanen Ziel der Wohlstandssteigerung hat die OECD somit im Laufe der Jahrzehnte einen inhumanen Fetisch gemacht. Aus der dienenden Rolle der Wirtschaft für Mensch und Gesellschaft – Keynes und Kuznets haben diese immer wieder hervorgehoben - wurde ein Selbstzweck. Der zum „Potential“ oder zur „Fachkraft“ erklärte Mensch hat sich in den Dienst der Ökonomie zu stellen. Mittel und Zweck haben also die Rollen gewechselt.

Der Fetisch verlangt konsequenterweise, dass die vermeintlich unproduktiven, weil ökonomischer Statistik entzogenen kleinen Lebenskreise der Familien auf ein absolutes Minimum reduziert oder im besten Falle selbst zum Teil der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden. Wenn Kinder von bezahlten Erziehern betreut werden, während ihre Mütter an der Supermarktkasse sitzen, steigt schließlich das BIP zweifach. Der für Arbeitgeber höchst willkommene Nebennutzen ist dabei, dass Arbeitnehmer, die gar nicht mehr die Erwartung hegen, eine Familie allein ernähren zu können, bescheidenere Löhne erwarten als die früheren Alleinverdiener. 

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Das jahrzehntelange mediale Trommelfeuer der OECD und anderer interessierter Organisationen hat dazu geführt, dass Familienpolitik heute wenig damit zu tun hat, das Wirtschaftsleben familienfreundlicher zu machen, sondern ihre Aufgabe vor allem darin sieht, Familien wirtschaftskompatibel zu machen. Letztlich verkünden OECD und Familienministerium unterschwellig stets die Botschaft: Kinder sind ein Klotz am Bein jedes Erwerbstätigen.

Die Schäden, die die Degradierung des Menschen zum Mittel und die Erhebung von Wirtschaft zum Selbstzweck verursachen, tauchen natürlich in OECD-Studien und volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nicht auf. Sie sind unbezifferbar. Zu tragen haben sie die Eltern in Form von Stress und Schuldgefühlen und vor allem die Kinder, bei denen mangelnde Elternbindung zu einem Mangel an emotionaler Sicherheit und Bildungsfähigkeit führen kann.

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