Knauß kontert

Die Partei des großen "Nein"

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Das Wahlprogramm der AfD enthält maßlose und unrealisierbare Forderungen. Warum das so ist und was die etablierten Parteien damit zu tun haben.

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Die AfD im Medienrummel: Kann Frauke Petry mit dem Wahlprogramm punkten? Quelle: imago images

Die AfD hat sich offenbar an ihrem niederländischen Vorbild orientiert. Geert Wilders hat seinen Anhängern vor einigen Monaten zugerufen: „Geht nicht vom Machbaren aus, sondern vom Denkbaren.“ Das Wahlprogramm, dass sich die Alternative für Deutschland gegeben hat – es muss allerdings noch vom Partietag abgesegnet werden – ist tatsächlich eine Auflistung von Forderungen, die selbst im völlig realitätsfremden Falle einer absoluten Mehrheit kaum umzusetzen wären.

Aber wer der AfD nun die Unmachbarkeit vorwirft und von unverantwortlichen „Vereinfachern“ spricht, und meint, dass er es Petry und Co. damit mal so richtig gezeigt hat, der begreift vielleicht nicht, was die AfD ist.

Unverantwortlichkeit – also: auf Fragen nach dem eigenen Tun nicht antworten müssen – gehört selbst zu ihrem Programm. Was die beiden Parteivorsitzenden Frauke Petry und Jörg Meuthen, sowie deren Stellvertreter Albrecht Glaser, in dieser Woche präsentierten, ist im Gegensatz zu den Wahlversprechen der etablierten Parteien schließlich kein Dokument, an dessen Umsetzung sich nach den Wahlen jemand messen lassen müsste. Das unterscheidet sie von allen derzeit im Bundestag vertretenen Parteien, inklusive der Linken.

Die Gesichter der AfD

Alle haben sie mehr oder minder begründete Hoffnungen, nach dem 24. September in Koalitionsverhandlungen eintreten und dann ab dem nächsten Jahr das Land mitregieren zu können. Das heißt aber auch, dass Sie möglichst viel von dem, was sie jetzt in Aussicht stellen, vor den Augen ihrer Wähler in Regierungspolitik umzuwandeln versuchen müssen. Wer mitregieren will, muss vorher halbwegs Machbares fordern um nachher nicht als Versager da zu stehen.

Das gilt für die AfD nicht. Sie ist die einzige Partei, die mit einiger Sicherheit im Bundestag vertreten sein wird, aber mit noch größerer Sicherheit nicht in Regierungsverantwortung gelangen wird. Die AfD wird wissentlich und willentlich als Partei der radikalen Opposition in den Bundestag einziehen. Und so muss man auch ihr Wahlprogramm lesen: Als großes Nein. Darum kann der Vorwurf der Unmachbarkeit und Verantwortungslosigkeit an der Parteiführung und den Mitgliedern, die über die wichtigsten Punkte des Wahlprogramms abgestimmt haben, abprallen.

Vermutlich wäre es das sicherste Mittel, die Partei zu zerstören, wenn man sie auf Landesebene in Regierungsverantwortung genommen hätte. Nicht nur die Unerfahrenheit ihrer Führungsleute, sondern vor allem die programmatisch und strukturelle Unverantwortlichkeit einer ganz auf Opposition ausgerichteten Partei würden sie vor den Augen ihrer Anhänger demontieren.

Erinnert sich noch jemand an Ronald Schill? Der „Richter Gnadenlos“ hatte mit unumsetzbaren Forderungen (wie der Kastration von Sexualstraftätern) 2001 in Hamburg auf Anhieb über 19 Prozent der Wähler gewonnen. Ole von Beust band Schill in eine Koalition ein und machte ihn zum Justizsenator. Auf dem Posten machte er sich so restlos unmöglich, dass von Beust ihn entließ und selbst seine „Schill-Partei“ sich von ihm trennte. Die Partei versank im Orkus der Splitterparteien und Schill lebt mittlerweile in einer Favela von Rio de Janeiro  – unterbrochen von peinlichen Nacktauftritten im Fernsehen.

Der Kern der AfD-Forderungen

Der Rückblick auf die kurze und eher realsatirische Episode Schill zeigt aber vor allem, wie fundamental sich nicht nur die deutsche Parteipolitik, sondern die gesamte politische Kultur (wenn man davon überhaupt noch sprechen kann) verändert hat. Die Verhärtungen zwischen der AfD und den anderen Parteien haben einen politischen Graben aufgetan, den man zu Schills Zeiten noch kaum für möglich gehalten hätte.  

Natürlich geben die etablierten Parteien dafür der AfD die Schuld. Und es stimmt ja auch: Schon die Überschrift des ersten Kapitels des Programms – „Wiederherstellung der Demokratie in Deutschland“ – zeugt von Vermessenheit und schürt Feindschaft: Die anderen haben demnach die Demokratie kaputt gemacht. Dazu dann konkrete Krawall-Forderungen wie die nach Ausbürgerung von straffällig gewordenen Menschen unter Inkaufnahme von deren Staatenlosigkeit.

Neben solchen Radikalismen gehen die im Programm durchaus vorhandenen seriösen und diskussionswürdigen Inhalte unter, wie zum Beispiel die Forderung nach dem Erhalt eines differenzierten Schulsystems. Auf solchen programmatischen Nebenschauplätzen zeigt die AfD, dass sie tatsächlich konservative und liberale Positionen vertritt, die die Union leichtfertig geräumt hat.

Bipolare Zuspitzungen von Konflikten sind in aller Regel nicht ausschließlich durch die Aggressivität der einen Seite zu erklären, auch wenn beide Seiten das der jeweils anderen üblicherweise unterstellen. Auch der Erfolg von Donald Trump und anderen europäischen Populisten, deren Forderungskataloge den der AfD übrigens an Radikalität weit übertreffen, sind nicht aus diesen Bewegungen selbst zu erklären. Die AfD und alle anderen Populisten sind keine Naturkatastrophen, in denen sich finsterer irrationaler Ungeist Bahn bricht.

Sie sind wie jede neue politische Bewegung in der Geschichte der Demokratien eine Antwort auf eine von großen Teilen der Bevölkerungen wahrgenommene Enttäuschung durch die etablierten politischen Eliten. Repräsentationslücke lautet der politologische Fachbegriff. Die Regierenden (und die etablierte Opposition) haben politische Grundbedürfnisse weiter Teile der Bevölkerung in sträflicher Weise vernachlässigt. Neue Parteien sind die Quittung für die Arroganz und Ignoranz der politischen Klasse angesichts ihrer Wähler.

Wo genau diese Lücke liegt, wird klar, wenn man die Kernforderungen der AfD betrachtet, die auf den ersten Seiten des Wahlprogramms stehen. Man will nichts Neues erreichen, wie einst die oppositionellen Arbeiterparteien, die das bürgerliche Establishment im klassischen Industriezeitalter aufmischten, sondern etwas erhalten: nämlich den „souveränen, demokratischen Nationalstaat“. Nationen seien „für ihre Angehörigen unverzichtbare Identifikationsräume“. Die AfD ist aus der Angst geboren, dass dieser Raum für die Deutschen verloren geht. Dass diese Angst nicht ernst genommen, sondern moralisch diskreditiert und für grundsätzlich illegitim erklärt wird, entsteht Wut. Und Wut verleitet zu Trotz und Übertreibungen.

Mit erhöhten Erziehungsanstrengungen oder versorgungsstaatlichen Leckerbissen ist diese Angst sicher nicht klein zu kriegen. Der Wunsch nach Erhalt eines Sicherheit vermittelnden „Identifikationsraums“ ist für sehr viele Menschen ein politisches Grundbedürfnis. Die etablierten Parteien hätten es in der Hand, dieses wieder selbst zu befriedigen, so wie sie es früher auch geschafft haben: Mit machbaren politischen Angeboten für den Teil der Bevölkerung, der nicht schon heute in der Zukunft leben will.

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