Knauß kontert Christdemokraten, lest Ludwig Erhard!

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Erhards Vorstellungen sind hochaktuell

Und was die wirtschaftspolitischen Grundsätze angeht: Zitiert nicht nur, wie jüngst die Kanzlerin, immerfort den Namen Ludwig Erhard, sondern lest, was er dachte und wollte! Nehmt ihn ernst, statt ihn zum Götzen des Wirtschaftswunders zu verklären. Erhards Vermächtnis waren die „Maßhalte-Appelle“, für die er in den kurzen Jahren seiner Kanzlerschaft von wachstumsfetischistischen Ökonomen und Politikern verlacht wurde. Nichts fehlt in der deutschen Politik seit jenen Zeiten so sehr wie ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Selbstbeschränkung des Staates - und im weiteren Sinne der „Wirtschaft“.

Ludwig Erhard und die Schule der „Ordoliberalen“ können auch heute noch (vielleicht sogar eher noch als seinerzeit) die Grundlagen liefern für eine stabilisierende und konsolidierende, also im besten Sinne konservative Wirtschafts- und Sozialpolitik. Für eine Politik, die auf die Begrenztheit der Möglichkeiten materieller Expansion eingerichtet ist. Erhard war kein ökologisch Bewegter. Aber einer der Väter der ökologischen Bewegung, der damalige CDU-Abgeordnete und spätere Grünen-Mitgründer Herbert Gruhl hat erkannt, dass Erhards Vorstellung von der sozialen Marktwirtschaft mit einem ökologischen Bewusstsein vereinbar ist – im Gegensatz zu dem, was Erhard verächtlich „Wachstumsfetischismus“ nannte.

Wenn die CDU noch einen Funken politischer Vitalität in sich trüge, der über die tagespolitische Taktik des Machterhalts hinausgeht, und wenn man wirklich eine tiefschürfende Grundsatzdebatte über ökonomische und soziale Fragen führen will, dann müsste sie mit dieser Feststellung beginnen: Weder das fortgesetzte Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, noch der prozentual noch stärker steigende Anteil der staatlich verteilten Sozialausgaben (knapp 30 Prozent) führen zu allgemeiner Glückseligkeit. Möglicherweise verstärken die politischen Dopingmittel zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums sogar eher noch das um sich greifende Empfinden einer grundlegenden Krise.  

Ludwig Erhard würde sich vermutlich darüber nicht besonders wundern, dass das Land und die Gesellschaft im Krisenmodus stecken, obwohl die Wirtschaft brummt und die Regierenden den Staat als Umverteilungs- und Investitionsapparat immer weiter aufpumpen. Er ahnte, dass es langfristig verhängnisvoll sein muss, immerwährendes exponentielles Wirtschaftswachstum zur Voraussetzung der Stabilität des demokratischen Gemeinwesens zu erklären. In einem seiner letzten Aufsätze von 1972 schrieb er: „Ich glaube nicht, daß es sich bei der wirtschaftspolitischen Zielsetzung der Gegenwart gleichsam um ewige Gesetze handelt. Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, daß zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig und nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoller ist, unter Verzichtleistung auf diesen "Fortschritt" mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.“

Erhard war, wie sich in solchen Sätzen offenbart, durchaus ein Konservativer. Seine zeitlose und illusionsfreie Vorstellung von der sozialen Marktwirtschaft als einer Ordnung, die, wie er schrieb, „auf überhaupt kein Ziel gerichtet [ist] als nur auf das eine, ein geordnetes Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen“, wäre viel eher für die bevorstehende Ära der schwindenden Wachstumsmöglichkeiten und des bedrohten sozialen Friedens geeignet als die ursprünglich „linke“ Vorstellung vom stetigen Wirtschaftswachstum (und dem des Umverteilungsstaates) als Lösung für alle sozialen und sonstigen Probleme. Wenn man sie denn ernst nähme!

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