Knauß kontert

Warum die aktuelle Politik nicht glaubwürdig ist

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Feigheit und Hybris im Bunde

 

Eine riesige Diskrepanz: Angela Merkel macht sich einerseits ganz klein und ohnmächtig gegenüber "den Zeiten" und der Schicksalshaftigkeit von Entwicklungen, vor denen viele Menschen Angst haben.

Auf der anderen Seite aber inszeniert sie das Versprechen, zum Beispiel das Weltklima zu retten. Sie nährt, wie Wolfgang Sofsky sagt, die Illusion, „die Wirtschaft lenken, Arbeitsplätze schaffen, Banken retten, Märkte durchregulieren, Währungen kontrollieren, Armut verhindern, Wohlstand vermehren“ zu können. Und das eben nicht nur in Deutschland, sondern letztlich global. Aktueller Fall: Die "Bekämpfung von Fluchtursachen", die Merkel zu einem ihrer Schwerpunkte machen will.

Der Bürger soll also im konkreten Fall einerseits akzeptieren, dass der deutsche Staat keine Einwanderer von seinem Territorium fernhalten könnte, selbst wenn er das wollte. Der Bürger erlebt ja auch alltäglich, dass die Politik die erste und ursprüngliche Verantwortung der Staatsmacht vernachlässigt, nämlich für Ordnung und Sicherheit zu sorgen, indem Gesetze mittels Gewaltmonopol konsequent durchgesetzt werden. Ein Beleg für diesen Rückzug ist das Phänomen der Mehrfach- oder Intensivtäter, also Krimineller, die der Polizei und Justiz längst bekannt sind, aber immer wieder vor Strafen verschont bleiben.

Andererseits soll der Bürger aber glauben, dass derselbe Staat einen erheblichen Einfluss nehmen könne auf die Behebung von Fluchtursachen in mehreren Dutzend Herkunftsländern. Dass der Staat eine Währungsunion bewahren und komplette Volkswirtschaften "retten" könne.

Man verspricht, Europa, den Westen und die ganze Welt zu retten – traut sich aber nicht einmal den nordafrikanischen Wiederholungstätern, die die Hauptbahnhöfe im eigenen Land unsicher machen, endlich das Handwerk zu legen.

Hier ist von Merkel die Rede. Aber es geht letztlich um die gesamte Politik im ausgehenden Zeitalter der Expansion. Merkel ist nur die derzeit größte Meisterin dieses Metiers.

Real existierender Handlungsunwille - vulgo: Feigheit - und hybrider Größenwahn haben sich in der gegenwärtigen Politik zu einer seltsamen Mischung vereint. Man macht sich hier ganz klein und dort ganz groß. Und man glaubt dem Bürger und Wähler diesen Anspruch gleichzeitiger Ohn- und Allmacht unterjubeln zu können: Wir können euch im ganz konkreten Leben hier und jetzt nicht mehr schützen, und die Zumutungen der Globalisierung habt ihr gefälligst hinzunehmen, aber glaubt uns gefälligst, dass wir die Welt zu einem besseren Ort machen werden.   

Glaubwürdig? In einer christlichen Partei mag man sich mit dem berühmten Vers des Kirchenvaters Tertullian trösten: Credo, quia absurdum est – Ich glaube, weil es absurd ist. Aber die Gesellschaften des Westens sind nun mal im dritten Jahrhundert nach Beginn der Aufklärung nicht mehr besonders glaubensfreudig– zumindest die Menschen nicht, „die schon immer hier waren“.

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