Knauß kontert
Gartenzwerg im Vorgarten Quelle: Getty Images

Heimat als Ablenkung

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Demnächst wird Deutschland einen Heimatminister haben. Eine Ersatzhandlung der ausgabenfreudigen Großkoalitionäre: Warme Worte und Staatsgeld statt notwendiger politischer Taten, die nichts kosten würden.

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Das vielleicht unsinnigste Ergebnis der Koalitionsverhandlungen ist die Erweiterung des Bundesinnenministeriums um die Zuständigkeit „Heimat“. Horst Seehofer darf sich also, wenn die Große Koalition neu aufgelegt werden sollte, demnächst auch „Bundesheimatminister“ nennen. Das war ein Schmankerl tief in der Verhandlungsnacht, um das Ministerium „aufzuwerten“, wie kolportiert wird.

Die CSU und Seehofer wollen damit signalisieren: „Wir nehmen die Ängste der Menschen ernst“, wie es in bestem Politikphrasendeutsch im Koalitionsvertrag heißt. Tatsächlich belegt die künftige Existenz eines Heimatministers aber vor allem eine Kombination von zwei fatalen Entwicklungen der politischen Kultur: Nämlich Emotionalisierung bei gleichzeitigem Verzicht auf staatliches Handeln zugunsten staatlicher Umverteilungsaktionen. Wärmende Worte und gefälliges Geld verdecken, dass den Regierenden der Mut oder schlicht die Fähigkeit fehlt, zentrale Ansprüche weiter Bevölkerungsteile an den Staat zu befriedigen.

Zunächst: Der Begriff „Heimat“ fällt in jeder Hinsicht aus der Reihe der sonstigen Ressortbezeichnungen. Sie sind nämlich sonst sachlich, emotionsneutral: „Außen-“, „Innen-“, „Justiz-“, „Wirtschafts-“, „Bildungs- und Forschungsministerium“. Heimat gehört sicher nicht in diese Kategorie der staatlichen Handlungsfelder. Es ist ein emotional aufgeladener, höchst vieldeutiger Begriff, der in der Sachpolitik eigentlich nichts verloren hat.

Heimat verweist im Wesentlichen auf eine emotionale Bindung. Die Kölner Karnevalsband „De Höhner“ hat das für ihre eigene Heimat auf den Punkt gebracht: „Hey Kölle, do bes e Jeföhl!“.

Wenn nicht gerade Karneval ist, ist Heimat ein nostalgisches bis trauriges Gefühl. Und darum ist Heimat eigentlich nur ein Thema, wenn sie nicht mehr selbstverständlich, sondern bedroht oder gar schon verloren ist. Das Leiden am Heimatverlust - eine altbekannte Nebenwirkung der Moderne und der Industriellen Revolution - wird jetzt potenziert durch die galoppierende Globalisierung und vor allem durch die Zuwanderung.

Der Unterschied zu früher: Es kommen nicht mehr nur Menschen mit anderen Dialekten oder Sprachen, wie in den Industrierevieren des 19. Jahrhunderts, sondern nun auch Menschen sehr fremder Kultur und anderer Hautfarbe. Manche Einheimischen erfasst eine große Furcht davor, dass sie zwar nicht vertrieben werden, aber ihre Heimat sich demografisch und kulturell so sehr verändert, dass sie nicht wiederzuerkennen ist. Das ist der wichtigste Grund für das Erstarken antiglobalistischer, einwanderungsfeindlicher politischer Bewegungen.

"Dieser Vertrag ist noch scheußlicher als erwartet"
Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall Quelle: Gesamtmetall
Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Quelle: dpa
Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler Quelle: dapd
Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Quelle: dpa
VDA-Präsident Matthias Wissmann Quelle: dpa
Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Quelle: dpa
Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom Quelle: dpa

Die geschwätzige Präambel des Koalitionsvertrages spricht das nicht offen aus, sondern versteckt es in dem Satz, dass „viele Menschen unzufrieden und verunsichert sind.“ Die Verunsicherung in Deutschland ist aber darin begründet, dass dem Staat die Kontrolle über die Zuwanderung völlig entglitten ist - und die Regierenden wenig bis nichts tun, um das zu korrigieren. Diese Erklärung findet sich natürlich nicht oder nur verklausuliert auf den 177 Seiten.

Was bieten die Politiker der Großen Koalition nun den Verunsicherten und Unzufriedenen?  

Geldausgeben als Ersatzhandlung

Zunächst dies gefühlige Wort „Heimat“ im Innenministerium. Was darüber hinaus an konkreter Politik damit verbunden sein soll, ist das übliche Lieblingsallheilmittel des Wohlfahrtsstaates: öffentliche Ausgaben. Wo Heimat draufsteht, ist für die GroKo die „Verbesserung der kommunalen Finanzlage“, der „Aufbau neuer, moderner Infrastrukturen“ und „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ drin. Nicht, dass das nicht möglicherweise von Fall zu Fall vernünftig sein könnte. Aber was hat es mit „Heimat“ zu tun? Wie kommt jemand auf die Idee, dass Glasfaserkabel und eine funktionierende Verwaltung die Angst vor dem Heimatverlust beseitigen? Und vor allem: Warum sollte das Aufgabe des Bundes sein - statt der Kommunen oder der selbst organisierten Bürger?

Der Verdacht liegt nahe, dass die Autoren das Heimat-Gerede von CSU bis Grünen nichts anderes ist als eine Ersatzhandlung. Gefühl und Geld sollen davon ablenken, dass entschlossenes Handeln nicht stattfindet. „Heimat“ wird also zu einem neuerlichen Vorwand, die finanzielle Expansion des Staates voran zu treiben und die Subsidiarität, also die Zuständigkeit der Kommunen für ihre eigenen Angelegenheiten, abzubauen. Während man sich an die wirklichen Ursachen der Ängste nicht heranwagt.

Absurd sind diese Heimat-Investitionen, weil das, was die unzufriedenen Verunsicherten vermissen, den Staat so gut wie gar kein zusätzliches Geld kosten würde. Die Ängste um Heimatverlust sind nicht mit staatlichen Investitionen in Infrastrukturen zu besänftigen, sondern durch relativ ausgabenneutrales staatliches Handeln. Konkret: Gesetzgeber und Regierende müssen den existierenden Institutionen die Möglichkeit geben, die Kontrolle über die wesentlichen Elemente der Staatlichkeit zurück zu gewinnen.

Gefragt ist nicht der Staat als Investor und Versorger, sondern in seiner konservativen Funktion als Bewahrer und Beschützer des Bestehenden. Wie ihre Heimat zu gestalten ist, kann der Staat den Bürgern getrost weitgehend selbst überlassen, wenn er ihnen Schutz und Sicherheit bietet.

Für die CDU wäre das eigentlich eine angemessene Aufgabe – falls sie sich noch auf ihr konservatives und ordoliberales Erbe besinnen kann. In den letzten Tagen hat die Bundeskanzlerin wieder einmal Ludwig Erhard erwähnt. „Den brauchen wir auch im 21. Jahrhundert", sagte sie beim politischen Aschermittwoch. Da hat sie recht.

Allerdings hätte der vermutlich nicht viel Freude an diesem Koalitionsvertrag, der vor allem wachsende Staatsausgaben und gefühlige Worte enthält. „Maßhalten!“ war die zentrale Forderung Erhards in seinen späten Jahren. Die Vorstellung Erhards und der anderen ordoliberalen Vordenker vom Staat bleibt auch im Zeitalter der Migration und des Heimatverlusts aktuell:  der Staat als Ordnungsgeber und Freiheitsbewahrer – und nicht als ein mit Steuergeld (und warmen Worten) aufgeblähter Wohltäter.

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