Knauß kontert

Herdentiere gefährden die Freiheit der Wissenschaft

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Ein wachsender Konformitätsdruck gefährdet die Freiheit der Wissenschaft. Gerade unter Ökonomen fehlt der Mut zum Widerspruch gegen herrschende Meinungskartelle.

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Quelle: Getty Images

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat „uns“ neulich aufgefordert, „mutig“ zu sein. Leider haben wir solche Aufforderungen offenbar nötig. Steinmeiers Vorgänger Joachim Gauck hatte „Freiheit“ ins Zentrum seiner Reden gestellt. Freiheit ist eine öffentliche Angelegenheit, Mut dagegen ist eine persönliche Tugend. Dennoch gehören beide zusammen, denn um die Freiheit zu bewahren, ist Mut notwendig. 

Als WirtschaftsWoche-Redakteur vergisst man das nicht, weil auf dem Teppichboden in unserer Redaktion die berühmten Worte des athenischen Staatsmannes Perikles in Endlosschleife stehen: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“

Besonderen Mangel an Mut muss man derzeit im Wissenschaftsbetrieb feststellen. „Jede konstruktive Auseinandersetzung wird bereits im Kern erstickt. Statt Aufbruch und Neugier führt das zu Feigheit und Anbiederung“, stellte vor wenigen Tagen Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands fest. Er sah sich dadurch genötigt, diese Selbstverständlichkeit auszusprechen: „Konkurrierende Meinungen müssen an der Universität respektiert und ausgehalten werden.“

In keinem sozialen System ist Freiheit so unbedingt notwendig wie in der Wissenschaft. Die in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschriebene Wissenschaftsfreiheit ist aber nur eine Fassade, wenn es Wissenschaftlern an Mut fehlt, sich diese Freiheit immer wieder zu nehmen. Das bedeutet: zu veröffentlichen, was andere nicht veröffentlicht sehen wollen.

Das ist immer unbequem, manchmal sogar mit persönlichen Risiken verbunden. In der akademischen Herde mit zu blöken, ist dagegen bequem und im Zweifelsfalle der Karriere zuträglich.

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Was dem blühen kann, der aus der Reihe tanzt und seine Freiheit als Wissenschaftler einfordert, musste Jörg Baberowski, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Humboldt Universität, erfahren. Er hat im September 2015 den willkommenskulturellen Konsens durch Kritik an der Moralisierung und Konzeptlosigkeit der Politik gestört. Dafür und für seine vergleichenden Forschungen über die Gewaltgeschichte der Sowjetunion wird er von Anhängern einer trotzkistischen Polit-Sekte namens „International Youth and Students for Social Equality“ mit einer Diffamierungskampagne verfolgt. Seine Lehrveranstaltungen werden gestört, man beschimpft ihn als „rechtsradikal“. Diese Denunzianten sind ganz offensichtliche Spinner.

Dennoch hat sich die Führung der Humboldt-Universität sich erst nach langem Schweigen zu ihrem Professor bekannt. Erst beschämend spät nahmen ihn jetzt auch einige Historikerkollegen in Schutz. Vermutlich war dafür der Umstand entscheidend, dass die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und andere Medien prominent über Baberowskis Fall berichteten und das Landgericht Köln vor wenigen Tagen die Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte feststellte.   

Herdentrieb der Ökonomen

Auch in der Wirtschaftswissenschaft ist die Neigung zum akademischen Herdenbetrieb stark. Schon länger und noch ausgeprägter als andere Disziplinen wird die Ökonomik von Paradigmen beherrscht, also von hermetischen Glaubenssätzen, die nicht mehr hinterfragt werden dürfen.

In der gegenwärtigen Ökonomik gehört dazu zum Beispiel das Paradigma von der unbedingten Notwendigkeit und unbeschränkten Machbarkeit von Wirtschaftswachstum. Darüber nachzudenken, ob Wachstum angesichts der ökologischen Beschränkungen und sozialen Folgeschäden in entwickelten Ländern überhaupt länger anzustreben sei, kann man keinem jungen Ökonomen raten, der in der Wissenschaft, der Wirtschaft oder der Politik Karriere machen will.

Abzuraten ist karrierewilligen, jungen Ökonomen aus demselben Grund auch die skeptische Infragestellung des Paradigmas, dass alles wirtschaftliche Handeln rational sei. Dabei belegt schon die Existenz von Spielbanken oder der Verkaufspreis von Rolex-Uhren die Falschheit dieser Grundannahme.

Auch die Behauptung, dass alle Verbraucher danach streben, ihren Nutzen zu maximieren, ist völlig unbelegbar und deswegen nach Karl Poppers „Logik der Forschung“ als unwissenschaftlich entlarvt. Trotzdem ist sie Grundlage der aktuell akzeptierten ökonomischen Theorien.

Es erfordert keine besondere intellektuelle Brillanz, diese und andere ökonomischen Paradigmen zu entzaubern. Das ist auch schon geschehen. Aber die meisten Angehörigen der Ökonomenherde bringen den Mut nicht auf, diesen Widerspruch gegen die mächtigen Leithammel zu vertreten. Denn das bedeutet meist: keine Aussicht auf die renommierte Professur oder den Posten in der Kommission.

Solcher Mut ist von einzelnen Nachwuchsforschern, die viel zu verlieren haben, kaum zu erwarten. Bei verbeamteten Professoren ist das anders zu bewerten: Wer aus intellektueller Trägheit oder Scheu vor schiefen Blicken mit der Herde den Holzweg entlang trabt, verletzt die Wissenschaftsfreiheit. Denn die ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verpflichtung.

Diese Ökonomen haben unsere Welt geprägt
Korekiyo Takahashi Quelle: Creative Commons
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Thorstein Veblen Ökonom Quelle: Creative Commons

Der Konformitätsdruck in der Wissenschaft und der gesamten Gesellschaft hat viele Ursachen. Nicht zuletzt wohl die korrumpierende Wirkung der Macht, die jedes Paradigma denen verleiht, die die Herde mit dessen Hilfe hüten. Entscheidend für diejenigen, die unter diesem Konformitätsdruck leiden, ist aber: Er nimmt in dem Maße ab, wie die Zahl und die Entschlossenheit der Mutigen steigt, die sich ihm nicht beugen. Feigheit macht Konformitätsdruck erst möglich.

Karl Popper hat nicht zufälligerweise sowohl über die Grundlagen der freien Wissenschaft als auch über die „offene Gesellschaft“ wegweisende Bücher geschrieben. Beides gehört eben zusammen. Und beides ist nichts für Schafe und Feiglinge. Die Worte des Perikles, über die wir als WirtschaftsWoche-Redakteure alltäglich schreiten, und die Popper ausführlich zitierte, waren Teil einer Trauerrede auf Soldaten, die für Athens Freiheit gefallen waren. Sie sind nach 2500 Jahren so aktuell wie damals.

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