Knauß kontert

Herdentiere gefährden die Freiheit der Wissenschaft

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Herdentrieb der Ökonomen

Auch in der Wirtschaftswissenschaft ist die Neigung zum akademischen Herdenbetrieb stark. Schon länger und noch ausgeprägter als andere Disziplinen wird die Ökonomik von Paradigmen beherrscht, also von hermetischen Glaubenssätzen, die nicht mehr hinterfragt werden dürfen.

In der gegenwärtigen Ökonomik gehört dazu zum Beispiel das Paradigma von der unbedingten Notwendigkeit und unbeschränkten Machbarkeit von Wirtschaftswachstum. Darüber nachzudenken, ob Wachstum angesichts der ökologischen Beschränkungen und sozialen Folgeschäden in entwickelten Ländern überhaupt länger anzustreben sei, kann man keinem jungen Ökonomen raten, der in der Wissenschaft, der Wirtschaft oder der Politik Karriere machen will.

Abzuraten ist karrierewilligen, jungen Ökonomen aus demselben Grund auch die skeptische Infragestellung des Paradigmas, dass alles wirtschaftliche Handeln rational sei. Dabei belegt schon die Existenz von Spielbanken oder der Verkaufspreis von Rolex-Uhren die Falschheit dieser Grundannahme.

Auch die Behauptung, dass alle Verbraucher danach streben, ihren Nutzen zu maximieren, ist völlig unbelegbar und deswegen nach Karl Poppers „Logik der Forschung“ als unwissenschaftlich entlarvt. Trotzdem ist sie Grundlage der aktuell akzeptierten ökonomischen Theorien.

Es erfordert keine besondere intellektuelle Brillanz, diese und andere ökonomischen Paradigmen zu entzaubern. Das ist auch schon geschehen. Aber die meisten Angehörigen der Ökonomenherde bringen den Mut nicht auf, diesen Widerspruch gegen die mächtigen Leithammel zu vertreten. Denn das bedeutet meist: keine Aussicht auf die renommierte Professur oder den Posten in der Kommission.

Solcher Mut ist von einzelnen Nachwuchsforschern, die viel zu verlieren haben, kaum zu erwarten. Bei verbeamteten Professoren ist das anders zu bewerten: Wer aus intellektueller Trägheit oder Scheu vor schiefen Blicken mit der Herde den Holzweg entlang trabt, verletzt die Wissenschaftsfreiheit. Denn die ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verpflichtung.

Diese Ökonomen haben unsere Welt geprägt
Korekiyo Takahashi Quelle: Creative Commons
Korekiyo Takahashi Quelle: Creative Commons
János Kornai Quelle: Creative Commons
Lorenz von Stein Quelle: Creative Commons
Steuererklärung Quelle: AP
Mancur Olson Quelle: Creative Commons
Thorstein Veblen Ökonom Quelle: Creative Commons

Der Konformitätsdruck in der Wissenschaft und der gesamten Gesellschaft hat viele Ursachen. Nicht zuletzt wohl die korrumpierende Wirkung der Macht, die jedes Paradigma denen verleiht, die die Herde mit dessen Hilfe hüten. Entscheidend für diejenigen, die unter diesem Konformitätsdruck leiden, ist aber: Er nimmt in dem Maße ab, wie die Zahl und die Entschlossenheit der Mutigen steigt, die sich ihm nicht beugen. Feigheit macht Konformitätsdruck erst möglich.

Karl Popper hat nicht zufälligerweise sowohl über die Grundlagen der freien Wissenschaft als auch über die „offene Gesellschaft“ wegweisende Bücher geschrieben. Beides gehört eben zusammen. Und beides ist nichts für Schafe und Feiglinge. Die Worte des Perikles, über die wir als WirtschaftsWoche-Redakteure alltäglich schreiten, und die Popper ausführlich zitierte, waren Teil einer Trauerrede auf Soldaten, die für Athens Freiheit gefallen waren. Sie sind nach 2500 Jahren so aktuell wie damals.

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