Knauß kontert

Integration durch Bildung wird schwieriger

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Wenn man ein Volk von Nazis zu demokratischen Pazifisten erziehen konnte, müsste man doch auch Einwanderer zu „neuen Deutschen“ machen können. Vielleicht. Doch der Hoffnung auf Integration durch Bildung stehen widrige Umstände entgegen.

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Welche Nazi-Wörter uns im Alltag begleiten
SonderbehandlungEine Sonderbehandlung zu erfahren, hat einen positiven Klang, jemandem wird etwas „besonderes“ zuteil, man ist damit selbst etwas „Besonderes“. Mit zahlreichen „Sonder"-Begriffen wollte auch die SS ihren Taten einen verharmlosenden, beschönigenden Schleier geben: Wer bei der SS eine „Sonderbehandlung“ erfuhr, wurde umgebracht. Das Bild zeigt den Reichsführer-SS, Heinrich Himmler. Quelle: AP
Mädel„Mädels!“ Dieser saloppe Ausruf erlebt eine Renaissance: Ob unter jungen Frauencliquen, die feiern gehen, oder den Kandidatinnen von Heidi Klums „Germany’s Next Topmodel“. Der eigentlich antiquierte Begriff Mädel ist wieder üblich geworden – und damit die unter Nazis gängige Bezeichnung für jugendliche und junge Frauen. Der „Bund deutscher Mädel“ war 1944 zahlenmäßig die größte weibliche Jugendorganisation der Welt. Das Wort wurde von den Nazis derart überstrapaziert, dass es 1957 in das „Wörterbuch des Unmenschen“  von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm Süskind aufgenommen wurde. Quelle: Bundesarchiv, Bild 133-237, CC-BY-SA
AnschlussDer Nationalsozialismus wollte sich modern und fortschrittlich geben. Damals der letzte Schrei: Die sich immer weiter verbreitende Elektrotechnik. Aus diesem Bereich bedienten sich die Nazis gerne mit ihren Bezeichnungen – unter anderem „Anschluss“: Etwa für den Anschluss – oder besser gesagt die Übernahme – Österreichs, des Sudetenlands, sowie des restlichen Tschechiens. Auch bei mit dem Begriff „Gleichschaltung“ bedienten sich die Nationalsozialisten an der Elektrotechnik. Damit meinten sie die komplette Anpassung des Staates an die Strukturen der NSDAP, die ab 1933 fortschreitend das politische und gesellschaftliche Leben infiltrierte. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0922-500, CC-BY-SA
MischeheWenn zwei Menschen aus unterschiedlichen Nationen oder Bevölkerungsgruppen heiraten, spricht man noch heute von einer „Mischehe“ – ein Begriff, den die Nationalsozialisten geprägt haben. Quelle: Jens Liebenau, gemeinfrei
EndlösungIn scheinbar endlosen Diskussionen, wünscht sich manch einer endlich zur Endlösung zu kommen. In der Weimarer Republik war „Endlösung“ einer gängiger Begriff – auch unter Nationalsozialisten. Schon 1881 forderte der Antisemit Eugen Dühring die „endgültige Lösung der Judenfrage“. Die Endlösung wurde schließlich zu dem Begriff, den die Nationalsozialisten immer wieder für ihren Völkermord an den Juden beschönigend runterbeteten. Quelle: ap
Gestapo-MethodenWenn von Spionage die Rede ist, von  brutalem Vorgehen und vor allem von willkürlichem Vorgehen seitens der Staatsgewalt, dann spricht man auch heutzutage von Gestapo-Methoden. Damit bezieht man sich auf die Geheime Staatspolizei der Nazis, die sie nur kurz „Gestapo“ genannt haben. Das Bild zeigt das ehemalige Hauptquartier des Geheimdienstes. Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-16180, CC-BY-SA
AusmerzenImmer wieder bedienten sich Nationalsozialisten an negativ behafteten Begriffen aus der Biologie. Dabei ging es ihnen vor allem um jene, die sich um „Parasiten“ und „Schädlinge“ drehten, die es „auszumerzen“ und „auszurotten“ galt. Quelle: AP

„Wie die Integration von Zugewanderten durch Bildung möglich wird“. So lautete der Titel der jüngsten Tagung des Bildungspolitischen Forums. Diese Botschaft prägt den gesamten Integrationsdiskurs in Deutschland: „Wir schaffen das“ - mit Bildung. „Die neuen Deutschen“, die das Professoren-Ehepaar Herfried und Marina Münkler in ihrem viel besprochenen Buch als künftiges Staatsvolk präsentieren, sollen das Ergebnis eines Bildungsprozesses sein.  Davon gehen zumindest die mit der gegenwärtigen Politiklinie einverstandenen „alten“  Deutschen aus.

Der im europäischen Vergleich besondere Integrationsoptimismus in Deutschland und die Hoffnung auf Bildung und Erziehung hat vermutlich mit spezifisch deutschen historischen Erfahrungen zu tun. Zunächst einmal der Erfolgsgeschichte der humboldtschen Bildungsidee im 19. und 20. Jahrhundert. Die Qualität der deutschen Schulen und Universitäten war die Grundlage der ökonomischen und politischen Stärke Deutschlands. Aber es kommt noch etwas Entscheidendes hinzu: Als wohl einzige europäische Nation blicken die Deutschen auf die Erfahrung einer erfolgreichen, geglückten „Umerziehung“ zurück.

Im 20. Jahrhundert gab es mehrere Versuche, ganze Völker umzuerziehen. Die Bolschewisten wollten nach 1917 aus russischen, ukrainischen und kaukasischen Bauern ein neues Sowjet-Volk formen. Das ist bekanntlich gescheitert - unter schrecklichen Opfern. Auch andere kollektive Erziehungsprojekte sind mehr oder weniger eindeutig gescheitert.

Definitionen und Zusammenhänge

Nur einem Volk ist das gelungen. Die Umerziehung der Deutschen war eine Erfolgsgeschichte. Sie haben sich nach 1945 zunächst unter dem Zwang der Besatzungsmächte, aber bald aus eigenem Antrieb, einem historisch wohl einmaligen Erziehungsprozess unterzogen. Das ist wohl das größte Wunder der deutschen Nachkriegszeit und mindestens so bedeutend wie das so genannte Wirtschaftswunder. Das Bewusstsein, aus der eigenen Geschichte gelernt und sich im Wesentlichen selbst zu einem anderen, besseren Volk umerzogen zu haben, ist mittlerweile zu einer Quelle des Stolzes geworden.

Die Deutschen hatten allerdings auch nicht wirklich eine Wahl. Dass sie sich ändern mussten, war eine unmissverständliche Lehre aus der ersten Jahrhunderthälfte. Die Niederlage war total. Man konnte sich ihr nicht entziehen. Ebenso wenig wie der Erkenntnis der ungeheuerlichen Verbrechen, die im deutschen Namen begangen worden waren. Die Deutschen mussten sich grundlegend ändern und sie taten es.

Vielleicht ist es eine Folge dieser nationalen Erfolgsgeschichte eines kollektiven Lern- und Erziehungsprozesses, dass die Deutschen nun von den Möglichkeiten kollektiver Erziehung und der Möglichkeit, Menschen zu ändern, ganz besonders überzeugt sind. Wenn man aus einem Volk von Nazis nach zwei Generationen ein Volk von Pazifisten erziehen kann, warum sollte man dann nicht auch aus Millionen von Einwanderern, egal welcher Herkunft, „neue Deutsche“ heranbilden können?

Grundsätzlich mag das tatsächlich möglich sein. Doch die Integrationsrealität zeigt die Widersprüche deutlich auf, die einer Integration durch Bildung und Erziehung entgegenstehen.

Die Digitalisierung schwächt elitäre Erziehungsversuche

Zunächst: Die deutschen Integrationspolitik folgt einem rein ökonomischen Verständnis von Bildung und Integration. Einwanderer, die berufliche Qualifikationen erwerben und am Erwerbsleben einigermaßen erfolgreich teilhaben, gelten demnach meist schon als integriert. Dass man auch mit Studienabschluss und einem festen Einkommen in einer Parallelgesellschaft leben kann, wird oft ignoriert. Vergessen wir nicht: Mohamed Atta, einer der Attentäter vom 11. September 2001, war erfolgreicher Student in Hamburg. Zu studieren und Geld zu verdienen macht nicht immun gegen Islamismus oder die Ablehnung der freien Gesellschaft.

Der Islamologe Bassam Tibi sieht in der „halben Moderne“, also der oberflächlichen Aneignung von Technik bei Ablehnung der dahinter stehenden Kultur von individueller Freiheit und Wissenschaft, den Grund für die Misere der islamischen Gesellschaften. Und zwar sowohl in den Herkunftsländern, als auch in den Einwanderungsländern. Man bewundert moderne Technik, kommuniziert mit dem Smartphone, sehnt sich nach materiellem Reichtum, kann aber an den dahinter stehenden Innovationen und Wertschöpfungen nicht teilhaben, weil man „gedanklich immer noch im zwölften Jahrhundert steckt“, wie der pakistanische Atomphysiker Pervez Hoodbhoy einmal sagte. Mit der Folge eines tief empfundenen Gefühls des Scheiterns und Nichtdazugehörens.

Nötig wäre es also, „Integration durch Bildung“ anspruchsvoller zu definieren: als Aneignung der kulturellen Moderne samt der dahinter stehenden Kultur von individueller Freiheit und Wissenschaft - und nicht nur ihrer technisch-ökonomischen Methoden. Davon ist aber weder in Integrationsgesetzen noch bei Bildungsforen die Rede. Der politische Mut fehlt.

Dazu kommt: Die Digitalisierung beschränkt die Einflussmöglichkeiten von Erziehungseliten extrem. Die Lehrmeister der Deutschen in den Nachkriegsjahrzenten – die Etablierten in Politik, Medien und Wissenschaft – haben durch das Internet ihr Monopol an den Kommunikationsmitteln verloren. Ein Syrer oder Pakistaner in Deutschland kann dank seines Smartphones völlig unabhängig von deutschen Leitmedien kommunizieren – ebenso wie ein Pegida-Demonstrant.

Erziehung und Bildung funktionieren nur mit der Autorität eines Lehrers. Aber die Digitalisierung ist antiautoritär. Sie hat die Völker „kommunikativ in die Selbständigkeit entlassen“, wie Gabor Steingart feststellt. Populisten und Pegidisten sind dank Facebook und alternativer Medien ebenso schwer erziehbare Kinder der Digitalisierung wie durch Youtube-Videos „selbstradikalisierte“ Islamisten. Und die Versuche des Bundesjustizministers "Hass" im Internet zu bekämpfen sind ebenso hilflose Erziehungsversuche, wie die Bildchen in Schwimmbädern, die arabischstämmigen Männern klarmachen sollen, dass sie Mädchen nicht an den Po fassen dürfen.

Der feste Glaube der Deutschen an Bildung und die Erziehbarkeit der Menschen, der in der eigenen nationalen Geschichte wurzelt, wird unter all diesen Bedingungen in den kommenden Jahrzehnten auf eine schwere Probe gestellt werden.

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