Knauß kontert Merkel, Schulz und die "Feier der Demokratie"

Wahlkampf: Die Feierstunde der Nichtigkeiten. Quelle: REUTERS

Angel Merkel offenbart in Reaktion auf den jüngsten Anschlag eine seltsame Sicht auf den Sinn von Wahlen. Martin Schulz und sie zeigen eine bedenkliche Verachtung gegenüber den Bürgern.

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Manchmal versucht sich Angela Merkel an großen Worten, am Pathos. Neben den üblichen Betroffenheitsbekundungen nach den jüngsten Terroranschlägen in Spanien sprach sie davon, dass man den Wahlkampf nun zwar etwas drosseln, aber nicht unterbrechen werde, denn der sei „eine Feier der Demokratie“ und damit „eine Feier der Freiheit“.  

Diese apodiktische Behauptung offenbart ihre Strategie zur Verteidigung der Macht in den bevorstehenden Bundestagswahlen. Das Feiern von Festen ist in seinem Ursprung ein religiöser, sakraler Akt. Sinn und Zweck ist die Verfestigung der Gemeinschaft durch ein immer gleiches Ritual – mit einem immer gleichen Ende. Kurz: Eine Feier ist so ziemlich das genaue Gegenteil von dem, was demokratische Wahlen sein sollten – nämlich ein Wettstreit um Positionen und Macht, mit grundsätzlich offenem Ergebnis.

Natürlich geht es bei demokratischen Wahlen gerade eben nicht darum irgendetwas Hochheiliges andächtig zu feiern und sich ergriffen „Friede sei mit Dir“ zu sagen, wie bei einem Gottesdienst. Im Gegenteil: Freie Wahlen in demokratischen Staaten beruhen darauf, dass man - wie der Staatsrechtler Hermann Heller schrieb - zwar von einem Staatsvolk als „Entscheidungs- und Wirkungseinheit“ ausgeht, aber zugleich von dessen „notwendig antagonistischer Gesellschaftsstruktur“. Die Wahlen legen die Konflikte offen, um sie dann von den gewählten Repräsentanten im parlamentarischen Verfahren friedlich zu lösen oder wenigstens so zu behandeln, dass alle damit leben können.

Einen Wahlkampf wie den gegenwärtigen hätte sich Hermann Heller (1891-1933) wohl nicht vorstellen können. Einen nämlich, der die Bezeichnung „Kampf“ nicht rechtfertigt. Einen nämlich, in dem über das, was die Staatsbürger am meisten interessiert, nicht gestritten wird. In dem, vereinfacht gesagt, zwar der Wille zur Macht bei den Kandidaten, aber nicht mehr der Wille zur Repräsentation der Interessen der Staatsbürger erkennbar wird.

Und das ausgerechnet in Zeiten, die sowohl innerhalb Deutschlands, also auch in Europa und dem Rest der Welt durch Konflikte, Krisen und Probleme gekennzeichnet sind, an deren Bedeutsamkeit niemand zweifelt: die weitgehend unkontrollierte Migration, das drohende Scheitern der europäischen Währung oder gar der EU insgesamt - und nicht zuletzt die aus diesen und anderen ökonomischen und technologischen Entwicklungen drohenden sozialen Verwerfungen.

Doch ein Blick auf die Wahlplakate offenbart das reine Elend: Ihre sachlichen Aussagen sind, wenn überhaupt erkennbar, von geradezu deprimierender Leere. Das offizielle CDU-Wahlkampfmotto ist das Meisterstück dieser Entpolitisierung: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Merkel wirbt nicht um den Rückhalt für politische Richtungsentscheidungen. Sie lullt den Wähler ein mit nebulösen Gefühlsäußerungen. Diese Abwesenheit von politischer Konfrontation und die Langeweile der Wahlreden- und Interviews ist vermutlich das, was sie als „Feier der Demokratie“ interpretiert.

Martin Schulz kämpft gegen eine Gespenster-CDU

 

Wie soll man einen politischen Diskurs führen mit einer Frau, die nie sagt, was sie eigentlich will und wofür sie steht? Von ihrem Herausforderer sollte man eigentlich erwarten, dass er das Spiel verdirbt. Was könnte wohl seine einzige Chance sein, wenn nicht dies: Die Merkelsche Nebelwerfer-Taktik durch furchtlose Beleuchtung der Wirklichkeit zu kontern. Ganz wie es der sozialdemokratische Urvater Ferdinand Lasalle empfahl: „Dies ist die Macht des Aussprechens dessen, was ist. Es ist das gewaltigste politische Mittel! … Alle große politische Action besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist."

Aber was tut Schulz? Auf dem derzeit zentralen, wohl alle Deutschen umtreibenden Politikfeld, der Einwanderung, unterscheidet sich der Spitzenkandidat der SPD von den Positionen der Kanzlerin nur in Details, die kaum der Rede wert sind. In seiner groß angekündigten Rede über Integration in der vergangenen Woche fordert Martin Schulz am Schluss, "für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft gemeinsam [zu] kämpfen ... Ohne ... Illusionen". Dabei wimmelt es in der Rede des Parteivorsitzenden und Möchtegern-Kanzlers von Illusionen. Das betrifft nicht nur die Einwanderungswirklichkeit, sondern auch den politischen Gegner. Vor allem, wenn er „konservativen Politikern“ (er meint offenbar die CDU und CSU) vorwirft, die „Realität“ zu „negieren“, nämlich dass wir eine „Einwanderungsgesellschaft“ seien.

Wo sind denn „diese konservativen Politiker“? Schulz wünscht sich offenbar einen Gegensatz der Vergangenheit zurück. Er würde wohl gerne gegen eine Union von Dregger und Strauß antreten. Schulz muss sich eine CDU herbeireden, die es nicht mehr gibt, um dann als vermeintliches Gegenmodell seine SPD-Positionen („bessere Chancen, mehr Beteiligung und den Abbau der Diskriminierung“) zu präsentieren – obwohl die kaum von denen der wirklichen, heute existierenden Merkel-CDU zu unterscheiden sind.

Die Urlaubsziele der Politiker
„Die Bundeskanzlerin ist immer im Dienst“, versichert Regierungssprecher Steffen Seibert auf die Frage nach den Urlaubsplänen Angela Merkels. Sie werde aber „natürlich versuchen, ein paar Tage auszuspannen“, räumt Seibert noch ein. Das Reiseziel der CDU-Chefin will er allerdings nicht offiziell preisgeben. Nach Informationen der „Bild“-Zeitung will Merkel mit ihrem Ehemann Joachim Sauer aber wieder Wanderurlaub in den Südtiroler Bergen machen. Eine Überraschung wäre das nicht: In den vergangenen Jahren war sie immer wieder in Sulden am Ortler. Darüber hinaus wird die Kanzlerin an diesem Dienstag (25.) wie üblich beim Auftakt der Wagner-Festspiele in Bayreuth erwartet - auf dem Grünen Hügel ist die CDU-Vorsitzende Stammgast. Zeit dafür hat Merkel jedenfalls, denn die sonst übliche Kabinettssitzung ist für diese Woche abgesagt. Quelle: AP
Ob die Kanzlerin in Südtirol Grünen-Chef Cem Özdemir über den Weg läuft? Der will mit seiner Familie ebenfalls dort wandern. Dann könnten sie sich auch gleich noch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender treffen. Denn diese fahren ebenfalls nach Südtirol - in die Dolomiten. Wandern ist offenbar angesagt bei Deutschlands Spitzenpolitikern. Und unterhalb der mächtigen Gipfel des Weltnaturerbes Dolomiten gilt es als besonders schön. Quelle: dpa
Özdemirs Co-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt hat den Urlaub schon hinter sich und zeigt sich zur Zeit ordentlich gebräunt. Sie war eine Woche auf der Ostsee segeln. Auch die beiden Spitzenkandidaten der Linken gehen arbeitsteilig vor: Dietmar Bartsch hat sich bereits wieder in den Wahlkampf geworfen, Sahra Wagenknecht entspannt erstmal in der Bretagne, um dann durchstarten zu können. Quelle: dpa
FDP-Spitzenmann Christian Lindner reist mit seiner Frau und einigen Freunden nach Mallorca - ein Ziel, zu dem es ihn immer wieder zieht. „Ich liebe das Meer, die Küche, ich treffe hier sehr viele Freunde und Bekannte“, erzählte er vor einem Jahr freimütig der „MallorcaZeitung“ und bezeichnete die Insel als seine „Seelen-Tankstelle“. Quelle: dpa
Aber nicht jeder Politiker geht im Sommer auf große Reise. Von SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz heißt es, er habe wegen des Wahlkampfs keine Zeit für Urlaub. Er will dem Vernehmen nach nur zwischendurch ein paar Tage im heimischen Würselen ausspannen. Quelle: dpa
Sein Parteifreund Sigmar Gabriel war immerhin schon an der Nordsee. Diesen Urlaub hat der Außenminister allerdings wegen der Türkei-Krise unterbrochen. Für Gabriel und seine Familie ist das keine neue Erfahrung: Weil ein Gericht vor einem Jahr seine Ministererlaubnis zur Edeka/Tengelmann-Fusion gekippt hatte, unterbrach der damalige Bundeswirtschaftsminister schon 2016 den Sommerurlaub auf der Insel Amrum. Nicht nur die Kanzlerin ist „immer im Dienst“. Quelle: dpa

Beide, Merkel und Schulz, sind sich nämlich vor allem in einer Sache einig, die angesichts der Migrationswirklichkeit von grundlegender Bedeutung ist. Sie meinen offenbar, dass die fundamentale Unterscheidung zwischen Staatsbürger, also Staatsvolk, und allen anderen Menschen verwischt werden sollte. Beide, Merkel und Schulz und generell viele Spitzenpolitiker, sprechen seit einiger Zeit in auffälliger Weise nicht mehr von „den Deutschen“, aber auch nicht von „Bürgern“, sondern unbestimmt von „den Menschen“. In einem ihrer wohl bleibenden Zitate unterschied Merkel dabei zwischen denen, „die schon länger hier leben“, und denen, „die neu hinzugekommen sind“.



In seiner Berliner Integrationsrede betonte Schulz, er „möchte der Kanzler aller Menschen in Deutschland sein“ und mache „keine Unterschiede wie die Unionsparteien zwischen … Staatsbürgern und denjenigen, die den deutschen Pass nicht besitzen“. Wobei er das Wort Staatsbürger, das für alle politische und Demokratietheorie von zentraler und positiver Bedeutung ist, betont verächtlich aussprach. Der „deutsche Pass“ sei, so Schulz, nur „ein wichtiges Zeichen, für die Menschen, die zu unserem Land dazugehören möchten“.  

Wie auch immer diese Wahlen ausgehen werden, egal ob weiterhin Merkel oder demnächst Schulz Deutschland regieren wird: Es wird ein Mensch sein, der zwar schon länger hier lebt, dem dabei aber offenbar das Bewusstsein dafür abhanden gekommen ist, dass ein demokratischer Staat auf Staatsbürger angewiesen ist, für die ihre Staatsbürgerschaft mehr ist als ein „Pass“. Und vor allem das Bewusstsein dafür, dass Wahlen keine Feierstunde der Parteienherrschaft sind, sondern ein Bürgerrecht darauf, dass ihre Interessen wahrgenommen werden.

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