Knauß kontert

Sebastian Kurz: Der Anti-Merkel

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Österreich reagiert national und pragmatisch

Überall in Europa führten die Merkelsche Willkommenspolitik und die absehbaren extremen Belastungen Deutschlands durch faktisch unbegrenzte Armutszuwanderung zur Stärkung jener politischen Kräfte, die das „Eigene“ vor den Zumutungen der Globalisierung zu schützen versprachen.

Merkels forcierter Universalismus rief den Widerstand des Partikularismus auf den Plan – auch im eigenen Land. Großbritannien bekräftigte das besonders wirkungsvoll mit dem Brexit-Referendum. Andere Staaten, vor allem Frankreich, zogen ihre Lehren eher stillschweigend: Kein offener Widerspruch – weder von Francois Hollande noch von Emmanuel Macron –, aber nicht die geringsten Anstalten, das eigene Land ebenso attraktiv für Flüchtlinge zu machen wie Deutschland.

Die Regierungspolitik der meisten westlichen Länder nimmt den Fuß vom universalistischen Gaspedal und tritt auf die partikulare Bremse. Ob mit direkter Beteiligung der Populisten oder nur unter dem Eindruck ihrer wachsenden Stimmenanteile. Die wichtigsten Methoden sind in Washington dieselben wie in Wien: Senkung der Steuern für heimische Unternehmen, um heimische Arbeitsplätze zu bewahren bei gleichzeitiger Minderung der Attraktivität für Armutszuwanderer.

In Österreich, zunächst unter Werner Faymann noch Unterstützer Merkels, war und ist die Reaktion auf die Erfahrung der Flüchtlingskrise dagegen eine besonders dramatische Kehrtwende. In seiner ersten Rede im Amt kündigte Kurz an, dass Österreich die Geldleistungen für Asylbewerber und –berechtigte stark kürzen werde. Die für inländische Empfänger übrigens auch.

Merkels fatalstes Defizit

Die neue Regierung Österreichs reagiert also auf übermäßige Belastungen durch Zuwanderung nicht wie Merkel universalistisch („Fluchtursachen“ in den Herkunftsländern beseitigen), sondern national und pragmatisch. Sie kurbelt hierdurch einen verdeckten, vor allem in Deutschland verleugneten Negativ-Wettbewerb unter allen wohlhabenden Ländern an; nämlich den um die geringste Attraktivität für unerwünschte Armutszuwanderung. Dieser Wettbewerb ist der real existierende und einzig funktionierende Verteilmechanismus in Europa. Das nicht einzusehen, gehört zu Merkels fatalsten Defiziten.

Was unterscheidet das politische Österreich so grundlegend von Deutschland, so dass dort in weniger als zwei Jahren eine derartige Kurskorrektur stattfindet? Die Sozialstruktur, die Mentalitäten, die öffentliche Debatte, das politische System – alles was Gesellschaften und Staaten ausmacht, ist extrem ähnlich.

Entscheidend sind zwei Unterschiede. Zunächst: Die im Vergleich zur deutschen AfD eben doch gemäßigten „Freiheitlichen“ unter Christian Strache sehen sich nicht als radikale System-Opposition, sondern sind regierungswillig. Und dann ist es die Existenz einer politischen Ausnahmeerscheinung namens Sebastian Kurz. 

Fragt man Unionspolitiker, die durchaus nicht mit ihrer Chefin einverstanden sind, danach, warum sie sie dann immer noch stützen, antworten sie gewöhnlich mit einer jämmerlichen Gegenfrage: Wer soll es denn sonst machen? Gäbe es in den deutschen Unionsparteien einen Mann oder eine Frau wie Kurz, der den Willen zur Macht hätte, wäre Merkel wohl schon jetzt nicht mehr Kanzlerin.

Da es einen solchen Mann oder eine solche Frau nicht gibt, weil die CDU nicht nur programmatisch, sondern auch personell völlig verödet ist, kann Angela Merkel das Ende ihrer Ära noch hinausschieben. Wie es kommt und wer es herbeiführt, bleibt fraglich. Dass es nahe ist, nicht.

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