Knauß kontert
Schulz-SPD ist Europa-blau. Quelle: Illustration

Schulz, die SPD und eine Politik gegen die eigene Klientel

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Die SPD war mal die Partei der kleinen Leute. Mit Schulz‘ EU-Fanatismus macht sie unmittelbar Politik gegen ihre einstige Anhängerschaft. Sie scheint nicht überleben zu wollen.

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Die deutsche Sozialdemokratie will nun also doch noch mal regieren. Was haben Schulz und seine treu zu ihm stehenden Genossen sich dafür vorgenommen?

Indem sich die Berichterstattung auf die Forderung nach der „Bürgerversicherung“, also der Abschaffung privater Krankenversicherungen, fokussiert, tut sie der Partei einen großen Gefallen. Denn es ist vielleicht das vernünftigste und alt-sozialdemokratischste Ziel der künftigen Regierungspartei.

In seiner Eröffnungsrede zum Parteitag präsentierte Schulz seinen Genossen, Wählern und dem Rest der Republik aber ein anderes, sehr viel wichtigeres Ziel: der vermutlich künftige Vizekanzler und frühere EU-Parlamentspräsident will die „Vereinigten Staaten von Europa“ – mit einer eigenen Verfassung und ohne Staaten, die das nicht wollen. Die sollen die EU lieber verlassen. Im Jahre 2025 (nicht etwa 2050, nein, in sieben Jahren) soll es den europäischen Staat geben.

Die großen Grundsatzprogramme der SPD

Begründung? Schulz: „Lasst uns endlich Mut haben, Europa voranzubringen. Vier weitere Jahre deutsche Europa-Politik à la Wolfgang Schäuble kann sich unser Kontinent nicht leisten.“ Also Leerformeln. Später ergänzt der gelernte Buchhändler noch ein Zitat des englischen Dichters Robert Browning. „Ich wage von Dingen zu träumen, die es niemals gab, und frage: Warum nicht?“

Vielleicht, weil es den eigenen Interessen schadet? Auf so eine Idee scheint in der heutigen SPD niemand zu kommen.

1863, als die Sozialdemokratie noch blutjung und vital war und gebraucht wurde, sagte ihr Gründungsheld Ferdinand Lasalle: „Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen, was ist und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und dem Bemänteln, was ist.“ Nach diesem Maßstab ist die die Schulz-SPD von 2017 eine Inkarnation der Kleingeisterei. Allerdings konnte Lasalle nicht wissen, dass  155 Jahre später gerade mit dem Bemänteln dessen, was ist, Politik gemacht werde. Und man Nachfragen mit „Warum nicht?“ ausreichend beantworten würde.

Die Forderungen der SPD
Europa:Die SPD fordert ein System europäischer Mindestlöhne, eine stärkere Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und Kinderarmut, die Angleichung der Unternehmensbesteuerung und die Austrocknung von Steueroasen. In seiner Parteitagsrede fügte SPD-Chef Martin Schulz noch die Forderung nach einer Umwandlung der Europäischen Union in die Vereinigten Staaten von Europa bis 2025 hinzu. Quelle: dpa
Arbeit:Die Gültigkeit von Tarifverträgen und die Mitbestimmung in Betrieben sollen gestärkt werden. Wer auf eine Teilzeitstelle wechselt, soll ein Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle erhalten. Quelle: dpa
Rente:Eine Solidarrente soll Altersarmut von Menschen verhindern, die ihr Leben lang Vollzeit gearbeitet haben. Quelle: dpa
Bildung:Die SPD fordert gebührenfreie Kitas, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsschulplätze, eine Modernisierung von Schulen und insgesamt mehr Bildungsinvestitionen. Quelle: dpa
Gesundheit:Eine Bürgerversicherung für alle soll das derzeitige System privater und gesetzlicher Krankenversicherungen ersetzen. Quelle: dpa
Flüchtlinge:Ein modernes Einwanderungsrecht soll den Zuzug von Arbeitskräften besser steuern. Eine Änderung des Asylrechts lehnt die SPD ab, ebenso eine Obergrenze für die Aufnahme von Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus soll nicht verlängert werden. Quelle: dpa
Sicherheit:Die SPD fordert mehr Polizei, mehr Kriminalitätsprävention und eine effektivere Strafverfolgung. Quelle: dpa

Die deutsche Sozialdemokratie entstand - Schulz und seine Genossen haben es vielleicht vergessen – nicht als Partei zur Durchsetzung des Guten und der Barmherzigkeit, sondern als politische Interessenvertretung der abhängig Arbeitenden in Deutschland. Ob es noch ein „Proletariat“ gibt hierzulande, kann man bezweifeln. Zur Abschaffung des Elends der einstigen Arbeiterklasse und damit zum inneren Frieden in Deutschland hat die Sozialdemokratie in hohem Maße beigetragen und sich historischen Ruhm erworben. Das waren die alten Sozis vergangener Zeiten, lange, lange vor Schulz und Scholz und Nahles und Schwesig.

Die größte Leistung der alten Sozialdemokraten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert war vermutlich, dass sie sich vom Ziel der Revolution allmählich abwandten und den mühevollen aber letztlich erfolgreichen Weg der Erzwingung sozialer Reformen gingen. Die SPD war spätestens nach dem Abgang der USPD im Ersten Weltkrieg immer eine Kraft des maßvollen Realismus. Man kämpfte vor allem für die Interessen der kleinen Leute in Deutschland.

Davon ist in der Partei von Schulz nicht mehr viel übrig. Der Mann aus Würselen redet zwar davon, das Leben „der Menschen“ zum Besseren zu verändern. Aber was er darunter versteht, ist etwas, das den materiellen Interessen zumindest der so genannten kleinen Leute in Deutschland nicht entgegenkommt.

Unreflektiertheit der ehemaligen Arbeiterpartei

Denn dieses „Voranbringen“ der EU – ob nun nach Emmanuel Macrons Vorschlägen oder nach denen von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker - wird vor allem eines tun: den deutschen Steuerzahler und langfristig auch die künftigen Renten-, Pensions- und Sozialhilfeempfänger zu belasten. Das wird für jeden weiteren finanzpolitischen Vergemeinschaftungsschritt in der EU oder Währungsunion gelten - ob Einrichtung eines in Brüssel zentral verwalteten EU-Währungsfonds (statt unter nationalen Vorbehalten stehendem Euro-Rettungsschirm), ob neuer „Notfallfonds“ (wer wird den wohl zum Großteil füllen sollen?), ob neuer EU-Finanzminister, ob neues EU-Budget mit eigenen neuen Steuereinnahmen.

Dass die deutsche Exportindustrie all die Vorschläge von Macron und Juncker und nun auch das Vereinigte-Staaten-Ziel bejubelt, kann nicht überraschen. Erstaunen sollte allerdings die Unreflektiertheit einer ehemaligen Arbeiterpartei (und aller anderen Parteien ebenso), mit der das kurzfristige Interesse exportorientierter Unternehmen mit „deutschen Interessen“ verwechselt wird.

Der schwache Außenwert des Euro - die D-Mark wäre, so es sie noch gäbe, natürlich viel höher bewertet – führt dazu, dass sich die deutsche Exportwirtschaft weniger anstrengen muss. Klar, das findet sie gut. Bräche der Euro zusammen, wären vermutlich viele Unternehmen, die heute vom Export leben, nicht mehr wettbewerbsfähig. Aber diese Exportgewinne innerhalb der Eurozone sind, wie Daniel Stelter und einige aufrechte Ökonomen nicht müde werden zu betonen, letztlich vor allem Buchgewinne, die die Bundesbank den Unternehmen auszahlt, während sie selbst (und das heißt die deutschen Steuerzahler) nur Forderungen gegenüber den anderen europäischen Notenbanken aufbaut.

Diese so genannten Target-2-Forderungen (etwa 10.000 Euro pro Kopf) wären vermutlich sofort wertlos gegenüber Staaten, die die Währungsunion verließen. Letztlich wird der Gläubiger Deutschland diese und andere Schulden bei den ausländischen Abnehmern seiner Exporte wohl ohnehin nie wirklich eintreiben können. Diese Einsicht aufzuschieben und zu verschleiern, ist wohl eine der stärksten Motivationen für deutsche Euro-Retter.

Aber Macrons oder Junckers Vergemeinschaftungsziele, die deren Freund Schulz so inbrünstig umsetzen möchte, bedeuteten noch weitere Umverteilungen in Richtung der Krisenländer inklusive Frankreichs. Begründet wird das mit Schulzschem Europa-Pathos und dem sozialdemokratischen Heilsbegriff „Solidarität“. Unerwähnt bleibt in diesen Diskussionen nur meist, dass die Deutschen gar nicht so reich sind. Zwar wächst das BIP kräftig und sinkt die Arbeitslosigkeit. Aber die durchschnittlichen Vermögen der Deutschen sind geringer als die der durchschnittlichen Franzosen und Italiener.

CDU macht Druck auf SPD vor ersten Gesprächen

Dass andere europäische Regierungen (und ein italienischer EZB-Präsident) ein Interesse daran haben, bei der Sanierung ihrer strukturellen Haushaltsdefizite die Vermögen ihrer eigenen Bürger zu schonen, wenn sie dafür deutsche Transfers mobilisieren können, ist verständlich. Ebenso verständlich wie Junckers Interesse am Erhalt einer Eurozone, in der er für sein Luxemburg ein gemütliches Plätzchen als Steueroase eingerichtet hat. Unverständlich ist allein der Eifer, mit dem ausgerechnet die Partei, die angeblich für soziale Gerechtigkeit und die Interessen der arbeitenden Bevölkerung eintritt, diese Zahlungen aus dem deutschen Steuersäckel übernehmen will. Sie scheint wild entschlossen, ihre eigene Klientel mit unabsehbaren künftigen Lasten zu beladen.

Ein arbeitender, steuerzahlender, unvermögender künftiger Rentner muss schon sehr selbstlos und idealistisch – oder politisch blind – sein, um dieser Partei noch sein Vertrauen zu schenken. Offenbar will es diese älteste Partei Deutschlands (und Festlandeuropas!) nicht anders.

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