Knauß kontert
Kurz und Merkel Quelle: dpa Picture-Alliance

Sebastian Kurz: Der Anti-Merkel

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

2017 kündigte sich an, was 2018 zur Gewissheit werden dürfte: Angela Merkels Ära endet. Mit Sebastian Kurz' Kanzlerschaft in Österreich beginnt eine neue – als Reaktion auf das, wofür Merkel steht.

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2017 wird aller Voraussicht nach bald im Rückblick als das Jahr gesehen werden, in dem sich in Deutschland das Ende einer politischen Ära ankündigte. Und in Österreich eine neue Ära begann.

Es gibt wohl kaum zwei Staaten auf der Welt, die sich durch gemeinsame Geschichte, Kultur und Sprache so ähnlich sind und so nahe stehen wie Deutschland und Österreich. Das schlägt sich übrigens auch in den besonders engen Wirtschaftsbeziehungen nieder: Österreich importierte 2016 mit seinen nicht einmal neun Millionen Einwohnern fast so viele deutsche Waren und Dienstleistungen (59,8 Milliarden Euro) wie Italien mit seinen fast 60 Millionen Einwohnern (61,3 Milliarden Euro).

Aber politisch, seit Sebastian Kurz Österreichs Bundeskanzler ist, liegen Welten zwischen beiden Ländern. Merkel und Kurz – verschiedener geht es nicht. Ein großer Altersunterschied (mehr als drei Jahrzehnte) und ein völlig anderer Kommunikationsstil müssen natürlich nicht unbedingt politische Diskrepanzen signalisieren. Aber in diesem Fall kommt man kaum umhin, die äußeren Gegensätze wie ein Zeichen für die politischen Gegensätze zu empfinden.

Es geht eben nicht mehr nur um neue Gesichter und Kommunikationsweisen. Kurz' Regierungsantritt steht auch für eine grundlegende Verschiebung der politischen Koordinaten. Für einen Wandel, der längst nicht nur das kleine Österreich betrifft, sondern Europa und den gesamten Westen. In den meisten Ländern Europas und nicht zuletzt in den USA mit dem Wahlsieg Donald Trumps ist er deutlicher vorangeschritten als in Deutschland. Doch spürbar ist er auch hierzulande.

Stabilität oder Machtbesessenheit?

Merkel und die sie tragenden politischen Kräfte innerhalb und außerhalb der Union erscheinen – positiv gewendet – als Bollwerke der Stabilität. Aus anderer Perspektive wirken die Kanzlerin und ihre Getreuen nicht erst seit dem Platzen der Jamaika-Träume als müde, innerlich morsch, aber anhaltend machtverliebt.

Diese 10 Politiker werden 2018 wichtig
Julia Klöckner Quelle: dpa
Daniel Günther, CDU Quelle: dpa
Michael Kretschmer, CDU Quelle: dpa
Lars Klingbeil, SPD Quelle: dpa
Katarina Barley, SPD Quelle: dpa
Jörg Meuthen, AfD Quelle: dpa
Marco Buschmann, FDP Quelle: dpa

Diesen Wandel, den Kurz personifiziert und der in anderen Ländern in ganz anderen Varianten auftritt, könnte man als mehr oder weniger offene Korrektur des bis vor einiger Zeit kaum angefochtenen Generalkurses Richtung Universalismus zusammenfassen. Dieser Kurs ist spätestens seit Ende des Zweiten Weltkrieges gesetzt.

Der immer stürmischere Globalisierungsdrang der Wirtschaft hatte die politischen Klassen in Europa und dem Westen davon überzeugt, dass ihre Aufgabe vor allem darin bestehe, Staatenmanagement im Sinne von „Überwindung“ von Grenzen jeglicher Art im Dienste offener Märkte zu betreiben.

Merkels postpolitische Ära

Grundlegende Richtungsentscheidungen und Konflikte zwischen widerstreitenden Interessen, geschweige denn Feindschaften – all das, was man klassischerweise als „Politik“ ansah, schien für alle Zeiten der Vergangenheit anzugehören.

Mehr als jeder andere Regierungspolitiker stand und steht Angela Merkel noch immer für dieses vermeintlich alternativlose Regieren in einem postpolitischen Zeitalter zunehmender Europäisierung, Internationalisierung, Globalisierung. Mit zunehmender Regierungsdauer schwand dementsprechend Merkels Interesse an inneren Reformen in Deutschland (sofern sie nicht ihre Regierungsfähigkeit gefährdeten) zugunsten universeller Probleme, zum Beispiel des Klimawandels.

Als Höhe- und Wendepunkt dieser Universalisierung der deutschen Politik unter Merkel dürfte ihre so genannte „Flüchtlingspolitik“ in die Geschichte eingehen. Merkels Deutschland inszenierte sich mit dem Willkommen für die Flüchtlinge als Avantgarde des Weltgeistes – und überspannte den Bogen. Die anderen europäischen Staaten machten nicht mit, auch nicht die westlichen Heimatländer des Universalismus, Frankreich und Großbritannien.

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