Als die Grünen 1998 erstmals in eine bundesdeutsche Regierungskoalition eintraten, galten sie noch als Unternehmerschreck. Nicht ohne Grund. Der entschiedene Linke, Ex-Kommunist und Ex-Hausbesetzer Jürgen Trittin als Bundesumweltminister legte sich bevorzugt mit Automobilindustrie und der Energieversorgern an.
Von solchen Befürchtungen ist zwanzig Jahre später nicht mehr viel übrig. Den Atomausstieg hat eine CDU-Kanzlerin ganz ohne Mithilfe der Grünen abgeräumt und Trittins Kampf für eine komplette Rücknahmepflicht von Altautos ist längst vergessen. Nicht nur, weil Trittin keine Minister-Ambitionen mehr hat, wird die sich abzeichnende Jamaika-Koalition von Unternehmen und unternehmensnahen Ökonomen ausgesprochen positiv betrachtet.
Für den Hauptgeschäftsführer des Privatbankenverbands BdB, Michael Kemmer, ist eine solche Koalition „keine Notlösung, sondern sollte vielmehr als Chance begriffen werden“. Von der künftigen Regierung erwarte man „dogmenfreie Rahmenbedingungen, die einen positiven Impuls für Deutschland setzen“, sagt Mathias Oberndörfer, Bereichsvorstand bei der Unternehmensberatung KPMG.
Worüber FDP und Grüne streiten werden
Die Grünen wollen der Autoindustrie nicht nur das Ende des Diesels, sondern den kompletten Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2030 vorschreiben. Cem Özdemir hatte das vor den Wahlen als Bedingung für eine Koalition genannt.Noch deutlicher als die Unionsparteien hat sich die FDP aber gegen jegliche „staatliche Investitionslenkung“ ausgesprochen.
Die Grünen wollen erneuerbare Energien noch schneller als bislang ausbauen und zügig raus aus der Verbrennung von Kohle. Die FDP hat auch für die Energiewirtschaft die Stärkung des freien Wettbewerbs gefordert und glauben laut Wahlprogramm, "dass auf fossile Energieträger auf absehbare Zeit nicht verzichtet werden kann".
In der Steuerpolitik gibt es mehrere Gegensätze. Die FDP will deutliche Steuerentlastungen. Vor allem will sie den Solidaritätszuschlag schnell komplett abschaffen. Die Grünen wollen mit einer Steuerreform vor allem für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Die FDP will am Ehegattensplitting festhalten, die Grünen nicht.
Die Grünen wollen die von der SPD eingeführte Mietpreisbremse noch verschärfen. Die FDP dagegen will sie abschaffen, weil sie nicht die Preise, sondern vor allem die Investoren ausbremse. Sie will dagegen die Zersplitterung der bau- und wohnungspolitischen Kompetenzen in verschiedenen Ministerien beenden.
Die FDP will strengere Regeln und automatische Sanktionen für Länder der Eurozone, die die Stabilitätskriterien verletzen. jegliche Ausweitung der gemeinsamen Haftung für Schulden eines Staates lehnt sie ab. Die Grünen wollen die aktuellen Euro-Rettungsmechanismen in einen Europäischen Währungsfonds umwandeln, der durch das EU-Parlament kontrolliert wird. Die Europapolitik könnte der entscheidende Streitpunkt innerhalb der künftigen Regierung werden.
Befürchtungen vor wirtschaftsfeindlichen Bremsmanövern der Grünen sind offenbar auf Seiten der Unternehmer durch die Erfahrungen mit einem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg und einer schwarz-grünen Koalition in Hessen endgültig ausgeräumt. „Ich halte eine solche Regierung für machbar und auch nicht schlecht“, sagt zum Beispiel der baden-württembergische Textilunternehmer Wolfgang Grupp im WiWo-Interview und wünscht sich: „Herr Kretschmann, der seinen Job gut macht, muss ein Wort mitreden können und auch auf Bundesebene in der Partei Gehör finden.“
Gerade der Verlust großer ideologischer Gegensätze zwischen den etablierten Parteien, der aus demokratietheoretischer Perspektive ein Problem ist, wird aus der Perspektive unternehmerischer Interessen zu einem Vorteil. Eine Union, die sich von früheren gesellschaftspolitischen Wertvorstellung restlos verabschiedet hat, trifft in der Jamaika-Koalition auf Grüne, die sich mit Kommerz und Kapitalismus längst bestens arrangiert haben. In ihr würden sich Pragmatiker zusammenfinden, sagte Oberndörfer. Im Gegensatz zum politischen Betrieb und den Medien befürchtet man in der Wirtschaft offenbar keine radikalen Konflikte in der künftigen Koalition, zumindest nicht auf den Themenfeldern, die für Unternehmen relevant sind. Berechenbarkeit und Planungssicherheit – das ist das, was sich die Wirtschaft von Jamaika erhofft.
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, prophezeit, dass sich die Koalitionäre jeweils auf die Politikfelder konzentrieren werden, auf denen sie sich nicht ins Gehege kommen. Die Grünen würden sich auf Umweltpolitik konzentrieren und den Druck auf die Automobilindustrie hoch halten, aber, „sie werden sich verabschieden müssen von einem Festschreiben des Endes für den Verbrennungsmotor im Jahr 2030.“ Die anderen Koalitionäre „könnten das den Grünen versüßen, indem sie eine großzügige Förderung der Elektromobilität in Aussicht stellen“ und ihnen „bei ihrem Ziel entgegenkommen, bis 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen”, so Krämer.
Jamaika-Sondierung startet: Was die Wirtschaft erwartet
Die FDP dagegen dürfte sich vor allem um die Themen Steuern und Finanzen kümmern. Das machte FDP-Chef Christian Lindner schon vor den gestrigen Sondierungsgesprächen mit der Union klar, als er den Posten des Finanzministers zwar nicht unbedingt für sich selbst beanspruchte, aber keinesfalls der Union überlassen wollte. Ganz offensichtlich hat man in der der FDP aus dem Fehler von 2009 gelernt, als sie das Finanzministerium preisgab, um den Außenminister zu stellen. In ihrem Wahlprogramm vertreten die Grünen zwar steuerpolitisch sehr konträre Position, aber man darf bezweifeln, dass sie sich angesichts der stark wachsenden Wirtschaft dauerhaft Steuererleichterungen verweigern können. Der Druck wird nicht nur von der FDP, sondern auch von der CSU stark sein.
Mehrere Konfliktfelder
Die Forderung nach einer Senkung der Unternehmenssteuern ist bereits von mehreren Ökonomen, zuletzt Clemens Fuest, erhoben worden. Die Ankündigung des US-Präsidenten, die Belastung für eigene Unternehmen auf 20 Prozent zu senken, und ähnliche Pläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron scheinen diese Forderung zu stützen. Oberndörfer glaubt allerdings nicht, dass dieses Thema für Unternehmen und Politik erste Priorität hat. „Solange die Wachstumsraten der deutschen Wirtschaft so bleiben wie sie sind, erwarte ich nicht, dass die künftige Regierung die Unternehmenssteuern hierzulande reduzieren wird, nur weil Trump eine radikale Senkung in Aussicht stellt. Schließlich geht es da um das Rückgrat des Sozialstaats.“
Nicht in die Haare kriegen werden sich die Koalitionäre auch bei einem Thema, das den meisten Unternehmen in Deutschland besonders wichtig ist. „Die Digitalisierung“, so erwartet Oberndörfer, „dürfte in jedem Fall angepackt werden, egal, welche Koalition am Ende regieren wird – damit würden Breitbandausbau und Digitalisierung der staatlichen Verwaltung weiter vorangetrieben.“ Den Unternehmen sei ein einfacherer Umgang mit Behörden im Rahmen der Digitalisierung wichtig. Dem Ziel werde sich kein Koalitionär in den Weg stellen. Die FDP hat das Once-Only-Prinzip sogar in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Das bedeutet: Wenn Unternehmen und Bürger Informationen einmal weitergegeben haben, sollen die Behörden in ihrem Auftrag auch für die Weitergabe an weitere relevante Stellen sorgen – unter Wahrung des Datenschutzes.
Im Bezug auf das wohl größte und wichtigste ökonomische Projekt der Gegenwart, die Energiewende sei den Unternehmen das langfristige Ziel wichtig, dass ein Energieträger nicht dauerhaft durch Subventionen erhalten werde, sondern sich selbst finanzieren können soll. Diese Interessen dürften beim Koalitionspartner FDP am besten aufgehoben sein. Noch wichtiger allerdings dürfte den Unternehmen, gerade den besonders energieintensiven Branchen, aber sein, dass grundsätzlich Planungssicherheit herrscht. An einem neuen Aufbrechen ideologischer Gräben in der Energiepolitik gibt es vermutlich auch in den Jamaika-Parteien kein Interesse.
Ein Feld, das für eine künftige Jamaika-Koalition dagegen konfliktreich sein dürfte, sie vielleicht sogar sprengen könnte, ist die Europa-Politik. Während Lindners FDP jede Vergemeinschaftung von Schulden und die Schaffung neuer europäischer Geldtöpfe strikt ablehnt, begrüßen die Grünen dementsprechende Vorschläge des französischen Präsidenten. „Deutsche Unternehmen sehen die Europa-Politik nüchtern“, sagt Oberndörfer. „Sie schätzen natürlich den Binnenmarkt und die Beständigkeit der EU. Aber die Gefahr des Auseinanderdriftens von Haftung und Entscheidung in der EU ist real. Kein deutsches Unternehmen will in Haftung genommen werden für Entscheidungen, die in Italien oder Griechenland fallen und die man nicht beeinflussen kann.“ Auf diesem Feld könnte sich die Jamaika-Koalition, wenn die FDP nachgibt und man Macron allzu weit entgegenkäme, doch noch den Unmut der deutschen Wirtschaft zuziehen. Vielleicht werden dann die Grünen auch wieder zum Schreckgespenst der deutschen Unternehmer.