Jamaika- oder Ampel-Koalition? Der Weg der Grünen zur Union ist kürzer als der Weg der FDP zur SPD

Kommt es zu einer Jamaika-Koalition? Der Weg der Grünen zur Union erscheint jedenfalls kürzer als für die FDP zur SPD. Quelle: dpa

Christian Lindner will Annalena Baerbock und Robert Habeck von Jamaika überzeugen. Er hat bereits vor dem ersten Treffen einige Angebote im Gepäck.

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Als die Exit-Polls am Sonntagnachmittag ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Union und SPD bestätigten, griff Chef Christian Lindner zum Telefon. Höchste Zeit, einmal mit der Partei zu sprechen, die wie die FDP von den Bürgern in die Rolle des Königsmachers gewählt worden ist: Die Grünen. Allerdings wollte der FDP-Chef nicht Annalena Baerbock sprechen, sondern Robert Habeck. Mit dem Co-Vorsitzenden der Grünen hatte Lindner bereits vor einiger Zeit vereinbart, sich „zu gegebener Zeit“ einmal auszutauschen. Der Zweck der diskreten Vorabverständigung ist klar: Bevor sich die beiden kleineren Parteien in den nun beginnenden Sondierungen von den Großen gegeneinander ausspielen lassen, will man direkt miteinander reden und sich so das Momentum sichern. SPD und CDU/CSU müssen dann erst mal abwarten – so viel zu der Frage, wer in Dreierbündnissen künftig Koch und Kellner ist.

Habeck will seine Führungsrolle zurück

Lindner hofft nicht ohne Grund darauf, mit Habeck einen zugänglichen Gesprächspartner zu finden. Der im grünen Kandidatenduell Unterlegene hat im Wahlkampf seinen Frust unterdrückt und loyal zu Baerbock gestanden – auch als sie Fehler in Serie produzierte. Jetzt aber, nach den geplatzten Träumen vom grünen Kanzlerinnenamt und Baerbocks Niederlage, beansprucht Habeck zu Recht seine Führungsrolle in der Partei zurück. Und die wird in den kommenden Wochen und Monaten darin bestehen, die Grünen in eine Koalition zu führen, in der sie ihr Programm so gut es eben geht durchsetzen können.

Grünen-Mainstream tendiert zur Ampel

Obwohl die Grünen mehrheitlich der SPD und einer Ampelkoalition zuneigen, plädieren einflussreiche grüne Führungskräfte wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann eher für ein Jamaika-Bündnis. Als Regierungschef eines führenden Industrielandes weiß er, dass der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft nur mit den Unternehmen und nicht gegen sie funktionieren kann.

An diesem Punkt will auch Lindner bei seinen Werbungsversuchen ansetzen. Als „Brautgeschenk“ bringt der Liberale wichtige Zugeständnisse mit: Der Kohleausstieg soll, so wie die Grünen es wollen, bereits früher passieren, womöglich schon 2030. Der steile Preisanstieg für Emissionszertifikate macht das Verbrennen von Kohle ohnehin schneller unrentabel als gedacht. Auch das Tempolimit ist Porschefahrer Lindner bereit zu opfern – ein Symbolthema, das er im Wahlkampf als Teil der Freiheit noch hochgehalten hat. Und auch noch ein drittes Präsent liegt im Korb: Die FDP ist bereit, eine Grüne zur Bundespräsidentin mit zu wählen – in Gestalt von Katrin Göring-Eckardt zöge dann erstmals eine Frau ins Schloss Bellevue ein.

Wie den Klimaschutz finanzieren?

Das schwierigste Thema wird nicht der Klimaschutz, sondern der Weg dahin. Marktwirtschaftlich oder staatlich verordnet? Ende des Verbrenners 2030 oder später? Zwei Prozent Fläche für Erneuerbare Energien oder nur dort, wo es sich lohnt? Nicht zuletzt hängt vieles an der Frage, wie die zahlreichen Investitionen finanziert und wie der soziale Ausgleich der steigenden Energiekosten organisiert werden soll – ohne dass die ökologische Lenkungswirkung der steigenden Preise verloren geht.

Den Vorschlag der Grünen, diese Investitionen durch Steuererhöhungen und weitere Verschuldung zu finanzieren, wird die FDP nicht mitgehen. Umgekehrt werden die Grünen kaum dafür die Hand heben, den Solidaritätszuschlag für die zehn Prozent Besserverdienenden zu streichen. Kompromisse liegen im Kleingedruckten: eine Verbesserung der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten würde den Unternehmen sicher helfen und wäre vielleicht auch mit den Grünen zu machen. Eine indirekte staatliche Mitfinanzierung der Klima-Investitionen über Garantien und Zinssubventionen könnten auch mit der FDP funktionieren.

Legt man die Wahlprogramme der Parteien nebeneinander wird rasch deutlich, dass der Weg der Grünen in eine Jamaika-Koalition kürzer ist als der Weg der Liberalen in eine Ampel. Die zahllosen sozialen und rentenpolitischen Versprechen der SPD sind nur mit hohen Schulden, Vermögensteuern und so genannten „Reichensteuern“ zu bezahlen. Wo in dieser Gemengelage für die FDP ein Kompromiss liegen könnte, ist rätselhaft. Und selbst wenn Olaf Scholz sehr weit auf die Liberalen zuginge, müsste er befürchten, dass der starke und durch die Wahl noch einflussreicher gewordene linke Flügel der SPD ihm die Gefolgschaft verweigert und den dann fälligen Parteitag in ein Scherbengericht verwandelt.

Umgekehrt müssen auch die Grünen jeden Koalitionsvertrag von einem Parteitag billigen lassen. Die Überzeugung der grünen Basis von den unumgänglichen Kompromissen ist Schwerstarbeit. Das wissen sowohl Baerbock als auch Habeck. Auch deshalb wird die Bildung einer neuen Regierung spannend bleiben – bis zum Schluss.      

Mehr zum Thema: Alle Artikel, Umfrageergebnisse und mehr finden Sie auf unserer Übersichtsseite zur Bundestagswahl 2021.

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